Warum Menschen auf eine vegane Ernährung umsteigen, hat viele Gründe – von der tierethischen Position über den Umweltschutz bis zur eigenen Gesundheit. Ob die rein pflanzliche Ernährungsform gesundheitlich wirklich gut abschneidet oder Mangelerscheinungen hervorruft, wird kontrovers diskutiert. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Nährstoffe bei veganer Ernährung, für die potenziell eine kritische Unterversorgung zu befürchten ist, wie ein Vitamin-B12-, Eisen- oder Jodmangel.
In Deutschland ernähren sich 1,3 Mio. Menschen vegan, täglich kommen rund 200 hinzu [1]. Heute weiß man, dass der hohe Konsum tierischer Produkte ein wichtiger Faktor in der Entstehung westlicher Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Adipositas und Krebs ist. Mehrere Studien zeigen, dass eine pflanzliche Ernährung das Risiko für diese Erkrankungen reduziert [2 – 6]. Trotz dieser Erkenntnisse wird die vegane Ernährung aber immer wieder kritisiert und wegen potenzieller Nährstoffmängel gefürchtet.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat 2016 ein Positionspapier zur veganen Ernährung veröffentlicht. Darin resümiert sie kritisch, dass bei einer rein pflanzlichen Ernährung die Versorgung mit einigen Nährstoffen nicht oder nur schwer möglich ist. Als kritischster Nährstoff wird Vitamin B12 genannt [7].
Ernährungsgesellschaften anderer Länder wie Großbritannien, USA, Kanada, Australien und Portugal beziehen auch andere Positionen. So urteilt die amerikanische "Academy of Nutrition and Dietetics" (AND), dass gut geplante vegetarische einschließlich veganer Ernährungsformen sicher durchführbar sind und gesundheitliche Vorteile haben. Sie werden in jeder Lebensphase als angemessen betrachtet – auch für Schwangere, Stillende, Kinder, Jugendliche, ältere Menschen und Athleten [8].
Welche Nährstoffe können kritisch sein?
Tatsächlich gibt es einige Nährstoffe, bei denen im Rahmen einer rein pflanzlichen Ernährung Mangelzustände auftreten können (vgl. Tabelle 1). Der Hausarzt kann bei veganer Ernährung begleitend und beratend tätig sein. Sollten klinische Symptome eines möglichen Nährstoffmangels offensichtlich werden, kann er gezielt entsprechende Parameter im Blut kontrollieren. Die meisten dieser potenziell kritischen Nährstoffe lassen sich durch eine gut geplante, vollwertige pflanzliche Ernährung zuführen.
Vitamin B12 bezeichnet die DGE als kritischsten Nährstoff [7]. Nur tierische Produkte enthalten relevante Mengen an Vitamin B12 [9]. Dieses Vitamin wird jedoch nicht von Tieren, sondern von Mikroorganismen produziert. In der Massentierhaltung mischt man es ins Futter, sodass Menschen, die tierische Produkte konsumieren, sich sozusagen über diesen Umweg mit Vitamin B12 versorgen. Veganer müssen ein Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen und sollten ihren Vitamin-B12- beziehungsweise Holo-Transcobalamin-II-Spiegel regelmäßig ärztlich prüfen lassen. Die verschiedenen Vitamin-B12-Präparate sind meist deutlich höher dosiert als die empfohlene tägliche minimale Zufuhr von 4 µg, damit neben der aktiven Absorption ein Teil über passive Diffusion aufgenommen werden kann [9].
Weit verbreitet ist auch die Annahme, dass sich Proteine und somit (essenzielle) Aminosäuren in einer veganen Ernährung nicht ausreichend zuführen lassen. Mehrere Studien
[8, 10, 11] zeigten jedoch, dass der tägliche Proteinbedarf (circa 10 % der Nahrungsenergie) rein pflanzlich gedeckt werden kann, wenn die Gesamtenergiezufuhr ausreichend ist. Man muss also keinen Proteinmangel befürchten, wenn man ausreichend und ausgewogen isst. Gute pflanzliche Proteinquellen sind Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide, Gemüse, Sojaprodukte, Nüsse und Samen. Hülsenfrüchte sind besonders hervorzuheben, da sie sehr reich an der essenziellen Aminosäure Lysin sind [12].
Omega-3 aus Mikroalgen
Etwas kritischer als die Zufuhr von Proteinen ist die Versorgung mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren im Rahmen einer veganen Ernährung. Die essenzielle Omega-3-Fettsäure Alpha-Linolensäure (ALA) kann vom Körper in die semiessenziellen langkettigen Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) umgewandelt werden [17].
Ein Teil der DHA wird vom Körper in EPA zurückkonvertiert. EPA und DHA sind entzündungshemmend und gefäßerweiternd, wirken Herz-Kreislauf-Erkrankungen entgegen und sind wichtig für die kognitive Funktion. Ein DHA-Mangel wird mit neurologischen Erkrankungen wie Depressionen und Alzheimer in Verbindung gebracht [17]. Mikroalgen sind reich an EPA und DHA. Sie werden von Fischen aufgenommen, was diese zu guten EPA- und DHA-
Lieferanten macht [16]. Pflanzen enthalten zwar ALA, aber kaum EPA und DHA. Vegan lebende Menschen sollten ihren Speiseplan dahingehend optimieren, dass sie täglich genügend ALA in Form von Leinsamen, Hanfsamen, Chiasamen oder Walnüssen zu sich nehmen. Zudem sollten sie die Omega-6-Fettsäuren reduzieren, da diese die Umwandlung von ALA in EPA und DHA hemmen [15]. Die Umwandlungskapazität von ALA in EPA und DHA ist jedoch limitiert [14, 17] und von vielen Faktoren beeinflusst (Alter, Geschlecht, Genetik, Ernährungsweise u.v.m.) [15]. Bislang gibt es keine Studie, welche die Umwandlungskapazität von gesunden Menschen unter optimierter veganer Ernährung untersucht. Derzeit ist also nicht bekannt, ob Veganer unter allen Umständen genügend EPA und DHA selbst synthetisieren können. Deshalb empfehlen Ernährungsgesellschaften wie die DGE vegan lebenden Menschen, DHA (und EPA) direkt über Mikroalgen-Öl zuzuführen [7]. Damit bessert sich der sogenannte Omega-3-Index und die Konzentration von DHA im Serum steigt [13].
Ist Eisen wirklich ein Problem?
Ein Nährstoff, bei dem immer wieder ein potenzieller Mangel mit veganer Ernährung in Verbindung gebracht wird, ist Eisen. Das in Pflanzen enthaltene Nicht-Hämeisen wird oft als minderwertig angesehen, da es nicht so gut absorbiert wird wie das in Fleisch enthaltene Hämeisen. Zudem wird die Absorption des Nicht-Hämeisens vom Status unseres Eisenspeichers sowie von aufnahmefördernden und -hemmenden Substanzen beeinflusst. Unser Organismus ist aber in der Lage, sich an die ausschließliche Zufuhr von Nicht-Hämeisen anzupassen, indem er z. B. die Exkretion über den Stuhl reduziert [19]. Mehrere Studien konnten zeigen, dass Veganer mindestens so viel Eisen zu sich nehmen wie Nicht-Veganer, einige zeigten sogar eine höhere Zufuhr bei den Veganern [20, 22].
Aufgrund der niedrigeren Absorption des Nicht-Hämeisens bedeutet das jedoch nicht immer, dass sie auch höhere Ferritinwerte hatten [23]. Man geht davon aus, dass Vegetarier und Veganer, die sich ausgewogen ernähren, kein höheres Risiko für Eisenmangel haben als Mischköstler [18, 21].
Alternative Kalziumlieferanten und Knochengesundheit
Milch gilt für viele als der Kalziumlieferant schlechthin und die Zufuhr von Milch und Milchprodukten als wichtig für die Knochengesundheit. Ein Blick in die Literatur zeigt, dass viele Veganer die tägliche Zufuhrempfehlung der DGE von 1.000 mg Kalzium nicht erreichen [22, 20]. Bei den möglichen gesundheitlichen Auswirkungen kam die Studie von Appleby et al. zu dem Ergebnis, dass die Rate von Knochenfrakturen bei Veganern nicht höher war als bei Mischköstlern, solange sie mindestens 525 mg Kalzium täglich aufnahmen [24].
Auch Mangels beschreibt, dass die vegane Ernährung nicht mit einem erhöhten Frakturrisiko assoziiert ist, solange die Kalziumzufuhr ausreichend ist [25]. Es gibt viele ausgezeichnete pflanzliche Kalziumquellen, z. B. oxalsäurearmes Gemüse (Brokkoli, Grünkohl) und Samen (Sesam). Zudem sind Pflanzendrinks, die etwa mit der kalziumhaltigen Rotalge "Lithothamnium calcareum" angereichert wurden, sowie kalziumreiches Mineralwasser gute vegane Kalziumlieferanten. Veganer sollten auf eine ausreichende Kalziumzufuhr achten und die genannten Quellen in ihren Speiseplan einbauen. Setzen sie dies konsequent um, können sie den Tagesbedarf an Kalzium rein pflanzlich und ohne Supplemente decken.
Um die intestinale Absorption von Kalzium zu bessern, ist eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung bedeutsam. Vitamin D wird hauptsächlich durch Sonneneinstrahlung über die endogene Synthese gebildet und nur ein kleiner Teil über die Nahrung aufgenommen. Chan und Kollegen folgern daraus, dass die Konzentration des 25(OH)-Vitamin D nicht von der Ernährungsform abhängt, sondern vielmehr von der Häufigkeit und Intensität der Sonneneinstrahlung. In ihrer Studie trat ein Vitamin-D-Mangel bei Vegetariern oder Veganern im Vergleich zur omnivoren Vergleichsgruppe nicht häufiger auf [26]. Andere Studien, wie die von Crowe et al., stellten in jeder Ernährungsgruppe einen Mangel fest, dieser war aber unter den Veganern noch etwas ausgeprägter [27].
Da die Sonnenexposition weitaus wichtiger ist als die Ernährung, kann man den Vitamin-D-Mangel nicht als rein veganes Problem bezeichnen. Jedes Individuum, das sich nicht ausreichend in der Sonne aufhält, sollte Vitamin D
supplementieren. Auch Pilze sind eine gute pflanzliche Vitamin-D-Quelle. Diese können durch Sonnenexposition sogar beachtliche Mengen an Vitamin D2 produzieren [28]. Ein Vitamin-D-Präparat können sie aber bei mangelnder endogener Synthese nicht ersetzen.
Algen zur Jodversorgung
Das Spurenelement Jod ist wichtig für die Schilddrüse und die kognitive Funktion. Die DGE empfiehlt eine tägliche Zufuhr von 200 µg.
In einer mischköstlichen Ernährung wird Jod neben jodiertem Speisesalz vor allem über tierische Produkte aufgenommen, weil den Tieren Jod ins Futter gemischt wird [30]. Die jod-armen europäischen Böden erschweren eine ausreichende Jodzufuhr über rein pflanzliche Produkte. So erreichten in der "German Vegan Study" viele Veganer nicht die empfohlene Tageszufuhr [29]. Eine exzellente Jodquelle für Veganer sind Algen mit moderatem Jodgehalt, z. B. die Norialge, die man vom Sushi kennt. Die DGE empfiehlt vegan lebenden Menschen neben jodiertem Speisesalz deshalb den gelegentlichen Verzehr dieser Meeresalgen [7].
Riboflavin
Riboflavin (Vitamin B2) ist in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln (z. B. in Mandeln, Hefeflocken, Pilzen) enthalten. Zur Vitamin-B2-Versorgung in der veganen Ernährung sind die Studienergebnisse unterschiedlich. In größeren Studien, wie der "Epic Oxford Study", einer prospektiven Kohortenstudie, die Veganer, Vegetarier und Mischköstler vergleicht, gibt es bei der Vitamin-B2-Versorgung keine Unterschiede zwischen den Gruppen [22]. In kleineren Erhebungen, z. B. in der österreichischen Studie von Majchrzak et al., hatten jedoch 30 % der Veganer, aber auch 10 % der Omnivoren und 10 % der Vegetarier einen Vitamin-B2-Mangel [31].
Veganer sollten die pflanzlichen Vitamin-B2-Quellen daher regelmäßig verzehren.
Selen und Zink
Selen ist ein Spurenelement mit einem geringen therapeutischen Fenster. Es ist vor allem in Fleisch enthalten, da Tierfutter häufig mit Selen angereichert wird. Die täglich empfohlene Zufuhr von 60 µg für Frauen und 70 µg für Männer erreichen in europäischen Studien viele Veganer nicht [32, 22].
In amerikanischen Studien ist die Selenversorgung von Veganern dagegen kein Problem. Erklären lässt sich dies durch den unterschiedlichen Selengehalt der Ackerböden. In Europa sind die Böden selenarm. Veganer können ihren Selenbedarf über einen täglichen Konsum von circa sechs Paranüssen decken. Zu beachten ist, dass der Selengehalt der Paranüsse variieren kann. Der Verzehr von Hülsenfrüchten, die auf selenreichem Boden gewachsen sind (z. B. Linsen aus Kanada), ist ebenfalls eine gute Möglichkeit, die Selenversorgung sicherzustellen.
Zink ist zwar in tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln enthalten, bei letzteren ist jedoch die Bioverfügbarkeit geringer, was sich auf die in Pflanzen enthaltene Phytinsäure zurückführen lässt. Diese bildet Komplexe mit Mineralstoffen wie Zink, die so weniger gut absorbiert werden können. Die DGE empfiehlt deshalb, die tägliche Zinkzufuhr bei hoher Einnahme von Phytinsäure zu erhöhen [33]. Einige Studien zeigen, dass die Zufuhr von Zink bei Veganern niedriger ist als bei Mischköstlern [22, 34]. Veganer sollten deshalb besonders auf ihre Zinkzufuhr achten und neben dem Konsum zinkhaltiger Lebensmittel (z. B. Kürbiskerne, Sesam) versuchen, die Bioverfügbarkeit von Zink, etwa durch Keimen oder Fermentation, zu verbessern.
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (20) Seite 16-20