Eigentlich sind die Hausärzt:innen mit der derzeitigen Gesetzeslage "nicht unzufrieden". Aber eben nur eigentlich. Denn beim berufspolitischen Oktoberfest bei der practica 2021 in Bad Orb stellte Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender im Deutschen Hausärzteverband (DHÄV), klar, dass in der Gesundheitspolitik immer noch "einiges im Argen liegt."

Und das "müssen auch wir jetzt ausbaden", kritisierte Dr. Markus Beier, neuer 1. Stellvertretender Vorsitzender des DHÄV. Insbesondere mit dem noch amtierenden Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ging er dabei hart ins Gericht. Mit immer wieder neuen Gesetzen habe er die Ausgaben derart in die Höhe getrieben, dass die Gestaltungsfreiheit der neuen Regierung stark eingeschränkt werden dürfte.

Ärger mit eAU und eRezept

Denn Baustellen gebe es zur Genüge. Neben der eAU ist dies vor allem das für den 1. Januar geplante eRezept. Wenn im neuen Jahr tatsächlich alle Rezepte digital ausgestellt werden müssten, werde nichts mehr gehen, befürchtete Beier. Dies wäre ganz besonders dann der Fall, wenn neben dem eRezept auch noch zusätzlich ein Papierrezept ausgestellt werden müsste, pflichtete Dr. Hans-Michael Mühlenfeld, Tagungspräsident der practica und Moderator des Oktoberfestes, Beier bei. Dieser kündigte daher an, dass es eine Petition gegen das eRezept geben wird mit dem Ziel, den Starttermin um einige Quartale hinauszuschieben. Auch Hausärzte-Chef Weigeldt kann sich eine so schnelle Einführung des eRezepts nicht vorstellen. Viele Hausarztpraxen hätten sich in dieser kurzen Zeitspanne nicht darauf vorbereiten können, da die technischen Geräte hierfür zum Teil komplett erneuert werden müssten. Allerdings legte Weigeldt in Bad Orb auch großen Wert auf die Feststellung, dass das eRezept aus Sicht des Verbands "im Prinzip nicht schlecht" sei und die Hausärzt:innen keineswegs Verweigerer von zukunftsweisenden digitalen Lösungen seien. Dafür müsse die Technik aber erst einmal bereitgestellt werden und auch überall funktionieren.

VERAH® als Vorbild für Delegation

Verweigern will sich der Verband zudem auch nicht beim Thema Delegation. Allerdings seien auch hier die Grenzen überschritten worden, wenn zum Beispiel die Apotheken das Impfen für sich reklamierten. Mühlenfeld stellte in Bad Orb klar, dass der "reine Akt der Impfung" zwar auch von einer Apotheker:in geleistet werden könne. Trotzdem lehnt der DHÄV eine solche Option ab, weil dies zu einer weiteren Fragmentierung in der Versorgung führe und mögliche Komplikationen nach der Impfung nicht von Apotheker:innen aufgefangen werden könnten.

Wie Delegation in der Praxis funktionieren könne, zeigt die Etablierung der Versorgungsassistentin in der Arztpraxis (VERAH®) im Rahmen der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV). Insgesamt müsse jedoch der Stellenwert der MFA und der VERAH® in Arztpraxen weiter deutlich aufgewertet werden, forderte Mühlenfeld. Für noch wichtiger hält es der Vorsitzende des Instituts für hausärztliche Fortbildung (IhF) allerdings, die Arbeitsfelder der medizinischen Fachkräfte attraktiver zu gestalten. Gerade in größeren Allgemeinarztpraxen sei hier "sehr viel möglich". Etwa bei der Qualitätssicherung, der Kommunikation mit Patient:innen oder der medizinischen Beratung von chronisch kranken oder depressiven Patient:innen. So könne es nur gut sein, dass die bundesweite Zahl an VERAH® weiter ansteigt. Insgesamt arbeiten bundesweit derzeit 14.680 VERAH®. Mühlenfeld geht davon aus, dass die Schallmauer von 15.000 bald durchbrochen werde.

MFA weiter fortbilden

Vom Fernziel, auf Dauer in jeder Hausarztpraxis eine VERAH® etablieren zu können, sei man dennoch weit entfernt. Immer noch verfügten deutlich weniger als die Hälfte aller Hausarztpraxen in Deutschland über eine VERAH®. Um das Berufsbild weiter aufzuwerten, soll nun auch ein Bachelor-Abschluss an einer Hochschule möglich sein. Bei einer IhF-Umfrage unter allen 14.680 VERAH® hätten bis zu 1.500 ein entsprechendes Interesse signalisiert. Ein Curriculum für ein qualifiziertes und praxistaugliches Studium werde hierfür gerade entwickelt.

Den MFA und VERAH® sei es auch entscheidend zu verdanken, dass sie gemeinsam mit den Hausärzten der COVID-19-Pandemie in den Hausarztpraxen erfolgreich begegnen konnten. Allerdings sei dies "im öffentlichen Diskurs nicht sichtbar geworden", kritisierte Prof. Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), im Gespräch mit doctors today. In seinem practica-Seminar "Die Rolle der Hausarztpraxis bei COVID-19" hätten sich Allgemeinärzt:innen in Bad Orb sogar darüber beklagt, für die Praxis elementare Informationen erst aus der Presse erfahren zu haben. Dies habe zu einer erheblichen Verunsicherung der Ärzt:innen selbst, aber auch der Patient:innen geführt.

Gemeinsam die Pandemie bewältigen

Auch die DEGAM hatte während der Pandemie immer wieder den Spagat zu meistern, sich zwischen "Wissenschaftspopulisten und einer politisierten Wissenschaft" zu behaupten. Dabei sei die Debatte "polarisiert und personalisiert" geführt worden. Hier habe die DEGAM mit ihren Stellungnahmen versucht, die "Schwarz-Weiß"-Sichtweise aufzubrechen und der Komplexität der Thematik auch für die allgemeinmedizinische Praxis gerecht zu werden. Dies sei schließlich in die "S1-Handlungsempfehlung zu SARS-CoV-2/COVID-19" gemündet.

Der DHÄV habe seinerseits mit einer "starken medialen Präsenz" versucht, die Hausärzt:innen auf dem Laufenden zu halten, erläuterte Weigeldt beim Oktoberfest. Stellvertretend hierfür würdigte er die enge Kooperation mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), etwa die gemeinsame Stellungnahme zu den STIKO-Empfehlungen zur Corona-Schutzimpfung bei Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren. Diese gute Kooperation mit dem BVKJ und der DEGAM sei aber auch dringend notwendig gewesen, weil die Hausarztpraxen während der Pandemie auf sich allein gestellt gewesen waren und zudem benachteiligt wurden. Armin Beck, Hausärzte-Chef in Hessen, belegte dies in Bad Orb mit Zahlen. 110 € Kosten für eine COVID-Impfung im Impfzentrum, 20 € in der Hausarztpraxis. Dabei, so Weigeldt, sei der Impfzug erst dann richtig angefahren, seitdem die Hausärzt:innen von der Politik mit einbezogen worden sind.

Allerdings wurden beim berufspolitischen Oktoberfest auch kritische Stimmen aus den eigenen Reihen laut, die auch den Hausärzt:innen bei der Bewältigung der Corona-Pandemie kein gutes Zeugnis ausstellten. So beklagten eine Reihe von Allgemeinärzt:innen die fehlende Impfbereitschaft ihrer eigenen Kolleg:innen. Eine solche Impfzurückhaltung konnte auch Günther Egidi, Arzt für Allgemeinmedizin in Bremen und stellvertretender Sektionssprecher Fortbildung bei der DEGAM, bestätigen. Egidi: "Wir haben hier auch Probleme in den eigenen Reihen."



Autor
Raimund Schmid

Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (12) Seite 26-27