Im vorletzten Jahrhundert war der Chiemsee ein Magnet für zivilisationsmüde Künstler. Heute tummeln sich vor allem Touristen auf König Ludwigs Spuren, doch manch einer hat neben Wanderschuhen auch Aquarellpapier und Farben im Gepäck und pinselt liebevoll "seine" Fraueninsel.

Das Wasser für mein Bild schöpfe ich direkt aus dem Chiemsee, in dem ich gleichzeitig die Füße kühle. Vor mir eine Staffelei, auf die 300 Gramm starkes Aquarellpapier geklebt ist, dahinter der berühmte Blick auf die zwölf Hektar kleine Fraueninsel. Neben mir der Anlegesteg der zwanzigmal größeren Herreninsel. Über 400.000 Touristen besuchen hier jährlich das vom Märchenkönig Ludwig II. 1878 in Auftrag gegebene Neue Schloss.

Künstler zieht es in die Natur

Nur ein Bruchteil der Besucher schlendert auch durch das Alte Schloss, das Augustiner-Chorherrenstift. Und verpasst damit nicht nur den historischen Raum des Verfassungskonvents von 1948, in dem unser Grundgesetz entstand, sondern auch die original eingerichteten ehemaligen Wohnräume des berühmtesten Wittelsbachers. Zudem sind zwei Galerien den Chiemsee-Malern gewidmet. Max I. Josef hatte die Maler einst aufs Land geschickt, um das Alltagsleben der Bauern und Fischer zu dokumentieren. Fasziniert von den Lichtstimmungen kamen immer mehr Städter und gründeten Künstlerkolonien, um sich vom freien, ungebundenen Landleben inspirieren zu lassen. Sie wandten sich von der akademischen Atelier-Malerei ab und arbeiteten im Freien. Gerade war die Farbtube erfunden worden, man zog mit kleinen Leinwänden auf der Staffelei an die idyllischen Flecken. Die Formate wurden intimer. Besonderer Anziehungspunkt war die Fraueninsel, legendär wurde der Künstlerstammtisch in der "Linde".

Reise-Informationen

Noch heute sind viele Maler am See tätig. Etwa Franz Josef Feistl, der in seinem Atelier in Aschau gerade mit Pastellkreide an einer Bachszene arbeitet. Die Kreide hat keine Bindemittel, fast nur Pigmente, schwärmt der charismatische Maler "Da geht man so richtig in der Farbe auf". Auf die Frage, ob das Bild schon fast fertig sei, meint er: "Na, no ned. S‘ Wasser muss no nass werd’n", und arbeitet weiter an den Spiegelungen.

Auch das Atelier des berühmtesten Chiemsee-Malers kann man besichtigen, das Künstlerhaus Exter in Übersee-Feldwies. In seinem ehemaligen Wohnhaus finden Wechselausstellungen statt. Steht man im Garten inmitten von Rosen und Rittersporn, scheinen seine zuvor im Alten Schloss in Herrenchiemsee gesehenen Blumenbilder lebendig zu werden. Das Atelier im ersten Stock ist vollständig erhalten. Julius Exter, ab 1902 Königlicher Professor in München, hatte das Bauernhaus zum Künstlersitz und zur Malschule umbauen lassen und ab 1917 mit seiner Frau und seinen beiden Kindern bis zu seinem Tod 1939 bewohnt.

Karibik-Feeling am Bayern-Meer

In Übersee erleben wir einen großartigen Sonnenuntergang. Nicht ganz alleine, findet doch heute am Strandbad Übersee die Beachparty statt. Da dröhnen die Verstärker "one day baby we’ll be old", das überwiegend jugendliche Publikum genießt mit dem Sundowner in der Hand am Ufer sitzend die geradezu karibische Stimmung am achtzig Quadratkilometer großen bayerischen Meer.

Schrittekönig gesucht
Fast drei Viertel der Gäste nutzen ihren Urlaub im Chiemgau zum Wandern. Das hat laut Professor Dr. Peter Schwarz von der Universität Dresden auch einen ausgeprägten Nutzen für die Gesundheit: "Wandern ist perfekte Prävention." Gemeinsam mit Chiemgau Tourismus e. V. möchte der Mediziner noch mehr Menschen für das Wandern begeistern – zunächst im Urlaub, dann auch im Alltag. Deshalb ist der Chiemgau nun eine Pilotregion für die Handy-App "AnkerSteps". Wer täglich 10.000 Schritte schafft, auf den warten neben dem gesundheitlichen Nutzen auch Belohnungen – etwa ein Gratis-Urlaub im Chiemgau.

Basis für die Aktion "10.000 Schritte im Chiemgau" ist die an der Universität Dresden entwickelte kostenlose Smartphone-App "AnkerSteps". Urlaubsgäste, die das Programm heruntergeladen haben, erhalten bei ihrer Ankunft im Chiemgau einen Code, der ihre tägliche Schrittzahl der Region zuordnet.

Prof. Schwarz leitet die Abteilung für Diabetes-Prävention an der Universität Dresden. "Mit regelmäßiger, täglicher Bewegung kann jeder sein persönliches Risiko für Diabetes und andere Zivilisationskrankheiten drastisch senken", weiß der 47-Jährige, der die Bewegungs-App entwickelt hat. Sie werde vielfach von Unternehmen für das betriebliche Gesundheitsmanagement genutzt, sagt Schwarz. Mit dem Chiemgau gehe die App nun neue Wege: "Ein Wanderurlaub ist ein idealer Start in ein Leben mit mehr Bewegung, und der Chiemgau bietet dafür die idealen Voraussetzungen. In so einer Umgebung ist Prävention keine trockene Pflicht, sondern macht Spaß. Entscheidend ist natürlich, dass nach dem Urlaub die Bewegung beibehalten wird."

Im Tourenportal sind rund 100 Wanderungen vorgestellt. Die Seite nennt nicht nur Länge, Höhendifferenz und Schwierigkeitsgrad einer Tour, sondern auch die Anzahl der Schritte.

Ein Glas des kristallklaren Chiemsee-Wassers haben wir am nächsten Morgen auf unserer Staffelei stehen, als die Aquarellmalerin Petra Habenstein uns ermutigt, einfach zu malen, was wir sehen. Mit ein paar Bleistiftstrichen skizzieren wir den Horizont und die Dreiecke, die wir für die Segel der Boote frei lassen wollen. Hin und wieder schaut uns ein Japaner interessiert über die Schulter und lichtet uns Maler samt Fraueninsel im Hintergrund ab, doch das beeinträchtigt die Konzentration kaum. Nach einer Stunde kann man auf meinem in der Sonne schnell trocknenden Blatt den Turm des Münsters erkennen und die hohen Linden der Insel. Zugegeben – die sich putzenden Enten im Vordergrund sind nicht ganz so eindeutig zu identifizieren. Aber ein bisschen künstlerische Freiheit darf ja wohl sein.



Autorin:
Andrea Reck

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (16) Seite 102-104