Diese Nachricht muss eigentlich jede hausärztlich tätige Ärzt:in schockieren: 43 % der Internetnutzer:innen geben laut Umfrage des Digitalverbandes Bitkom an, schon einmal komplett auf einen Arztbesuch verzichtet zu haben, weil sie ihre Symptome im Netz recherchiert und gegebenenfalls sogar selbst behandelt haben.

Übernimmt Dr. Google also zunehmend die Rolle von Allgemeinärzt:innen, die ja bislang primär für eine Erstdiagnose zuständig waren? Offenbar! Glaubt man den Ergebnissen einer Anfang 2023 von Bitkom veröffentlichten Befragung unter 1.144 Menschen in Deutschland, reicht der Einfluss von Dr. Google aber noch viel weiter. Schon vor dem Arztbesuch nutzen 62 % das Internet oder eine Gesundheits-App. 2020 waren es erst 53 und 2021 noch 56 % gewesen.

Informationsblase Internet

Weit gravierender ist indes aber wohl der Befund, dass 63 % der Internetnutzer:innen im Anschluss an einen Praxistermin selbst an ihren Symptomen herumdoktern. Dabei werden wohl offenbar insbesondere die verschriebenen Medikamente infrage gestellt. Nicht anders ist es zu erklären, dass 3 von 4 Patient:innen dabei nach alternativen Behandlungsmethoden und 51 % ganz explizit nach Alternativen zu Medikamenten suchen. Die Erfahrung zeigt auch: Wer sich einmal in eine solche medizinische "Blase" im Internet verfangen hat, kommt so schnell nicht wieder raus. Denn auf der Suche – etwa nach homöopathischen Alternativen – sorgen die onlinebasierten Algorithmen dafür, dass man in dieser Informationsblase hängen bleibt. Und wenn wir schon bei den Algorithmen sind, kommt jetzt auch noch die Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Immer mehr Gesundheits-Apps erteilen nach Eingabe entsprechender Symptome auf Basis von KI aus einer Datenbank heraus Dia-
gnose- und Therapieempfehlungen. Daraus resultieren dann häufig sogar individualisierte Informationen. Und genau das vermarket Google in perfekter Weise zum Beispiel so: "KI-Diagnose – Google erkennt Lungenkrankheiten mit Künstlicher Intelligenz."

Das ärztliche Gespräch aufwerten

Wenn solche KI- oder Online-Informationen ärztliche Befunde ergänzen, kann diese ganze Entwicklung eher ein Segen sein. Wenn sie aber ärztliche Fertigkeiten und Kompetenzen zunehmend ersetzen, sind sie ein Fluch. Denn 78 % der Ärzt:innen gehen nach Befragungsergebnissen des Instituts für Allgemeinmedizin der Uni Frankfurt davon aus, dass Patient:innen mit der Deutung medizinischer Informationen aus dem Internet überfordert sind. Was folgt daraus? Die Aufklärung in der Arztpraxis muss in jeder Weise verbessert werden. Dafür fehlt aber den Allgemeinärzt:innen die Zeit, um ihren Patient:innen Diagnosen ausführlich zu erläutern und sich mit online- oder KI-basierten alternativen Behandlungsansätzen kritisch auseinanderzusetzen. Da ist es wieder – das ärztliche Gespräch, das noch nie besonders goutiert wurde. Das sollte sich nun – mehr denn je - dringend ändern. Denn noch nie war es so wertvoll wie heute, meint Ihr


... meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (3) Seite 33