Die Hitzewellen 2018 und 2019 haben die Gesundheit und das Leben vieler Menschen schwer beeinträchtigt. Und sie haben auch die Morbidität und Mortalität in den Arztpraxen verändert. Vor allem in den Hausarztpraxen. Das könnte auch in den nun anstehenden Sommermonaten des Jahres 2022 wieder drohen. Denn die Folgen übermäßig hoher Temperaturen sind gravierend und laufen erst einmal bei den Allgemeinärzt:innen auf.

Brennpunkt Klima
Arztpraxen sind zwar geeignete, bislang jedoch auf breiter Ebene kaum genutzte Anlaufstellen für die Förderung des klimabedingten Gesundheitsschutzes. Durch das Vertrauensverhältnis zwischen Hausärzt:innen und Patient:innen und den Bezug zur persönlichen Gesundheit können Zugänge zum Thema Klimawandel und Gesundheitsschutz eröffnet werden, die ansonsten im Medizinbetrieb so nicht möglich sind. Doch wie können Hausärzt:innen ihrer Multiplikatorenfunktion gerecht werden und dies in praktisches Handeln überführen? In 12 Beiträgen greift doctors today diese und andere Fragen auf und liefert hierzu Fakten, Orientierung und praxisnahes Handlungswissen.

Der Trend ist eindeutig: Ende Juli 2019 etwa wurde an 25 Wetterstationen des Deutschen Wetterdienstes über 40 Grad gemessen. Nach Informationen des Robert Koch-Instituts erhöht sich mit jedem Grad Celsius mehr die Mortalität um 1 – 6 %. Für Deutschland wird die Zahl zusätzlicher hitzebedingter Todesfälle im Zeitraum 2001 bis 2015 auf rund 27.000 geschätzt.

Praxen sollten sich rechtzeitig wappnen

Die Todesursachen sind meist respiratorische oder kardiovaskuläre, seltener zerebrovaskuläre Erkrankungen. Dafür hat das Münchner Helmholtz-Zentrum auch plausible Erklärungen parat: Insbesondere das Herzinfarktrisiko hat sich hitzebedingt signifikant erhöht. Deren Verläufe sind häufig tödlich. Für Patient:innen, die durch Diabetes oder erhöhte Blutfettwerte vorbelastet sind, trifft dies in ganz besonderer Weise zu. Ursache hierfür sind physiologische Veränderungen, die durch die Hitze ausgelöst werden.

Arztpraxen sowie Krankenhäuser sollten sich daher gegen mögliche weitere Hitzeereignisse rechtzeitig wappnen. Insbesondere Hausarztpraxen kommt bei der Versorgung gefährdeter Personen eine Schlüsselrolle zu, da sie die Morbidität ihrer Patient:innen am besten im Blick haben und notwendige Schritte einleiten können. Zum Beispiel Notfalleinsätze veranlassen oder Betroffene ins Krankenhaus einweisen – insbesondere bei Patient:innen mit Lungen- und Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus, Exsikkose oder als Folge eines Hitzschlags. Bei Asthma, Bronchitis oder COPD kann die Wärmeableitung durch die Weitung der peripheren Gefäße erschwert werden.

Medikamente im Blick haben

Der Kreis derer, bei denen extreme Hitzeereignisse zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können, ließe sich beliebig erweitern: Er umfasst laut WHO neben Menschen mit starkem Übergewicht sowie chronischen Erkrankungen solche, die bestimmte Medikamente – wie Diuretika und blutdrucksenkende Mittel – einnehmen. Vor allem aber ältere, isoliert und in ungünstigen Wohnverhältnissen lebende und pflegebedürftige Menschen sowie Menschen mit Demenz. Besonderen Einfluss können Hausärzt:innen gerade bei Alten oder Pflegebedürftigen auf die Anpassung der Medikation in hitzebedingten Perioden nehmen. Dies ist auf den folgenden drei Ebenen möglich:

  • Gerade bei Nierenfunktionsstörungen den Einsatz und die Dosis von Diuretika kritisch prüfen.
  • Störungen von körpereigenen Abkühlmechanismen im Blick haben: ACE-Hemmer können etwa das Durstgefühl verhindern, Antidepressiva oder Antipsychotika beeinträchtigen das Schwitzen.
  • Auf Änderung der Pharmakokinetik reagieren:Generell führt vermehrte Wärmezufuhr zu einer Vervielfachung des kutanen Blutflusses. Speziell nimmt die Nieren- und Leberperfusion unter extremer Hitze um etwa ein Drittel ab.

Fazit für die Hausarztpraxis: Kritische Medikamente, wie Diuretika, anticholinerge Stoffe, Sedativa oder Opioide sollten während Hitzeperioden in der Dosis reduziert, eine Zeitlang ausgesetzt oder abgesetzt werden. Hier haben hausärztlich tätige Ärzt:innen einen Spielraum, den sie eigenverantwortlich umsetzen können.

Hessen setzt auf Hausärzt:innen

Anders als in einigen anderen europäischen Staaten existiert in Deutschland noch kein ausgeklügelter nationaler Hitzeaktionsplan mit konkreten Vorgaben. Bis jetzt gibt es lediglich unter der Federführung des Umweltbundesamts Handlungsempfehlungen, die den kommunalen Behörden als Blaupausen für regionale Hitzeaktionspläne dienen. Das Land Hessen gilt dabei als einer der Vorreiter. Der Hessische Aktionsplan zur Vermeidung hitzebedingter
Gesundheitsbeeinträchtigungen
verweist darauf, dass primär der ambulante vertragsärztliche Bereich aufgrund seiner Schlüsselrolle bei der Versorgung potenziell gefährdeter Personen wesentlich zur Prävention hitzeassoziierter Erkrankungen beitragen kann. Die kommunalen Gesundheitsdienste kommen dafür eher nicht infrage. Denn: "Der öffentliche Gesundheitsdienst weiß gar nicht, wo zum Beispiel die Personen sind, die alt und hitzeanfällig sind und Hilfe brauchen in diesen Tagen." Hausärzt:innen hingegen schon.

Die WHO empfiehlt darüber hinaus, dass Hausärzt:innen bereits im Vorfeld heißer Tage Patient:innen mit einem besonderen gesundheitlichen Risiko identifizieren sollten, um bei einer auftretenden Hitzewelle schnell und gezielt praxisnahe und wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen zu können. Bei chronisch Kranken sollten Hitzeberatungen hingegen sogar gleich in die Routineversorgung integriert werden.

Das alles ist aber wohl erst der Anfang einer Entwicklung, da sich bereits bis Mitte des Jahrhunderts die Anzahl der Hitzewellentage vervielfachen wird. Man kann sich ausmalen, was das für jede einzelne Hausarztpraxis bedeutet. Die hitzebedingte Mortalität wie Morbidität wird weiter dramatisch ansteigen. Wenn bis dahin politisch wie praktisch keine hinreichenden Maßnahmen eingeleitet werden, um diese Hitzeereignisse einzudämmen, könnten die Folgen epidemische Formen annehmen. Mit spürbaren Folgen auch für jede (Hausarzt-)Praxis.

Goldene Regeln für den Flüssigkeitsbedarf
Gerade ältere Menschen sollten in Hitzeperioden ganz besonders regelmäßig trinken. 1,5 bis 2 Liter am Tag sind normal, bei starkem Schwitzen kann es auch gut ein halber Liter mehr sein", empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie. Aber: Eine weit darüber hinausgehende Flüssigkeitszufuhr bringt nichts und ist zudem kaum umsetzbar. Hilfreich ist für alle Patient:innen ein Trinkplan zur Selbstkontrolle. Die Getränke sollten genügend Mineralstoffe enthalten. So können Hausärzt:innen ihren Patient:innen an heißen Tagen – anstelle von Leitungs- oder besser Mineralwasser – auch mal eine Apfelschorle oder ein alkoholfreies Bier empfehlen. Und die Getränke sollten eher lauwarm als zu kalt eingenommen und können sehr gut durch wasserreiches Obst und Gemüse (Melone, Gurken, Tomaten) ergänzt werden.


Literatur:
1. Versorgungsreport Klima und Gesundheit, Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin 2021
2. Epidemiologie und Prävention hitzebedingter Gesundheitsschäden älterer Menschen – Handlungsmöglichkeiten für Hausärzte, Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 2019


Autor
Raimund Schmid

Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (4) Seite 30-31