Viele sehnen sich danach, dass die kalte Jahreszeit bald vorüber ist. In vergangenen Zeiten wurde mit zahlreichen Volksfesten und Bräuchen der Beginn des Frühlings gefeiert. Das wird dieses Jahr Corona-bedingt vermutlich erst später nachgeholt werden können. Als besonders heilkräftig galten im Mai durchgeführte Gesundheitsmaßnahmen, weiß unser Autor Ernst-Albert Meyer.

Auch heute noch ist es üblich, den Mai als Frühlingsmonat mit dem Aufstellen eines Maibaumes zu begrüßen. Früher war es nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Lande Brauch, den "Maien" (Maibaum) in einem feierlichen Zug aus dem Wald zu holen und auf dem Dorfplatz aufzustellen. Ein Ereignis, das mit Musik, Tanz, Essen, Trinken und Volksbelustigungen verbunden war. In manchen Gegenden Schwabens war es Sitte, dem Pfarrer, dem Lehrer und anderen Honoratioren als Anerkennung einen Maibaum vor die Tür zu pflanzen. Junge Burschen hängten ihrer Liebsten über Nacht einen "Maien" vor ihr Kammerfenster. Das waren frische Birkenzweige, geschmückt mit farbigen Bändern und künstlichen Blumen. Schon Geiler von Kaysersberg (1445 bis 1510) beschreibt diese Sitte, "Maien und Bäume aufzurichten sowie vor die Häuser der Liebgehabten zu stecken".

Mai-Wasser und Mai-Regen als Heilmittel!

Als besonders heilsam galten früher das Mai-Wasser, der Regen im Mai und der Mai-Tau, denen man auch eine verjüngende Kraft nachsagte. Das in der Walpurgisnacht (Nacht zum 1. Mai) geschöpfte Quell- oder Flusswasser stand im Ruf, Augenentzündungen und Hautkrankheiten zu heilen. Der erste Mai-Regen beugte Kopf- und Gliederschmerzen vor, wobei man sich mit unbedecktem Kopf in den Regen stellen musste. Und als Alternative zum heutigen Kosmetik-Überangebot hier ein Rezept aus einem alten Gesundheitsbuch: "Ein Morgenbad im frischen Mairegen verleiht dem Mägdlein anmutige Körperfülle, Zartheit und rosige Frische der Haut, es beseitigt die lästigen Sommersprossen und Leberflecken und lässt Frauenhaar üppig und weich wachsen." Ein anderes – völlig kostenloses – Schönheitsrezept rät: "Äußeren Liebreiz, Lebenskraft und Fruchtbarkeit wird die Jungfrau dann erlangen, wenn sie sich im Maienmorgentau auf der Frühlingswiese wälzt oder den Körper mit Tau abreibt und von der aufgehenden Sonne abtrocknen lässt."

Die Menschen beherzigten damals diese Rezepte. So ist überliefert, dass die Mädchen in Oberösterreich in aller Frühe "taufangen oder taufischen" gingen. Das heißt, sie streiften den Tau von den Gräsern ab in einen Krug, wuschen sich damit zu Hause das Gesicht, um eine schöne Gesichtshaut zu bekommen. Und wer barfuß im taufrischen Gras herumläuft, bleibt von Krankheiten, besonders von Hautausschlägen, verschont oder wird vom Fieber befreit, so hieß es damals.

Frühjahrsblumen für die Gesundheit

Die ersten Blumen, die nach dem langen Winter aus der Erde sprossen, galten bei den einfachen Menschen als heil- und zauberkräftig. So entwickelte sich der Glaube, dass die ersten Frühlingsblüher für den Menschen reinigende, belebende, stärkende und verjüngende Eigenschaften besitzen. Daher wurden diese Pflanzen gesammelt und verspeist. Kräuterweiblein ernteten diese Pflanzen zu Walpurgis und boten sie meist am nächsten Tag auf dem Markt zum Verkauf an. So gab es in München und Landshut bis ins 18. Jahrhundert im Mai eigene Kräutermärkte. Hier wurden Frischpflanzen, Tees und Presssäfte aus Gundermann, Rainfarn, Bärlapp, Baldrian, Johannis- und Tausendgüldenkraut verkauft.

Bei Erkrankungen der Atemwege und Verdauungsorgane empfahlen die Kräuterfrauen Bocksbart (Tragopogon pratensis, schwach giftige Pflanze!) und Schlehdorn (Prunus spinosa). Einen Maien-Tee aus Spitzwegerich, Sauerampfer, Brunnenkresse und Löwenzahn trank man bei Erkältung, Gicht und Magenkatarrh. Ein Salbeitee sollte gegen Schwindsucht und Gänseblümchentee gegen die Fraisen (Krämpfe) der kleinen Kinder helfen.

Doch es sind auch Mai-Rezepte überliefert, die keine Frühlingsgefühle aufkommen lassen, weil sie so ekelhaft sind. Der "Hundertjährige Kalender" empfiehlt noch im 19. Jahrhundert: "Regenwürmer unter Steinen sammeln, köpfen und das Gewürm in ein Glas mit Baumöl legen, hilft für Gliederreißen, Hexenschuß und Rückenweh. Desgleichen gestreifte und bunte Schnecken im Maitau lesen, in ein Glas mit Salz legen, an die Sonne stellen, ist zu allen frischen Wunden zu gebrauchen." Oder ein anderer Ratschlag, der nicht in den Wonnemonat Mai passt: "Wenn du einen Kropf hast, bestreiche denselben mit Maischnecken und spieße diese an einen Dorn, wenn die Schnecke verdorrt ist, ist auch der Dickhals verschwunden."

Das "Mayenblümlein" überall beliebt

Doch der wichtigste Frühlingsbote war für die Menschen das Maiglöckchen (Convallaria majalis). In Frankreich ist der 1. Mai auch heute noch der "Tag der Maiglöckchen". An diesem Tag steckt man sich in Paris ein Maiglöckchen ins Knopfloch, um das ganze Jahr über Glück zu haben. In Schweden benutzt man das wohlriechende Maiglöckchen von alters her zur Ausschmückung der Stuben. Die Volksmedizin kennt für das Maiglöckchen eine Vielzahl von Anwendungsgebieten: als harntreibendes Mittel, ferner gegen Kopfweh, Schwindel und Schlagfluss (Schlaganfall). In Russland wurde ein alkoholischer Auszug aus den Blüten gegen Epilepsie empfohlen. Dennoch muss die volksmedizinische Verwendung des Maiglöckchens aufgrund seiner Glykoside kritisch gesehen werden. Convallaria majalis war Bestandteil eines berühmten Niespulvers, des "Schneebergers". Niespulver waren früher sehr beliebt, denn nach einer weit verbreiteten Ansicht soll Niesen das Gehirn "reinigen". Die alten Ärzte schrieben dem Maiglöckchen allerlei Heilkräfte zu, insofern das "Mayenblümleinwasser nicht allein das Hirn/Vernunfft und Gedächtnuß kräffiget/ sondern auch das Hertz stärckt und erquicket".

Die Rezepte des Dr. Most

Aus der jährlichen Verwendung der Frühjahrsblüher haben sich die Frühjahrskuren entwickelt, die auch heute viele Anhänger haben. Lassen wir den Arzt und akademischen Lehrer zu Rostock Dr. Georg Friedrich Most (1794 bis 1845) zu Wort kommen. In seiner 1843 erschienenen berühmten "Encyklopädie der Volksmedicin" – damals ein Bestseller –beschreibt er zuerst den gesundheitlichen Wert der "Frühlingscuren" und klagt dann über deren Vernachlässigung: "Diese Curen, wodurch man die Säfte des Körpers verbessern, vermindern, die Schärfe derselben als Ursache chronischer Hautausschläge, der Gicht etc. entfernen und Stockungen des Blutes, des Schleimes und der Galle etc. auflösen und zur Fortschaffung geschickt machen kann, um dadurch theils vor jenen und anderen Krankheiten sich zu schützen, theils sie zu heilen, – sind in neuester Zeit zu sehr vernachlässigt worden …"

Er weist darauf hin, dass Frühlingskuren nur zur Zeit des ersten Frühlings, wo die Natur aus ihrem Winterschlaf erwacht und der Mensch einen neuen Lebensimpuls fühlt, durchzuführen sind. Als Kurdauer nennt er drei bis sechs Wochen in Verbindung mit einer passenden Diät. Dann beschreibt Most die verschiedenen Kuren: Die "Kräuterkur" sieht er als blutreinigendes, Stockungen in Leber, Milz und Pfortader auflösendes Mittel. Die "Milch- und Molkencur" ist für Personen mit schwacher Brust, mit Anlage "zur echten oder knotigen Lungensucht, zu Unterleibsschwindsucht, überhaupt abgezehrten Kindern" zu empfehlen, denn sie "nährt". Die dritte Kur, der "Bitterbrunnen", ist "bei vollsaftigen, robusten Männern, welche Anlage zum Schlagfluss und starken Blutandrang zum Kopfe haben", geeignet. Dabei soll das Bitterwasser über drei bis vier Wochen getrunken werden. Das ist für Most ein "grosses Schutzmittel gegen den plötzlichen Tod oder die nachbleibende Lähmung nach Apoplexie".



Autor:
Ernst-Albert Meyer

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (7) Seite 74-76