Nahezu jeder zweite männliche Diabetespatient leidet unter einer erektilen Dysfunktion. Die Klagen darüber sind häufig und der Einfluss auf die Lebensqualität ist groß. Mit frühzeitiger Kontrolle des Blutzuckers und des Blutdrucks ist eine Remission möglich. Dies und mit welchen Therapien bei fortgeschrittener erektiler Dysfunktion eine Chance auf Erfolg besteht, war am Jahreskongress der American Diabetes Association (ADA) zu erfahren.
Für das Auftreten einer erektilen Dysfunktion sind das Alter sowie das HbA1c-Niveau entscheidende Faktoren. Doch trifft das nicht auf jeden Diabetiker gleichermaßen zu. Interessant ist dabei die Frage, womit das zusammenhängt. Handelt es sich um die Folge eines Testosteronmangels, einer Neuropathie oder eines zu hohen Blutdrucks? Gemäß einer epidemiologischen Untersuchung hätten Typ-1-Diabetes-Patienten im Allgemeinen nicht vermehrt tiefe Testosteronspiegel, berichtete Prof. Aruna Sarma, Urologie, Dow Division of Health Services Research, University of Michigan, Ann Arbor (USA), am ADA-Kongress. Bei jenen mit tiefen Spiegeln traten aber vermehrt Komorbiditäten wie Adipositas und Hypertonie auf [1]. Eine weitere Untersuchung zeigte einen Zusammenhang zwischen erektiler Dysfunktion und einer Non-Adhärenz bei Hypertonie beziehungsweise bei erhöhten Blutdruckwerten. Der Risikofaktor für eine erektile Dysfunktion war bei jenen mit Blutdruckwerten über 140/90 mmHg um das Doppelte erhöht. Bei jenen ohne Hypertonie stieg das Risiko um etwa 20 % pro 10 mmHg Erhöhung [2]. Eine weitere Untersuchung zeigte einen starken Zusammenhang zwischen einer vorhandenen kardiovaskulären sympathischen Neuropathie und dem Auftreten einer erektilen Dysfunktion [3]. Bis zu einem gewissen Grad sei eine erektile Dysfunktion bei Patienten ohne Diabetes durch die Behandlung der bekannten Risikofaktoren und Komorbiditäten reversibel, so Sarma. Doch ist das auch für Patienten mit Diabetes der Fall? Epidemiologische Daten zeigen, dass für Patienten mit einer Diabetesdauer von ein bis fünf Jahren Chancen für eine Remission bestehen (Odds Ratio: 0,66), diese aber bei bestehender Adipositas und unkontrolliertem HbA1c-Wert schwinden [4]. Das bedeutet, dass bei Diabetespatienten mit Anzeichen einer erektilen Dysfunktion zeitnah alle beteiligten Risikofaktoren untersucht beziehungsweise unter Kontrolle gebracht werden sollten: intensive Blutzuckerkontrolle, Hormonstatus, Bewegung und Gewichtsverlust, Rauchstopp, Blutdruckkontrolle.
Vorbote für koronare Herzerkrankung
Die NO-Produktion, ein wesentlicher Faktor in der Vasodilatation, sinkt mit zunehmendem Alter physiologischerweise. Tiefe Spiegel seien auch bei Komorbiditäten wie Atherosklerose, Angina pectoris, Hirnschlag, Diabetes und Metabolischem Syndrom zu beobachten, berichtete Prof. Deepak Jumani, Sir JJ Group of Hospitals & Grant Medical College, Mumbai, Indien. Je geringer das NO-Angebot, desto tiefer die Enzymaktivität, die letztlich zur Vasodilatation führt. Eine Atherosklerose in penisnahen Gefäßen kann sich als erektile Dysfunktion manifestieren, lange bevor sie in anderen Gefäßen sichtbar wird [5]. 70 % der Männer mit erektiler Dysfunktion leiden nach Aussage von Jumani auch unter kardiovaskulären Komorbiditäten. Einer indischen Untersuchung zufolge entwickelten 84 % von 115 Männern mit erektiler Dysfunktion zwei Jahre nach Symptombeginn eine koronare Herzerkrankung [6]. Nach Ansicht von Jumani ist die erektile Dysfunktion auch die erste Komplikation einer Typ-2-Diabetes-Erkrankung. Typisch für eine organisch bedingte erektile Dysfunktion sei beispielsweise ein schleichender Beginn, normales sexuelles Verlangen und die verminderte oder fehlende Morgensteifigkeit, so Jumani.
Therapeutische Optionen je nach Situation
Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und dem Wunsch nach einer Therapie ihrer erektilen Dysfunktion ist es sinnvoll, die Behandlung in einem größeren Kontext anzugehen. Dazu gehörten der Ratschlag zu mehr Bewegung, weniger essen und Rauchstopp wie auch die Messung des Blutdrucks und des Cholesterinspiegels sowie die Kontrolle möglicher weiterer mikrovaskulärer Komplikationen wie die Retinopathie oder Fußulzera.
Nach diesen Abklärungen erfolgt die Gabe von Sildenafil 50 mg testweise in der Arztpraxis mit der Aufforderung, ein bis zwei Stunden zu warten. Wenn nach anschließender sexueller Stimulation eine Erektion erfolgt, gilt die erektile Dysfunktion als psychogen.
An erster Stelle einer Behandlung erfolgt eine orale Therapie, bei unbefriedigendem Resultat können intrakavernöse Injektion, Vakuumpumpe oder intraurethrale oder chirurgische Maßnahmen eine Option sein.
Bei der oralen Therapie mit selektiven PDE-5-Hemmern wie Avanafil, Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil erfolgt durch Anstieg des zyklischen Guanosinmonophosphats unter sexueller Stimulation eine Relaxation der glatten Muskulatur in den Schwellkörpern, was einen Bluteinstrom ermöglicht. Wirkbeginn und Wirkdauer der Substanzen sind unterschiedlich (vgl. Tabelle 1), sodass eine individuelle und situativ abgestimmte Behandlung möglich ist.
- Erektile Dysfunktion ist häufig bei Diabetespatienten.
- Unkontrollierte Hypertonie und unkontrollierter Blutzucker leisten der erektilen Dysfunktion Vorschub.
- PDE-5-Hemmer oder Phytotherapeutikum sollten in Erwägung gezogen werden.
Bei Diabetikern wurde beispielsweise Tadalafil untersucht. Die Studie mit 191 Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes zeigte nach zwölf Wochen, dass 64 % der Männer mit 20 mg Tadalafil und 56 % mit 10 mg über eine verbesserte Erektion berichteten (vs. 25 % unter Placebo). Dies trotz der Tatsache, dass 72 % der Teilnehmer über eine moderate bis schwere erektile Dysfunktion geklagt hatten, fast 80 % einen HbA1c-Wert von > 7 % aufwiesen und knapp 40 % eine Hypertonie hatten [7]. Tadalafil eignet sich auch für eine regelmäßige tägliche Einnahme (2,5 oder 5 mg/Tag) aufgrund der langen Halbwertszeit (17,5 h), die ein Erreichen eines anhaltenden therapeutischen Plasmaspiegels erlaubt [8, 9].
Testosteronanstieg durch Phytotherapeutikum
Allen PDE-5-Hemmern ist gemeinsam, dass sie ihre Wirkung bei sexueller Stimulation entfalten. Fehlt diese, muss für die Libidosteigerung ein anderer Ansatz gewählt werden. Eine Testosteronsupplementierung bei niedrigem Hormonspiegel oder Hypogonadismus kann beispielsweise helfen, doch sollten mögliche Nebenwirkungen je nach Alter und Komorbidität zuvor ausgeschlossen werden. Lässt die Komorbidität eine derartige Behandlung nicht zu, kann eine Therapie mit Bockshornkleesamenextrakt (Trigonella foenum-graecum, vgl. Abbildung) zum Einsatz kommen. In einer doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Studie erhielten 120 gesunde Männer zwischen 43 und 70 Jahren täglich entweder den standardisierten Bockshornkleesamenextrakt (Testofen®) 600 mg oder Placebo während zwölf Wochen. Nach Studienende zeigte sich, dass die Testosteronspiegel (frei und total) gegenüber Placebo signifikant gestiegen waren. Darüber hinaus beurteilten die Teilnehmer der Verumgruppe ihre sexuelle Funktion als signifikant besser als unter Placebo. Darunter fielen die sexuelle Erregung, der sexuelle Antrieb, die Anzahl wöchentlicher Erektionen von eine auf zwei bis drei sowie die sexuelle Aktivität von ein- bis zweimal pro Monat auf beinahe wöchentlich. In der Studie wurden unter dem Verum keine Auswirkungen auf das Gewicht, die Griffstärke, DHEA-S, Androstendion, Estradiol oder die Leberfunktion beobachtet. Bockshornkleesaponine haben eine testosteronähnliche Struktur und führen durch Dissoziation zu einem Testosteronanstieg [9 – 11].
Quelle: Male sexual dysfunction in diabetes, Jahreskongress der American Diabetes Association, 12. bis 16. Juni 2020, virtuell.
Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Congress Selection Diabetologie/Kardiologie, September 2020
Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (17) Seite 45-47