Der goldene Herbst ist die schönste Jahreszeit in Südtirol. Das behaupten zumindest die Einheimischen. Nie seien der Himmel blauer und die Farben intensiver. Die Luft kristallklar und auf den Höhen scheint der Weitblick ungebremst. Wenn dem so ist, dachte sich unsere Reiseautorin Heidrun Lange, dann nichts wie hin: Den Wanderrucksack geschnürt und schon kann es losgehen – nach Sterzing.

Sterzing, die alte Fuggerstadt, ist lebendig und die Straßencafés sind mit Leben prall gefüllt. Baumeister, Maler und Bildhauer haben viele kulturelle Kostbarkeiten hinterlassen, dass man Mühe hat, sie alle anzuschauen. Sterzings Wahrzeichen ist der 46 Meter hohe Zwölferturm. Eine uralte Geschichte erzählen die Stadtführer: Im 14. Jahrhundert rief man die Bürger zwischen der Alt- und der Neustadt zur Mittagspause. Nach einem Aufstieg von über 100 steilen Stufen öffnet sich die Stube für die Feuer- und Nachtwache. Wenn Feinde anrückten, versammelten sich die Truppen unten auf dem Stadtplatz.

Goethe war erbost

Seine Blütezeit erlebte Sterzing während der Zeit der florierenden Italien-Reisen, als unter anderem auch Johann Wolfgang von Goethe an Sterzing vorbeizog, sowie um 1900 mit dem Aufflammen des Alpintourismus, der die markante Bergwelt in der Umgebung erschloss. Das Gasthaus Krone am Ende der Sterzinger Altstadt war sehr beliebt. Doch nicht bei jedem. Johann Wolfgang von Goethe war erbost, als er seiner Meinung nach an der Rezeption nicht standesgemäß empfangen wurde. In seinen Aufzeichnungen beschwert er sich: "Als ich um neun Uhr nach Sterzing gelangte, gab man mir zu verstehen, dass man mich gleich wieder wegwünsche." Er reiste weiter und ließ seine italienische Reise südlicher beginnen. Für Heine war der Empfang gut genug, er blieb mehr als 14 Tage und war begeistert.

Stadtbild aus dem 15. Jahrhundert

Die alten Gemäuer lassen erahnen, wie das Leben hier vor vielen Jahrhunderten mal war. Noch immer ziert die Fassaden der Stadthäuser ein Erker, ein mit Fenstern versehener Fassadenvorbau, der in die belebte Stadtgasse hineinragt. Heute eine kunstvolle Zierde, damals wegen der besseren Lichteinstrahlung ein praktischer Nutzen. Inzwischen ist die Innenstadt bekannt für ihre Cafés und distinguierten Kolonialwarengeschäfte wie Mair Mair mit Feinkost, Spirituosen und Südtiroler Weinen. Der Latte Macchiato wird in den Gassen von Sterzing genauso kunstvoll aufgeschäumt wie in einer Kleinstadt in der Toskana. Von den Cafés zum Rathaus ist es nicht weit. Ein solides Bürgerhaus, das im 15. Jahrhundert nach Plänen des Baumeisters Jörg Kölderer seine heutige Form erhielt und bis heute unverändert erhalten geblieben ist. Hinter dem markanten Eck-Erker aus dem Jahr 1524 verbirgt sich der historische Ratssaal, der als einer der schönsten seiner Art in ganz Tirol gilt.

Gaumenschmaus auf dem Bauernmarkt

Im Schatten des Zwölferturms lockt jeden Dienstag und Freitag der Markt. Bauern aus den umliegenden Tälern bauen bunt leuchtende Obst- und Gemüsestände auf. Seit jeher verstehen es die Südtiroler, aus einfachen Zutaten einen Gaumenschmaus zu bereiten: Speck, Knödel, Krapfen oder Käse, der zu jedem Almsommer dazugehört, geben Einblick in ein einfaches Leben, das im Einklang mit der Natur steht. Am Stand von Max Kasslatter drängen sich die Leute und kaufen Speck von glücklichen Schweinen vom Messnerhof aus Pfitsch. Am nächsten Stand räuchert Fischzüchter Andy Gogl seine Forellen über Buchenholz. Egon Hofer ist Käsespezialist. Seine Kühe leben im Sommer auf den oben gelegenen Wiesen und bekommen saftige Kräuter und Gräser, im Winter getrocknetes Heu. An neuen Ideen fehlt es ihm nicht. Er verfeinert seinen Heumilch-Käse mit Wacholder oder Pilzen. Die Bäuerinnen backen auf der Bühne Krapfen. "Die Hauptsache ist die Füllung", erklären die Frauen. Pikant schmecken sie, gefüllt mit Kraut oder Spinat. Für Süßmäuler werden die Krapfen mit Mohn, Topfen und Äpfeln gefüllt. Sepp Holzer und seine Frau Gabi bieten Kräutertees an. Alles rein biologisch. Was duftende Kräuter anbelangt, so hatten die beiden einfach den richtigen Riecher. Vor 14 Jahren, als man in Italien das Wort "biologisch" noch gar nicht so richtig kannte, fingen sie bereits an, auf ihren Wiesen im Wipptal Kräuter und Gewürze anzupflanzen. Heute wachsen auf einem halben Hektar knapp 70 verschiedene Heil- und Würzkräuter. Man kann sie im Topf kaufen oder getrocknet, gemischt und abgepackt, zum Beispiel: den Bergkräutertee aus Zitronenmelisse, Pfefferminze, Weiße Melisse und Krauseminze. Doch die gerade gewachsenen Kräuter schmecken nach der Wintersaison besonders frisch.

Und man kann auch wandern

Außerhalb der Stadt geht es in die Natur. Vom Stadtzentrum aus sind es nur wenige Schritte bis zur Talstation der Gondelbahn Rosskopf. Die Sechser-Gondeln fördern Wanderer, Mountainbiker und alle Erholungssuchenden auf das 2.000 m hohe Hochplateau.

Ob rasante oder abenteuerliche Skifahrt, einfache Wanderung, kräftezehrende Gipfeltour oder anspruchsvolle Klettertour: Hier gibt es für jede Kondition etwas. Und immer hat man das Südtiroler Panorama im Blick, der über das Wipptal bis in die Eisacktaler Dolomiten reicht. Berge erheben sich in die Höhe. Und was für Berge! Hohe Felstürme, mächtige Wände, bizarre Zacken, die weißgrau oder orange leuchten. Die höchstgelegene Sternhütte im Wandergebiet Rosskopf ist beliebt, die altbäuerlichen Spezialitäten der Südtiroler Küche ebenfalls. "Knödl-Tris" von Semmelknödeln mit Pilzen, Käse und Spinat.

Reiseinformationen
Tourismusverein Sterzing ( http://www.sterzing.com )

Anreise: Flug von allen größeren Städten nach Innsbruck. z. B. Lufthansa, Austrian Airlines. Von Innsbruck mit dem Mietauto nach Sterzing dauert es ca. eine Stunde.

Sterzinger Bauernmarkt: Jeden Freitag von Mai bis Ende Oktober findet auf dem Stadtplatz von 9 bis 13 Uhr der Bauernmarkt statt. Auf einer Bühne werden von Ortsbäuerinnen die traditionellen Sterzinger Krapfen gebacken. Man holt sich auch Käse, Speck und Fisch und genießt das Essen an bereitgestellten Bänken und Tischen im Schatten des historischen Zwölferturmes.

Kräutergärten Wipptal: Der Hofladen von Gabi Holzer, am Steirerhof in Wiesen im Wipptal, hat dienstags und donnerstags von 16 bis 18 Uhr geöffnet ( http://www.biowipptal.it ).

Hoteltipp: "Parkhotel zum Engel" von Fini Schafer, Deutschhausstraße 20, Sterzing: Halbpension mit Jause und servierter Gourmetküche, Hallenbad, Wellness und 6.000 Quadratmeter Parklandschaft, neue Fugger-Suiten in modernem Alpen-Chalet-Stil ab 105 €/Tag und Person inkl. Parkplatz ( http://www.zum-engel.it )



Autorin:
Heidrun Lange

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (15) Seite 104-106