… kurier die Leut auf meine Art!“ Das Spottlied haben viele im Ohr. Im Jahr 1663 wurde Johann Andreas Eisenbarth in der Oberpfalz geboren. Doch war er tatsächlich ein Kurpfuscher? Er war zwar kein studierter Arzt, aber als Wanderchirurg war er in halb Europa unterwegs und operierte auf Jahrmärkten. Die Chirurgie galt damals als Handwerksberuf, den man in langen Jahren erlernte. Unser Autor Martin Glauert weiß mehr über diese historische Figur.

Am Ortseingang von Hannoversch Münden steht ein seltsamer Mann. Die weiße Lockenpracht kontrastiert mit seinem knallroten Überrock, darunter schaut ein gelbes Wams heraus, und auch die Gamaschenstiefel wirken seltsam aus der Mode. In den Händen hält er eine große Spritze, zu seinen Füßen steht eine Flasche Medizin. Es handelt sich bei dieser seltsamen Figur um keine Märchengestalt, sondern um den wohl bekanntesten Arzt Deutschlands.

Kasten 1: Studentenulk
Dass Johann Andreas Eisenbarth in Verruf gekommen ist, liegt an dem Spottlied. Es stammt vermutlich von Göttinger Studenten und ist um 1800 entstanden. Sie machen sich darin über die nicht ehrenhaften Wanderchirurgen lustig. Doch mit dem historischen Eisenbarth hat das nichts zu tun.

"Ich bin der Doktor Eisenbarth, kurier die Leu‘ auf meine Art" – dieses Trinklied prägt sein Bild bis heute. "Kann machen, dass die Blinden geh‘n, und dass die Lahmen wieder seh‘n", heißt es spöttisch, doch er war beileibe kein Quacksalber, sondern zu seiner Zeit der berühmteste Chirurg Europas.

Familiäre Vorbelastung

Am 27. März 1663 wurde Johann Andreas Eisenbarth in eine medizinisch vorbelastete Familie geboren, der Großvater war Spitalknecht und Sauschneider, der Vater wagte sich immerhin schon an Leistenbrüche und stach den Grauen Star aus den Augen seiner Nachbarn. Nach zehnjähriger Ausbildung zum "Handwerkschir-
urg" übte Eisenbarth seinen Beruf in lebenslanger Wanderschaft aus, lange sesshaft wurde er nie. Auf Wochen- und Jahrmärkten, auf öffentlichen Plätzen und auf der Straße behandelte er seine Patienten in Zelten oder hölzernen Buden.

Eingriffe ohne Narkose

Das Therapiespektrum war breit: Er operierte Leistenbrüche, Krebsgeschwüre, Blasensteine und den Grauen Star. Für die Entfernung hoch sitzender Nasenpolypen erfand er einen speziellen Polypenhaken. Heute ist es uns unvorstellbar, dass all diese Eingriffe ohne Narkose durchgeführt wurden. Da war es umso wichtiger, dass er "uf eine besonders geschwinde arth, auch ohne große schmerzempfindung" operierte, wie ihm seine Fachkollegen neidisch attestierten. Schon bald eilte sein Ruf ihm voraus. Seine therapeutischen Tourneen führten ihn durch die deutschen Fürstentümer bis nach Polen, Holland, Frankreich und Italien.

Der fähigste Chirurg seiner Zeit …

Ab 1714 durfte er sich auch "Königlich Großbritannischer Landarzt" nennen. Der preußische König ernannte ihn zum Hof-Augenarzt, nachdem er bei einem adeligen Offizier mit Erfolg eine Kugel entfernte, die am rechten Auge in den Kopf eingedrungen war und am linken Auge herausgeschnitten werden musste. Damals galt Eisenbarth bereits als fähigster Operateur weit und breit.

… war auch ein guter Verkäufer

Neben seiner ärztlichen Kunst bewies Johann Andreas Eisenbarth enormes geschäftliches Geschick. Aufgrund zahlreicher fürstlicher Privilegien bekam er die Erlaubnis, seine "Medicinalia" zu verordnen, also eigene Salben, Kräuter und Pillen zu verkaufen und damit in Konkurrenz zu den Apothekern zu treten. Er verkaufte den Patienten Abführmittel, Pulver gegen Schwindel, Zahn- und Kopfschmerzen sowie eine "Universal-Medicin" gegen Unfruchtbarkeit, Syphilis und Gonorrhoe. Seine Heilmittel ließ er in einer eigenen Manufaktur in Magdeburg herstellen, einem umgerüsteten ehemaligen Brauhaus, das rückblickend als erste pharmazeutische Fabrik in Deutschland gilt. Sogar eine Versandapotheke richtete er ein, und das ist nur eine von vielen hochaktuellen Parallelen zur Gegenwart.

Popstar seiner Zunft

Als einer der ersten Ärzte in Deutschland warb er mit Flugblättern und Zeitungsinseraten im Vorfeld für seine Behandlungen. Erfolgreich operierte Patienten wurden namentlich erwähnt. Dann reiste er an wie ein Popstar. Im Laufe der Zeit entwickelten sich seine Auftritte zu regelrechten Großveranstaltungen, zeitweise war er mit einem Tross von 120 Helfern unterwegs, darunter Schauspieler, Trompeter und Trommler, Pferdeknechte und Köche. Gaukler führten Kunststücke auf, Ausrufer lockten Publikum und Patienten an. Eisenbarth selbst trat in einem scharlachroten Herrenrock auf, trug eine weiße Perücke und darüber einen Dreispitz. Auch wenn seine Behandlungen oft wie ein Spektakel aufgeführt wurden, waren sie im Kern seriös.

Kasten 1: Eigenschaften eines Chirurgen
"Er soll jung sein, eine ruhige Hand haben, darf nicht zittern, muss scharfe Augen haben, muss rechts- und linkshändig sein, aber ganz besonders wichtig war, dass er dieser Situation gewachsen war, der Operation, bei der der Patient laut schrie. Und deswegen muss er unerschrocken sein, und wo es nötig, unbarmherzig."

Zitat aus einem historischen Lehrbuch der Chirurgie. Darin wird beschrieben, welche Voraussetzungen ein Chirurg zur damaligen Zeit mitbringen musste.

In der Altstadt von Hannoversch Münden scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Das Rathaus sieht aus wie ein barockes Schloss. Säulen, Wappen und märchenhafte Figuren zieren das Hauptportal. Am Giebel öffnet sich jeden Tag pünktlich um 17 Uhr eine Luke, unter Glockenspiel tritt eine kuriose Truppe auf. Gaukler schlagen Rad, mittendrin aber sitzt ein beklagenswerter Patient mit Kopfverband, dem soeben mit einer riesigen Zange ein noch blutender Zahn ausgerissen wurde. Täter ist der uns bereits bekannte Mann mit rotem Frack und weißer Perücke. Das ist unterhaltsam, wird dem echten Doktor Eisenbarth jedoch nicht gerecht. Auf der Bühne vollführte Eisenbarth die einfachen, aber eindrucksvollen Operationen wie das Ziehen eines Zahnes mit großem Brimborium. Die schwierigen Eingriffe jedoch übte er in dem Hotel aus, wo er selbst residierte. Nach jedem Eingriff versorgte er seine Patienten wundärztlich und betreute sie bis zu ihrer vollständigen Heilung. Deshalb konnte er es sich im Gegensatz zu Pfuschern und Scharlatanen leisten, mehrfach zu einem Ort zurückzukommen. Arme behandelte er umsonst.

Er war anders als sein Ruf

Selbst konnte er sich nicht helfen. Kurz nachdem er in Begleitung seines Sohnes in Hannoversch Münden eingetroffen war, erlitt er seinen zweiten Schlaganfall. Im Alter von 64 Jahren starb er im Gasthof "Zum Wilden Mann". Noch fünf Tage vor seinem Tod empfing und behandelte er dort Patienten. An der Fassade seines Sterbehauses hängt eine farbige Holzstatue des Chirurgen, die ihn mit Klistierspritze in den Händen und Arzneiflasche an seinen Füßen darstellt. Daneben steht der Satz: "Er war anders als sein Ruf!"





Autor:
Martin Glauert

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (11) Seite 72-74