Das war angesichts der Adipositaswelle, die über das Land schwappt, längst überfällig gewesen: In einem neuen Positionspapier (siehe QR-Code links) hat die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) wichtige Grundlagen zur Behandlung und Prävention von Adipositas in der Hausarztpraxis zusammengefasst.

Die DEGAM sieht eine klare Verantwortung der Allgemeinmedizin für die Behandlung von Adipositas. Denn gerade Hausärzt:innen sind prädestiniert dafür, Adipositas auch in den Gesamtkontext anderer Erkrankungen, wie beispielsweise Diabetes, arterielle Hypertonie, Demenz oder Osteoporose, zu stellen. Jedoch: Allein die potenziellen Krankheitsfolgen im Blick zu haben, die eine Adipositas dauerhaft nach sich ziehen, ist schon rein medizinisch ein großer Kraftakt.

Link-Tipp
Das Positionspapier zum Thema finden Sie HIER.

Adipositas-Behandlung braucht Zeit

Bezieht man dann noch die vielfältigen Umgebungsfaktoren der Adipositas ein, sind die Potenziale von Hausärzt:innen insbesondere in Einzelpraxen oder kleineren Praxiseinheiten schnell erschöpft. Denn wer sich als Allgemeinmediziner:in den tatsächlichen Ursachen stellt – etwa dem Bewegungsmangel, einem ungesunden Ernährungsverhalten und insbesondere auch dem mitunter ungünstigen psychosozialen Umfeld –, benötigt hierfür nicht nur Fachkompetenz, sondern vor allem auch Geduld und viel Zeit. Zeit, die heute in der Praxis nicht zur Verfügung steht, zumal der immense Aufwand für eine solche präventive Arbeit auch nicht annähernd vergütet wird. Hinzu kommt, und das spart das Positionspapier nicht aus: Alle messbaren Erfolge sind selbst bei guter Motivation meist eher gering und oft auch nur von kurzer Dauer. Aber auch der Einsatz neuer Arzneimittel ist kein Patentrezept, da deren nachhaltige Wirkung auf Morbidität und Mortalität meist noch nicht richtig abgeschätzt werden kann, räumt die DEGAM selbst ein.

Wenig Evidenz für Therapieoptionen

Ganz grundsätzlich kritisiert die DEGAM zu Recht, dass eine Therapie, die allein auf das Verhalten abzielt, zu kurz greift. Helfen würden am besten Maßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention – wie die Zuckersteuer oder ein finanzierbares und ausgewogenes Kita- und Schulessen, fordert die DEGAM folgerichtig. Dass sie hingegen der geplanten Einführung eines Disease-Management-Programms (DMP) zu Adipositas kritisch gegenübersteht, ist nicht nachvollziehbar. Zwar stimmt es, dass kaum Evidenzen für fundierte Therapieoptionen bei Adipositas vorliegen. Wegen der medizinisch und gesellschaftlich hohen Komplexität der Thematik wird es solche hochvaliden Evidenzen aber auch nie geben. Deshalb sollte man hier vom hohen Sockel runter und sich auch einmal mit einem DMP mit geringerer Evidenz zufriedengeben. Die Hausärzt:innen jedenfalls könnten mit einem DMP Adipositas diese große Herausforderung sicher besser stemmen. Einen Versuch wäre es jedenfalls allemal wert,


... meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (5) Seite 25