Sollte man bei hochbetagten, multimorbiden Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz besser auf die Dialyse verzichten? Diese Entscheidung ist schwierig und sollte nur gemeinsam mit allen Beteiligten getroffen werden: Nephrologen, behandelnde Allgemeinärzte, Patient und Angehörige. Eine ausführliche Analyse der Lebenssituation und die Aufklärung des Patienten über die Dialysemöglichkeiten sowie alternative Therapieoptionen sind wichtig.

Diabetes und Hochdruck sind bei über 75 % der älteren Prädialysepatienten die Ursache für eine chronische Niereninsuffizienz. Patienten mit diesen beiden Grunderkrankungen weisen neben der Nierenschädigung eine Vielzahl weiterer Komplikationen und Komorbiditäten auf. Dazu zählen die koronare Herzerkrankung mit zum Teil begleitender Herzinsuffizienz, die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) mit Wunden und eingeschränkter Mobilität, die diabetische und/oder hypertensive Retinopathie und der Zustand nach Schlaganfall.

Bis zu 88 % der älteren Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz leiden zudem unter Frailty, die mit ungewollter Gewichtsabnahme, verringerter Gehgeschwindigkeit, Müdigkeit, niedriger körperlicher Aktivität und verminderter Muskelkraft einhergeht. Diese Symptome werden durch Einleitung der Dialyse nicht weniger – im Gegenteil: Sie nehmen im Verlauf sogar zu [1, 2]. Bei betagteren Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz findet sich darüber hinaus eine Prävalenz von bis zu 87 % für kognitive Defizite und von bis zu 46 % für Depressionen [3, 4]. Ein weiteres Problem sind unkontrollierte Schmerzsyndrome (76 %) [5]. Die Ein-Jahres-Mortalität von älteren Dialysepatienten liegt bei 54 %, bei dialysepflichtigen Patienten aus Pflegeheimen sogar bei 86 % [6, 7].

Der Zeitpunkt der Dialyseeinleitung ist vor allem von den Urämiesymptomen abhängig, wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Tagesschläfrigkeit, Juckreiz, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen mit Gewichtsabnahme, aber auch wiederholtem Auftreten von Ödemen und Pleuraergüssen. Dauerhaft hohe Harnstoffwerte mit > 200 mg/dl, hohe Kalium- und Phosphatwerte und die metabolische Azidose sind zusätzliche Kriterien für den Dialysebeginn [8, 9].

Konservatives Vorgehen ohne Dialyse

Wegen des oft deutlich reduzierten Gesundheitszustands, der eingeschränkten Lebensqualität und der schlechten Prognose trotz Dialyse sollten wir unsere Patienten, vor allem die hochbetagten und multimorbiden, auch immer über die nephrologisch-palliativen Optionen ohne Dialyseeinleitung aufklären. Durch ein konservatives Vorgehen ohne Dialysetherapie konnte bei älteren Patienten immerhin ein Zwölf-Monats-Überleben von 53 % und ein medianes Überleben von 16 Monaten erreicht werden [10]. Die Aufgaben des Nephrologen sind hier vielfältig und reichen von der Kontrolle der Elektrolyte und des Flüssigkeitsstatus (Trinkmengenbeschränkung), der Vermeidung der Azidose und der Anpassung der Diuretika über die Behandlung des Juckreizes bis zur Vermeidung von Angstgefühlen. Hier sollten immer die Allgemeinärzte und gegebenenfalls die Palliativmediziner einbezogen werden. Die Schulung und Begleitung der Angehörigen ist ein ebenso zentraler Bestandteil des konservativen Vorgehens. Eine Studie hat gezeigt, dass man mit einem interdisziplinären Team bei den meisten Patienten urämiebedingte Symptome auch ohne Dialyse kontrollieren oder sogar mildern kann [10 – 13].

Welches Dialyseverfahren?

Sprechen sich alle Beteiligten für ein Nierenersatzverfahren aus, gibt es mehrere Optionen (Tabelle 1). Die Hämodialyse (HD) in einem ambulanten Dialysezentrum oder teilstationär im Krankenhaus ist bei älteren Patienten mit CKD das am häufigsten gewählte Dialyseverfahren. Vorteil der HD im Zentrum ist für die älteren und multimorbiden Patienten die ärztliche Visite mehrmals pro Woche. Die Hämodialysebehandlung zu Hause (Heimhämodialyse) wird von sehr alten und multimorbiden Patienten nur selten gewählt. Bei der Peritonealdialyse, die man klassischerweise zu Hause vornimmt und die zu einer stärkeren Kreislaufstabilität und zum verbesserten Erhalt der Nierenrestfunktion führt, entfallen regelmäßige Termine und die Fahrten zu den Zentren. Wegen der vielen Grunderkrankungen und der Frailty sind manche dieser Patienten jedoch nicht mehr in der Lage, dieses Verfahren allein zu verantworten.

Die durch Angehörige oder Pflegepersonal durchgeführte "assistierte" Peritonealdialyse (aPD) zu Hause oder im Pflegeheim für Patienten mit Frailty ist in jüngster Zeit in den Fokus gerückt, um u. a. deren Lebensqualität und Autonomie aufrechtzuerhalten und weitere Kosten, wie für Patiententransporte, zu vermeiden. Eine aPD ist auch in Dialysezentren möglich, derzeit aber noch von der Einzelfallentscheidung der Kassen abhängig und daher nur bei sehr wenigen Patienten etabliert [14]. Obwohl es für die Nierentransplantation keine absolute Altersbeschränkung gibt, spielt sie bei älteren Patienten mit vielen Komorbiditäten, u.a. aufgrund der erhöhten Infektanfälligkeit, eine untergeordnete Rolle.


Literatur
1. Hoffmann U, Sieber CC. [Is Age a Comorbidity?]. Dtsch Med Wochenschr 2017 July;142(14):1030-6.
2. Fried LP, Tangen CM, Walston J, Newman AB, Hirsch C, Gottdiener J et al. Frailty in older adults: evidence for a phenotype. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2001 March;56(3):M146-M156.
3. Hoffmann U. [Depressive disorders in elder patients with CKD]. Dtsch Med Wochenschr 2016 November;141(24):1744-6.
4. Hoffmann U. [Cognitive disorders in elder patients with chronic kidney disease]. Dtsch Med Wochenschr 2016 April;141(7):462-4.
5. Leinau L, Murphy TE, Bradley E, Fried T. Relationship between conditions addressed by hemodialysis guidelines and non-ESRD-specific conditions affecting quality of life. Clin J Am Soc Nephrol 2009 March;4(3):572-8.
6. Kurella M, Covinsky KE, Collins AJ, Chertow GM. Octogenarians and nonagenarians starting dialysis in the United States. Ann Intern Med 2007 February 6;146(3):177-83.
7. Collins AJ, Foley RN, Chavers B, Gilbertson D, Herzog C, Ishani A et al. US Renal Data System 2013 Annual Data Report. Am J Kidney Dis 2014 January;63(1 Suppl):e1-e478.
8. Kurella TM, O‘Hare AM, McCulloch CE, Johansen KL. Signs and symptoms associated with earlier dialysis initiation in nursing home residents. Am J Kidney Dis 2010 December;56(6):1117-26.
9. Hoffmann U, Sieber C. [Options for renal replacement therapy in geriatric patients]. Dtsch Med Wochenschr 2014 August;139(31-32):1568-71.
10. Brown MA, Collett GK, Josland EA, Foote C, Li Q, Brennan FP. CKD in elderly patients managed without dialysis: survival, symptoms, and quality of life. Clin J Am Soc Nephrol 2015 February 6;10(2):260-8.
11. Tong A, Cheung KL, Nair SS, Kurella TM, Craig JC, Winkelmayer WC. Thematic Synthesis of Qualitative Studies on Patient and Caregiver Perspectives on End-of-Life Care in CKD. Am J Kidney Dis 2014 January 7.
12. Treit K, Lam D, O‘Hare AM. Timing of dialysis initiation in the geriatric population: toward a patient-centered approach. Semin Dial 2013 November;26(6):682-9.
13. Walton LS, Shumer GD, Thorsteinsdottir B, Suh T, Swetz KM. Palliation Versus Dialysis for End-Stage Renal Disease in the Oldest Old: What are the Considerations? Palliat Care 2017;10:1178224217735083.
14. Raddatz A, Iseke K, Oleimeulen U, Alscher M, Birk H, Gloy J et al. Assistierte Dialyse - eine Perspektive für Deutschland. Welt der Krankenversicherung 2017;6(9):210-6.



Autor:

Prof. Dr. med. Ute Hoffmann

Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie/Nephrologie, Angiologie, Diabetologie, Endokrinologie
Krankenhaus Barmherzige Brüder
93049 Regensburg

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (9) Seite 22-23