Patient:innen mit Diabetes mellitus gelten im Fall einer COVID-19-Erkrankung als Hochrisikogruppe. Allerdings muss man dabei berücksichtigen, wie gut der Blutzucker eingestellt ist. Bei guter glykämischer Kontrolle ist die Prognose einer COVID-19-Erkrankung deutlich besser als bei schlechter Stoffwechselkontrolle.

Eine kürzlich in "Lancet Diabetes & Endocrinology" publizierte Arbeit quantifiziert das Problem zumindest für Großbritannien: Unter den 24.000 an COVID-19 verstorbenen Briten litten 30 % unter Diabetes. Zum Vergleich: Die Prävalenz von Typ-1-Diabetes liegt im Vereinigten Königreich bei 0,4 %, jene von Typ-2-Diabetes bei 4,7 %.

Komorbiditäten und gemeinsame Risikofaktoren erklären diese hohe COVID-19-Sterblichkeit in der diabetischen Population nur zum Teil. Eine hinsichtlich Komorbiditäten und sozialer Faktoren adjustierte Analyse ergab für Typ-1-Diabetes im Vergleich zur Normalbevölkerung eine Erhöhung des Mortalitätsrisikos um den Faktor 2,86, für Typ-2-Diabetes lag dieser Faktor bei 1,8 [1].

Prof. Dr. Juliana Chan von der Chinese University of Hong Kong bezeichnet sowohl Diabetes als auch COVID-19 als globale Pandemien und Herausforderungen für die Gesundheitssysteme. Beide Erkrankungen könnten nur durch öffentliche Maßnahmen mit individueller Beteiligung unter Kontrolle gebracht werden. Beide Pandemien seien auch Folgen der Störung von Ökosystemen und des menschlichen Fehlverhaltens.

Zu wenig Sauerstoff durch fatale Kombination von Risikofaktoren

Die Verbindungen zwischen Diabetes und COVID-19 werden jedenfalls intensiv beforscht. Bereits Ende September 2020 ergab eine Suche auf PubMed zum Thema "COVID-19 and diabetes" mehr als 2.400 Publikationen. Chan: "Viele dieser Publikationen dokumentieren eine enge Assoziation zwischen hohen Blutzuckerspiegeln und ungünstigen Outcomes wie mechanischer Beatmung, Behandlung auf der Intensivstation und Tod."

Die pathophysiologischen Zusammenhänge sind bekannt. Im Kern gehe es, so Chan, um eine Störung der Energiehomöostase. Hyperglykämie und quantitativer oder qualitativer Insulinmangel schädigen das Herz-Kreislauf-System und führen zu Mangeldurchblutung. Eine chronische Niereninsuffizienz kompliziert die Lage weiter, indem sie zu Anämie führt, was eine ausreichende Sauerstoffversorgung zusätzlich erschwert. Kommt es im Rahmen einer akuten Erkrankung zur Ausschüttung von Stresshormonen, besteht die Gefahr für eine Dekompensation. COVID-19 ist in diesem Zusammenhang besonders problematisch, da die Erkrankung zu einem ausgeprägten Abfall der Sauerstoffsättigung führen kann, was in Verbindung mit den oben genannten Faktoren katastrophale Konsequenzen hat. Bereits in der ersten Phase der Pandemie berichteten chinesische Wissenschaftler:innen von Assoziationen zwischen diversen glykämischen Indizes (als Marker für schlechte glykämische Kontrolle) und ungünstigen COVID-19-Verläufen. Bei kritisch kranken Patient:innen waren dieselben Indizes mit Mortalität assoziiert [2]. Im Gegensatz dazu hatten gut kontrollierte Diabetespatient:innen mit geringer Glukosevariabilität sehr viel bessere Chancen, eine Hospitalisierung wegen COVID-19 zu überleben [3].
Eine Erklärung dafür lieferten, so Chan, u. a. die erhöhten Zytokinspiegel bei hyperglykämischen Diabetiker:innen. Patient:innen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes sollten in der aktuellen Situation also besonders sorgfältig auf ihre Einstellung achten, da sich diese im Gegensatz zu anderen Risikofaktoren wie zum Beispiel Übergewicht kurzfristig beeinflussen lasse.

Metformin: mehr Ketoazidose, aber keine erhöhte Mortalität

Auch Prof. Dr. Daniel Drucker vom Lunenfeld Tanenbaum Research Institute am Mt. Sinai Hospital in Toronto betont die Rolle von Glukose als direkt und kurzfristig modifizierbarem Risikofaktor während der COVID-19-Pandemie. Im Gegensatz dazu ist es schwierig, rasch Gewicht abzunehmen, oder unmöglich, die Nierenfunktion zu verbessern. Für Patient:innen mit Typ-2-Diabetes und deren Behandler stellt sich jedoch auch die Frage, ob bestimmte Medikamente im Zusammenhang mit COVID-19 Effekte aufwiesen, die über die Wirkung auf den Blutzucker hinausgehen. Zu dieser Frage fehle derzeit noch die Evidenz, so Drucker, es bleibe in erster Linie bei Hypothesen.

Die Verbindungen zwischen COVID-19 und Diabetes reichen bis tief in die Pathophysiologie beider Erkrankungen. So benutzen Coronaviren Enzyme als Rezeptoren, die auch im Management von Diabetespatient:innen eine Rolle spielen. Während das MERS-Virus an DPP-4 andockt, nutzt SARS-CoV-2 den ACE2-Rezeptor als Pforte in die Zelle. Der ACE2-Rezeptor vermittelt u. a. eine gesteigerte Insulinsekretion und eine verbesserte Insulinwirkung in der Peripherie. Spekulationen über eine besondere Vulnerabilität von Diabetiker:innen gegenüber COVID-19 sind also naheliegend. DPP-4 bietet SARS-CoV-2 zwar keine Eintrittspforte, dürfte aber am Infektionsprozess der Zelle über den ACE2-Rezeptor beteiligt sein. Darüber hinaus ist DPP-4 an Entzündungsreaktionen beteiligt, was DPP-4-Inhibitoren zu naheliegenden Kandidat:innen für die Therapie von COVID-19 machen würde. Hinweise auf eine antiinflammatorische Wirkung von DPP-4-Inhibitoren gibt es, zu COVID-19 fehlen die klinischen Daten.

Eine deutlichere antiinflammatorische Wirkung zeigt Metformin, das jedoch bei Infekten generell zu einem erhöhten Risiko für diabetische Ketoazidose (DKA) führt. Fälle von DKA im Rahmen von COVID-19 sind auch dokumentiert, Fallserien zeigen ein erhöhtes DKA-Risiko, dabei jedoch keine erhöhte Mortalität [4]. Vorsicht sei geboten bei hospitalisierten Patient:innen mit sich verschlechternder Nierenfunktion, alarmistische Reaktionen seien jedoch nicht angebracht, so Drucker. Eine signifikante Reduktion der Mortalität hospitalisierter COVID-19-Patient:innen konnte für die Einnahme von Statinen demonstriert werden [5]. Drucker warnt allerdings vor einer vorschnellen Überinterpretation: Was man sagen könne, sei, dass Statine bei COVID-19-Infektionen sicher seien und nicht abgesetzt werden müssten.

Antikörperbildung trotz Diabetes normal

Entwarnung kann im Hinblick auf die Immunantwort von Patient:innen mit Diabetes gegeben werden, die im Vergleich zu Gesunden lediglich minimale Abweichungen zeigt. Sowohl IgG- als auch IgM-Antikörper gegen SARS-CoV-2 werden von Diabetespatient:innen auch bei nicht optimaler Glukosekontrolle annähernd so schnell und in ebenso hoher Konzentration gebildet wie von Gesunden [6].
Das sei im Hinblick auf die Impfstoffe von Bedeutung, so Drucker. Ebenfalls nachgewiesen wurde allerdings eine verzögerte Clearance des Virus bei Patient:innen mit Diabetes [7].

Diskutiert wird auch die Frage, ob COVID-19 direkt auf das Pankreas wirkt und möglicherweise Typ-1-Diabetes verursacht. Einige entsprechende Fallberichte liegen vor, die Frage nach einem kausalen Zusammenhang bleibt offen. Drucker hält diesen für unwahrscheinlich, da die Betazelle, soweit man heute weiß, keine ACE2-Rezeptoren exprimiert. Diese finden sich zwar im Pankreas, dort allerdings im duktalen Epithel, auf das sie auch beschränkt bleiben. Das letzte Wort sei in dieser Frage allerdings noch nicht gesprochen, so Drucker.

Lockdown: mehr diabetische Ketoazidosen

Zu Beginn der Pandemie habe man angenommen, so Prof. Dr. Catarina Limbert vom Centro Hospitalar Universitário de Lisboa Central in Lissabon, dass COVID-19 vor allem in der Typ-2-Diabetes-Population problematisch sei. Diese Annahme hat sich jedoch als voreilig erwiesen und man hat mittlerweile gelernt, dass eine suboptimale glykämische Kontrolle bei Typ-1-Diabetes noch ungünstigere Auswirkungen hat. Typ-1-Diabetes führt allerdings nur bei unzureichender Kontrolle zu einem erhöhten Risiko, während ein gut kontrollierter Typ-1-Diabetes das Mortalitätsrisiko bei COVID-19 zumindest für jüngere Patient:innen nicht erhöht [8]. Limbert verwies jedoch auch auf eine spezielle Patientengruppe mit sehr langer Diabetesdauer und Komorbiditäten, die ebenfalls ein hohes Risiko zeigt, schwer an COVID-19 zu erkranken. Darüber hinaus häufen sich die Hinweise auf Komplikationen auch bei sehr jungen Menschen – und aus anderen Gründen.

Mehrere pädiatrische Diabeteszentren berichten von einer ungewöhnlich hohen Frequenz von Kindern und Jugendlichen mit diabetischer Ketoazidose bei der Erstpräsentation eines Typ-1-Diabetes [9]. Als Ursache wird ein verspäteter Kontakt mit dem Gesundheitssystem infolge der Lockdown-Maßnahmen vermutet. Die Inzidenz von Typ-1-Diabetes hat jedenfalls während dieser Phase nicht zugenommen. Allerdings berichteten einige Zentren von einem starken Anstieg von Typ-1-Erkrankungen, wobei sich in vielen Fällen herausstellte, dass die erkrankten Kinder negativ auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Limbert ist daher der Ansicht, dass eine SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern und Jugendlichen kein Risikofaktor für eine Diabeteserkrankung ist, wofür schon die milden und oft asymptomatischen Verläufe in dieser Altersgruppe sprechen.

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars Medici Dossier IV_2021, Diabetologie/Endokrinologie
Quelle: "COVID-19 and diabetes", virtueller Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 21. bis 25. September 2020.

ESSENTIALS - Wichtig für die Sprechstunde
  • Bei einer glykämisch gut kontrollierten Diabeteserkrankung mit geringer Glukosevariabilität ist die Chance größer, eine Hospitalisierung wegen COVID-19 zu überleben.
  • Statine sind bei COVID-19 sicher und müssen nicht abgesetzt werden.
  • Diabetespatient:innen bilden ebenso schnell und ebenso viele Antikörper gegen SARS-CoV-2 wie Nichtdiabetiker:innen.


Literatur:
1. Barron E et al.: Associations of type 1 and type 2 diabetes with COVID-19-related mortality in England: a whole-population study. Lancet Diabetes Endocrinol 2020;8:813–822.
2. Wu J et al.: Elevation of blood glucose level predicts worse outcomes in hospitalized patients with COVID-19: a retrospective cohort study. BMJ Open Diabetes Res Care. 2020 Jun;8(1):e001476.
3. Zhu L et al.: Association of blood glucose control and outcomes in patients with COVID-19 and pre-existing type 2 diabetes. Cell Metab. 2020 Jun 2;31(6):1068-1077.e3.
4. Cheng X et al.: Metformin is associated with higher incidence of acidosis, but not mortality, in individuals with COVID-19 and pre-existing type 2 diabetes. Cell Metab. 2020 Oct 6;32(4):537-547.e3.
5. Zhang XJ et al.: In-Hospital use of statins is associated with a reduced risk of mortality among individuals with COVID-19. Cell Metab. 2020 Aug 4;32(2):176-187.e4.
6. Lampasona V et al.: Antibody response to multiple antigens of SARS-CoV-2 in patients with diabetes: an observational cohort study. Diabetologia. 2020 Oct 8:1-11.
7. Buetti N et al.: Diabetes mellitus is a risk factor for prolonged SARS-CoV-2 viral shedding in lower respiratory tract samples of critically ill patients. Endocrine. 2020 Sep 1:1-7.
8. Holman N et al.: Risk factors for COVID-19-related mortality in people with type 1 and type 2 diabetes in England: a population-based cohort study. Lancet Diabetes Endocrinol. 2020 Oct;8(10):823-833.
9. Kamrath C et al.: Ketoacidosis in children and adolescents with newly diagnosed type 1 diabetes during the COVID-19 pandemic in germany. JAMA. 2020 Aug 25;324(8):801-804.



Autor
Reno Barth



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (8) Seite 40-42