Als ich kürzlich in einem antiquierten Jahresbericht der von mir absolvierten höheren Lehranstalt schmökerte, tauchte das Bild eines hochqualifizierten, aber gefürchteten Altphilologen dieser Schule in mir auf. Sein gymnasiales Weltbild umfasste nur drei Fächer: Latein, Griechisch, Geschichte. Wer als Schüler dafür nicht ausreichend begabt oder begeisterungsfähig war, hatte schlechte Karten. Tempi passati - doch sicher würden seine Augen noch heute hinter der dicken Hornbrille funkeln, hätte er die immer wieder aufflammende Renaissance der altgriechischen Buchstabenreihe von Alpha bis Omega in der Medizin der letzten Jahrzehnte erlebt.

Ganz aktuell: die ersten Buchstaben des Hellenen-Alphabets reüssierten jetzt spektakulär durch die Coronapandemie. Weil sich die Nomenklatur der Virusvarianten mit Bezug auf das Herkunftsland als problematisch erwies, schwenkte die Wissenschaftswelt zu einer fortlaufenden Benennung mit griechischen Buchstaben um. Mit Alpha beginnend bleibt damit noch genügend Spielraum für Nachnominierungen. Dabei wird das Alpha traditionsgemäß von vielen Disziplinen auch als numerisches Nomen verwendet. Man denke nur an die charismatischen Häupter gruppendynamischer Prozesse, die sich gerne und lautstark als Alphatiere vor den meist geräuschlos, aber effektiv zuarbeitenden β-, γ- oder δ-Gliedern einer Herde stilisieren. In der jetzigen Pandemie hat diese Herde allerdings noch keine umfassende Immunität gegen die lebensbedrohliche Virenfamilie erreicht. Mag es daran liegen, dass die meinungsbildenden Alphatiere nicht clever genug waren, wissenschaftsskeptischen Menschen die notwendigen Maßnahmen plausibel zu machen? Motto: Vernunft fördert Vertrauen. Hin zur Impfung und weg von einem Sommer-, Sonne-, Sand-, Sangria -Feeling wären zwar die richtigen Strategien gegen Virus & Co., gelten indessen als hoffnungslos uncool.

Die seelenbelastenden Folgen der Coronapandemie bringen aber dennoch bei vielen Mitbürger:innen Puls und Blutdruck in Wallung. Das ruft dann erneut das Beta auf den Plan. Auch ihm eilt in Verbindung mit den berüchtigten "Herzblockern" eine schlechte Fama voraus, weil die Pillen trotz unbestrittener Wirksamkeit als schlimme Potenzkiller verschrien sind. Da soll dann von den bösen Alpha-, Beta- und Gammastrahlen erst gar nicht mehr die Rede sein, obwohl auch sie Erkrankten helfen, wenn kein Jota Hoffnung mehr besteht. Eher positiv erscheint das Omega am Schluss des Alphabets. Immerhin wird den Omega-3-Fettsäuren ein fast schon wundersamer Effekt für zahlreiche Körperfunktionen zugeschrieben. So kann es am Ende doch noch heißen: Omega gut, alles gut! |

Das meint mit einem optimistischenκαλή μέρα


Dies meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (9) Seite 76