Die Diagnose Krebs und die damit verbundenen Therapien gehören zu den gefürchtetsten Erkrankungen in der Bevölkerung. Die Vermeidung dieser Erkrankung, die sichere Durchführung einer Tumortherapie sowie das frühzeitige Erkennen von Spätkomplikationen setzen nicht nur gute Vorsorgemöglichkeiten voraus, sondern fordern auch eine intensive und ständige Zusammenarbeit der beteiligten Fachgruppen.

Vor Krebs fürchten sich laut einer Umfrage aus dem Jahr 2016 69 % der Bundesbürger:innen [1]. Den onkologischen Vorsorgeuntersuchungen kommt damit eine besondere Bedeutung zu. Wir betrachten das Thema aus drei unterschiedlichen Perspektiven (Kasten 1).

Vermeidung von Krebs (Prävention)

Die Prävention ist lebensverlängernd, kostengünstig und damit äußerst effektiv. Zur Prävention gehört die Vermeidung von Risikofaktoren, insbesondere Rauchen, Übergewicht und Alkohol [2]. Für 30–35 % der Krebserkrankungen besteht ein Zusammenhang mit einer falschen Ernährungsweise, die leider oft bereits im Kindesalter beginnt [3]. Bezüglich der klassischen Vorsorgeuntersuchungen im Bereich Gynäkologie, Urologie, Dermatologie und Gastroenterologie wird im Folgenden auf die Mammographie und Vorsorgekoloskopie sowie auf die neuen Möglichkeiten der Vorsorgeuntersuchungen "Lungenkrebs" eingegangen.

Mammographie

Eine häufig von Patientinnen gestellte Frage lautet: "Reicht eine Ultraschalluntersuchung der Brust nicht aus? Ich gehe nicht gerne zur Mammographie. Da wird die Brust so eingequetscht."

Leider reicht eine alleinige Ultraschalluntersuchung nicht aus, da Mikrokalk nur durch eine Mammographie detektiert werden kann. Kaltenbach konnte nachweisen, dass von 849 durch Mammographie entdeckten Kalk-Läsionen 275 (32 %!) maligne waren [4]. Auch die Ergebnisse des deutschen Mammographiescreenings zeigen bei 30 von 1.000 untersuchten Frauen einen auffälligen Befund; bei 6 dieser Patientinnen konnte Brustkrebs früh gesichert und damit die Heilungschancen erhöht werden. Eine wichtige Rolle bei der onkologischen Vorsorge spielen die genetisch bedingten Mammakarzinome. Ca. 5–10 % aller Brustkrebserkrankungen weisen einen autosomal dominanten Erbgang auf (meist Mutation des BRCA-Gens). Damit sind auch Männer und deren Kinder betroffen. BRCA-positive Menschen besitzen nicht nur ein deutlich erhöhtes Risiko, an Mamma- und Ovarialkarzinomen zu erkranken, sondern sie sind auch bezüglich des Auftretens von Pankreaskarzinomen, Prostatakarzinomen und Melanomen gefährdet und benötigen daher entsprechend engmaschige Vorsorgeuntersuchungen. Die Untersuchung auf eine BRCA-Mutation kann von einer entsprechend qualifizierten Ärzt:in mittels eines Keimbahntestes im Blut durchgeführt werden.

Kasten 1 - Vorsorgeuntersuchung: Drei-Phasen-Modell
  • Vorsorgeuntersuchung: Vermeidung von Krebs
  • Vorsorgeuntersuchung: Vermeidung von Therapiekomplikationen
  • Vorsorgeuntersuchung: Vermeidung von Spätkomplikationen und Zweitmalignomen

U. Vehling-Kaiser

Koloskopie

Ziel der Vorsorgekoloskopie ist es, die Entstehung eines Kolon- oder Rektumkarzinoms zu verhindern bzw. es frühzeitig zu erkennen. Bei Darmtumoren hängt die Prognose vom Tumorstadium bei Dia-
gnosestellung ab. Während bei frühen Stadien die Heilungschancen über 90 % liegen, fallen sie im fortgeschrittenen Stadium auf bis unter 5 % ab. Im Gegensatz zu Vorsorgeuntersuchungen, die vor allem bereits bestehende Karzinome aufdecken (z. B. fecal occult blood test (FOBT), genetische Stuhltests), erfasst die Koloskopie auch Krebsvorstufen (Adenome). Sie ist die Vorsorgeuntersuchung mit der höchsten Sensitivität und Spezifität und sollte daher bevorzugt eingesetzt werden. Bei vorangegangenem unauffälligem Befund reicht eine erneute Vorsorgekoloskopie nach 10 Jahren aus [2]. Während für die Normalbevölkerung Vorsorgekoloskopien ab dem 50. Lebensjahr empfohlen werden, sind bei Risikogruppen (z.B. erkrankte Verwandte, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Polyposis) engmaschigere Vorsorgeuntersuchungen erforderlich.

Bronchialkarzinom

Während für das Bronchialkarzinom bisher keine speziellen Vorsorgeuntersuchungen etabliert waren, zeichnen sich jetzt neue Möglichkeiten der Früherkennung ab. Hierzu gehören:

  • Lungenkrebsscreening
  • Sputumuntersuchungen
  • Autofluoreszenzbronchoskopie (AFB)
  • Low-dose-Computertomographie
  • Biomarker

In Deutschland hat vor allem die Low-dose-CT Bedeutung erlangt. Die National Lung Screening Trial-Studie (NLST) konnte zeigen, dass durch Screening mittels Low-dose-CT die Sterblichkeit von Lungenkrebs um 20 % reduziert werden konnte [5]. In Deutschland soll diese Screeningmöglichkeit im Laufe des Jahres 2021 umgesetzt werden. Allerdings bestehen noch offene Fragen bezüglich der zu screenenden Personen, der Frequenz und der Dauer der Screeninguntersuchungen.

Vermeidung von Therapiekomplikationen

Dieser Vorsorgeaspekt bezieht sich auf den Zeitpunkt einer antiproliferativen Therapie. Er hat in der heutigen Zeit der small molecules und der immunonkologischen Therapien einen besonderen Stellenwert erlangt und bezieht sich neben der Diagnostik und Therapie von Nebenwirkungen vor allem auf die Adhärenz. Patient:innen, die eine antiproliferative Therapie erhalten, suchen – gerade im ländlichen Bereich wegen oft langer Wege zur onkologischen Praxis – zu Kontrolluntersuchungen die Hausarztpraxis auf. Während die Kontrolle von klassischen Chemotherapien in der Hausarztpraxis meist etabliert ist, stellen small molecules und immunonkologische Therapien aufgrund ihrer komplexen und neuen Nebenwirkungen eine große Herausforderung dar [6].

Immunonkologische Therapien

Diese greifen die Tumorzelle nicht direkt an, sondern aktivieren spezielle T-Lymphozyten, die sog. Killerzellen, die dann ihrerseits die Tumorzelle vernichten können. Allerdings können Killerzellen auch das eigene gesunde Gewebe angreifen, woraus entsprechende Nebenwirkungen resultieren können. Die Therapie der Wahl sind hier Kortikoide. Prophylaktisch sollten keine Kortikoide verabreicht werden, da ansonsten die Wirksamkeit der immunonkologischen Therapien herabgesetzt werden kann [2]. Small molecules bilden eine Substanzklasse, die in der Tumorzelle wirkt und die Signalkette zum Zellkern und damit das Tumorwachstum unterbricht. Die zunehmende Anzahl an verfügbaren Medikamenten dieser Substanzklasse mit sehr unterschiedlichen Nebenwirkungen erfordert ein engmaschiges Screening dieser Patient:innen [2].

Kasten 2 - Nebenwirkungen immunonkologischer Therapien
  • Diarrhoe (Imodium hilft nicht! Steroide oder Infliximab)
  • Massiver Juckreiz
  • Pneumonitis (Bild ähnlich COVID-Pneumonie)
  • Hypophysitis, Nephritis, Hepatitis
Kontrolle von BB, Leber-, Nieren-, Schilddrüsenwerten erforderlich

Beispiele wichtiger Kontrollen bei small molecules:

  • Blutbildkontrolle (Panzytopenie), Leber- und Nierenwerte, Elektrolyte, Blutzucker (Hyperglykämie)
  • RR-Kontrolle (Hypertonus)
  • EKG-Kontrolle (QT-Zeit-Verlängerung, Vorhofflimmern)
  • Haut- und Schleimhauttoxizität, UV-Toxizität
  • Co-Medikation (Beeinflussung von Cytochrom P450, welches in der Leber für den Abbau der small molecules verantwortlich ist)
  • Kein Grapefruitsaft, Orangensaft
  • Fachinformation beachten

Adhärenz

Ein Adhärenzproblem zeichnete sich schon kurz nach Einführung des ersten Tyrosinkinaseinhibitors Imatinib ab: Nur 14 % der Patient:innen nahmen ihre Medikamente korrekt ein [7]. Die zum Teil lebenslang erforderliche Einnahme führt häufig zum Vergessen, zu Pausen oder falscher Einnahme. Damit wird das Adhärenzproblem zum wesentlichen Problem dieser Therapieform und zum zentralen Punkt unserer Vorsorgemaßnahmen.

Vermeidung von Spätkomplikationen und Zweitmalignomen

Patient:innen, die eine antiproliferative Therapie erhalten haben, bedürfen lebenslanger Vorsorgeuntersuchungen im Hinblick auf Spätkomplikationen wie Fatigue-Syndrom, Chemo-Brain, Organschäden und Zweitmalignome. Inwieweit die neueren antiproliferativen Therapien Spätkomplikationen verursachen ist zum heutigen Zeitpunkt noch weitgehend unklar. Patient:innen, die im Kindes- oder frühen Erwachsenenalter eine hochdosierte Chemotherapie erhalten haben, besitzen ein erhöhtes Risiko, an Sekundärmalignomen, malignen Lymphomen, akuten Leukämien oder Myelodysplastischen Syndromen zu erkranken. So weisen Mädchen, die wegen eines Morbus Hodgkin behandelt wurden, ein erhöhtes Brustkrebsrisiko schon als junge Erwachsene auf, weswegen für diese Patientengruppe in Deutschland ein strukturiertes BK-Screening-Projekt entwickelt wurde [8].

Bisphosphonate und Denosumab

Besonders hervorzuheben sind die erforderlichen Vorsorgeuntersuchungen bei Patient:innen, die aufgrund von Skelettfiliae Bisphosphonate/Denosumab erhalten. Hier kann es nicht nur zum Auftreten von Kiefernekrosen, sondern auch zu Osteonekrosen des äußeren Gehörgangs kommen (Ohrenschmerzen, Ausfluss).

Zusammenfassung

Onkologische Vorsorgeuntersuchungen müssen heute als ein Versorgungskonzept verstanden werden, das von der Prävention bis zur lebenslangen Kontrolle von Tumorpatient:innen reicht. Dabei ist die intensive Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachgruppen sowie dem ambulanten und stationären Sektor unbedingte Voraussetzung.

ESSENTIALS - Wichtig für die Sprechstunde
  • Prävention ist lebensverlängernd, kostengünstig und äußerst effektiv.
  • Die Adhärenz ist ein zentrales Problem der Vorsorge.
  • Folgen der antiproliferativen Therapie können auch noch nach Jahren auftreten.


Literatur:
1. Krebs: Gefürchtet wie kaum eine andere Krankheit. Deutsches Krebsforschungszentrum, 2016. (Accessed 14.12., 2020, at https://www.krebsinformationsdienst.de/aktuelles/2017/news13-angst-vor-krebs.php.)
2. Vehling-Kaiser U, Kaiser F, Römer HC, Trümper L. Onkologische Erkrankungen in der Hausarztpraxis. 1 ed. München, Deutschland: Elsevier; 2020.
3. Ward ZJ, Long MW, Resch SC, Giles CM, Cradock AL, Gortmaker SL. Simulation of Growth Trajectories of Childhood Obesity into Adulthood. N Engl J Med 2017;377:2145-53.
4. Kaltenbach B, Brandenbusch V, Möbus V, et al. A matrix of morphology and distribution of calcifications in the breast: Analysis of 849 vacuum-assisted biopsies. Eur J Radiol 2017;86:221-6.
5. Aberle DR, Adams AM, Berg CD, et al. Reduced lung-cancer mortality with low-dose computed tomographic screening. N Engl J Med 2011;365:395-409.
6. Kaiser F, Schulz X, Hoffmann A, Kaiser F, Vehling-Kaiser U, Kaiser U. [A survey among family doctors on care reality of patients under oral tyrosine kinase inhibitor therapies]. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 2020.
7. Noens L, van Lierde MA, De Bock R, et al. Prevalence, determinants, and outcomes of nonadherence to imatinib therapy in patients with chronic myeloid leukemia: the ADAGIO study. Blood 2009;113:5401-11.
8. Schellong G, Riepenhausen M, Ehlert K, et al. Breast cancer in young women after treatment for Hodgkin‘s disease during childhood or adolescence--an observational study with up to 33-year follow-up. Dtsch Arztebl Int 2014;111:3-9.



Autor:innen

Ursula Vehling-Kaiser

Florian Kaiser
Onkologisch/Palliativmedizinisches Netzwerk Landshut
84036 Landshut
Ulrich Kaiser
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III
Universitätsklinikum Regensburg
93053 Regensburg

Interessenkonflikte: keine deklariert



Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (9) Seite 14-16