Die Grüne Insel im Atlantik ist vornehmlich für ihre kargen, dramatischen oder auch zauberhaften Landschaften, ihre beeindruckenden Burgen und Schlösser bekannt. Und natürlich auch für das Nationalgetränk – den Whiskey. Doch unser Autor und Arzt Martin Glauert hat auf seiner Irlandreise noch ganz andere, erstaunliche Entdeckungen gemacht. Und die haben mit dem Thema Gesundheit zu tun.

Der Strand von Streedagh Beach ist endlos weit. Ein frischer Wind weht vom Atlantik, die Wellen schlagen gegen die Felsen an der Küste. Nirgendwo sonst findet man eine so reiche Auswahl an Meeresalgen wie hier im äußersten Nordwesten von Irland, wo die Natur noch unberührt ist. Aber kann man das Glibberzeug wirklich essen? "Versucht das mal!", ruft Prannie fröhlich und reicht ein rötliches, ledriges Blatt, das sie gerade mit ihrer Schere abgeschnitten hat. "Dillisk, ganz jung!" Sehr vorsichtig schieben wir das Ding in den Mund, auf alles gefasst. So schlimm ist es aber gar nicht, tatsächlich schmeckt dieses Blatt frisch und fruchtig, wie ein knackiges Kaugummi.

Gesunde Meeresalgen

Dr. Prannie Rhatigan ist Irlands beste Expertin für Meeresalgen, hält Vorträge darüber in aller Welt und führt uns ahnungslose Neulinge durch das knöchelhohe Wasser. Als Ärztin weiß sie, wie gesund diese seltsamen Pflanzen sind. Das neongrüne Seegras sieht ziemlich giftig aus, enthält jedoch enorm viel Vitamin B12. Der Blasentang verfügt über eine Bindungsstelle, an die Helicobacter pylori andockt und so eliminiert wird. Japanische Forscher sind auf dem Gebiet federführend, sie haben herausgefunden, dass Meeresalgen gegen Übergewicht und Bluthochdruck, gegen Infektionen und einige sogar gegen Krebs wirksam sind. "Das wussten schon unsere Großmütter", schmunzelt Prannie. Knorpeltang gehörte in jeden Haushalt, er besserte den schlimmen Husten, der in Irland weit verbreitet war.

Ob das wirklich nur an der Heilkraft der Alge lag, am Zitronensaft oder etwa am Whiskey, der zum Rezept gehörte, sei dahingestellt. Immer wieder fischt sie ein exotisches Exemplar aus den Wellen, schneidet mit der rostigen Schere ein Stück ab und lässt uns davon kosten. Wer hätte gedacht, dass diese glitschigen Gewächse schon roh so gut schmecken können! Was in ihnen steckt, entfaltet sich so richtig aber erst, als am Abend ein Lagerfeuer am Strand entzündet wird. Darüber brodelt in einem großen Kessel die heutige Ernte aus irischem See-tang zusammen mit frischen Muscheln. Eine ausgefallene Delikatesse, so lecker, man könnte sich reinsetzen!

Reise-Tipps:
Direktflüge nach Dublin von vielen deutschen Flughäfen. Die längste Erfahrung hat AerLingus. Von Dublin im Mietwagen etwa 3 Stunden Fahrzeit bis Sligo.

Unterkunft: Sligo an der Westküste Irlands ist eine gemütliche Kleinstadt mit lebendiger Kneipen- und Musikszene. Im Ort gibt es einige kleinere Hotels, daneben auch hübsche Bed & Breakfast-Pensionen. Besonderer Tipp: Ardtarmon House, ein altes Herrenhaus voller Tradition, familiär geführt von Charles Henry und seiner deutschen Ehefrau Christa. Ardtarmon House liegt idyllisch abgeschieden zwischen Sligo und Streedagh Beach.

Ausflüge: Algenabenteuer am Streedagh Beach, 20 Minuten mit dem Auto von Sligo entfernt. Dr. Prannie Rathigan bietet für kleine Gruppen Exkursionen am Strand an, bei denen man die verschiedenen Meeresalgen kennenlernt und gleich vor Ort probieren kann. Bei der "Coney Island Experience" wird anschließend ein Lagerfeuer am Strand entzündet, in einem Kessel werden Seetang und Muscheln frisch gekocht und gemeinsam genossen. Daneben bietet Prannie Kurse in Fermentierung von Algen und auch Kochkurse an.

Ein genüssliches Bad in einer Wanne voller Seetang, der direkt aus dem Meer geholt wird, bietet das traditionsreiche Enniscrone Seaweed Baths, etwa 45 Minuten Fahrzeit von Sligo entfernt. Der Charme der 1920er-Jahre atmet in den liebevoll restaurierten Kabinen, Entspannung garantiert!

Essen und Trinken: Auf der Halbinsel Mullaghmore wartet direkt am kleinen Fischerhafen ein kulinarisches Juwel. Die Fassade von Eithna’s by the sea ist unübersehbar, tiefblau gestrichen wie eine Unterwasserwelt. Neben der Eingangstür liegen alte Hummerkäfige. Die Sunday Times hat das Restaurant auf Platz eins der fünfzig besten Fischlokale Irlands gekürt. Der Fisch kommt frisch vom Kutter, Skipper Freddy ist 80 Jahre alt und noch topfit. Fisch ist offenbar gesund!

Baden im Seetang

Das kann man tatsächlich machen, und nirgends schöner als in Enniscrone. Eine kräftige Brise weht von der See her, Sprühregen weht einem ins Gesicht. Kühl und ungemütlich ist es heute, da wäre ein warmes Bad genau das Richtige. Direkt am Strand, hart an die Klippen gelehnt, steht eine weiße Burg mit Türmen und Zinnen, das "Cliff Bath". Leider ist das Tor verschlossen, die Burg seit Jahren verlassen.

Doch die Rettung liegt zum Glück nur hundert Schritte entfernt: das neue Bad. "So neu sind wir auch nicht mehr", schmunzelt Edward, der in dritter Generation den Laden leitet. Und tatsächlich atmet das gesamte Ambiente den Charme der Jahrhundertwende. Alte Fliesen mit zarten Blumenornamenten hängen an den Wänden. Zu beiden Seiten des Ganges befinden sich kleine Badekammern, in jeder steht eine massive alte Badewanne aus Porzellan.

Als Edward die bronzene Armatur aufdreht, zischt kochend heißes Wasser hervor, im Nu ist der ganze Raum von Dampf erfüllt. In der Wanne schwimmt brauner Seetang, der sich unter der Hitze hellgrün verfärbt. Ein angenehmer Geruch breitet sich aus. Man steigt in die Wanne, deckt sich mit den Algen zu und fühlt sich sofort angenehm behütet. Wie mit einem Schwamm kann man sich mit dem Tang von Kopf bis Fuß abreiben. Ein Geheimtipp für schöne Haut, andere schwören auf die Entgiftung des Organismus und die Lösung von Muskelverspannungen. Das Salzwasser aus dem Meer hat einen ganz besonderen Effekt: Beim Einatmen steigt der Körper hoch, beim Ausatmen sinkt man wieder ab. Regelrecht schwerelos treibt man so im Wasser und vergisst die Zeit. Danach aber ist man tiefenentspannt, müde und vor allem: glücklich.



Autor:
Martin Glauert

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (3) Seite 80-81