Schon Johann Wolfgang von Goethe schätzte die Vielfalt der Region um das Städtchen Andermatt im Herzen der Schweizer Alpen. Die Gegend ist im Winter und Sommer der ideale Ort für erholungssuchende Naturliebhaber, die unvergessliche Momente in einer fantastischen Bergwelt suchen. So findet sich hier auch das größte Zentralschweizer Skigebiet und die perfekte Kulisse für Winteraktivitäten mit Langlaufloipen, Winterwanderungen und Schneeschuhtrails, wie unsere Reiseautorin Dr. Renate Scheiper selbst erfahren durfte.

Was ist das denn? Oben unter der Decke bei der Station der Luftseilbahn Intschi-Arnisee im Herzen der Schweiz im Kanton Uri hängt ein großer Holzkasten. "Ist das der Ersatz der Kabine, falls die mal ausfallen sollte?", frage ich im Scherz Walter Arnold, der ehrenamtlich den Betrieb der kleinen Luftseilbahn überwacht. "Nein", lacht er. "Aber der Winter brach so früh über uns herein, dass wir die Kühe von der Alm nicht mehr durch den hohen Schnee ins Tal treiben konnten. Also bauten wir diese stabile, oben offene Holzkiste, hängten die normale Gondel aus und brachten die Tiere immer zwei und zwei sicher hinunter." Er reibt sich die Hände noch immer vor Vergnügen über diesen Streich, den die pfiffigen Älpler dem Wettergott gespielt haben. Wir steigen ein in die wirklich winzige Kabine, die maximal "acht Personen mit Handgepäck und sechs Personen mit Skiausrüstung" fasst, wie ein großes Schild anweist. Wir sind sieben Personen.

Mit Schneeschuhen zum Arnisee

Wir reihen uns ordentlich hinter- und nebeneinander, schließen die Tür, Walter Arnold drückt auf den Knopf – und auf geht’s. Stehend mit eingezogenen Bäuchen schweben wir über tief verschneite Nadelwälder mit Blick in die Bergwelt, die mit jedem Höhenmeter prächtiger wird. Nach genau sechs Minuten sind wir oben auf der Station "Arnisee", der einzigen Station überhaupt. Die Schneeschuhe, mit denen wir wandern wollen, leihen wir uns im "Berggasthaus Alpenblick", wenige Meter über der Station gelegen mit atemberaubendem Rundumblick über die Bergwelt mit mehreren Dreitausendern. Hier werden wir auch übernachten – eine große Überraschung. Dazu später. Dort lassen wir auch das kleine Gepäck. Denn unser "Hauptquartier" ist in Andermatt. Von dort sind wir mit der Matterhorn-Gotthard-Bahn bis nach Göschenen gefahren, umgestiegen auf den Postbus bis zur Talstation Arnisee. Nun sind wir auf 1.370 m Höhe, besser gesagt Tiefe – denn Andermatt liegt 1.444 m hoch.

Schmunzelnd gibt uns Osi, der Wirt vom "Berggasthaus" mit prächtigem, weißem Schnauzbart, den Rat, sich ordentlich ins Zeug zu legen bei der Wanderung, denn seine Mirjam bereite ein kräftiges Abendessen vor. Wir schnallen die Schneeschuhe an und schon laufen wir durch eine weiß gepuderte Märchenlandschaft. Den Weg säumen hohe, tief verschneite Tannen, deren Äste von der Last des Schnees tief gebeugt sind. Absolute Stille. Ein Hase hüpft wie tänzerisch durch das weiße Polster der Erde. Allmählich kämpft sich der blaue Himmel durch die Wolken. Ein Schild weist auf einen Wanderweg zum geometrischen Mittelpunkt des Kantons Uri hin.

Stilles Bergpanorama

Dann öffnet sich der Wald und gibt den Blick auf eine weite, einsame, von Tannen und Bergen gesäumte Bilderbuchszene frei, in deren Mitte der Arnisee liegt. Nur an einem kleinen, nicht zugefrorenen Teil des Sees spiegeln sich Himmel und Landschaft. Ansonsten ist der See jetzt nur zu ahnen unter der Schneedecke. Es herrscht eine fast feierliche Stille. Wir können uns nicht sattsehen an dem großartigen Bergpanorama, hinter dem im Süden Italien liegt, an den verschneiten Wäldern und nehmen uns viel Zeit. Etwas abseits hat man eine kleine Kapelle aus Schnee gebaut – sogar mit einem Glocken-"Turm" daneben und einer echten Glocke an einem Holzgestell. Wir machen einem Schneepflug Platz, der die breiten Wanderwege begehbar macht. Ein weiteres Schild weist fast unendlich viele Ziele aus. Tafeln informieren über Besonderheiten der Pflanzen- und Tierwelt.

Auch im Sommer ist es hier wundervoll und vor allem blumenreich, erfahren wir später von dem reizenden Gastgeberpaar, das mit Herzblut das kleine Berggasthaus betreibt. Doch wir nutzen den Nachmittag bis zum Dunkelwerden, machen Abstecher in jede Richtung, mal aufwärts, mal abwärts. Mit den sich bei jedem Schritt in den Schnee krallenden Schneeschuhen geht das nach einiger Übung bestens. Wenn man fällt, fällt man weich. Und immer wieder atmen wir tief die würzige Luft ein.

Reise-Informationen:
Berggasthaus Alpenblick, Mirjam u. Osi Ehrler, CH 6476 Arnisee, E-Mail: info@berggasthaus-alpenblick.ch , Tel: 0041 41 883 03 42.

Ganzjährig geöffnet. Zimmer im Haupthaus oder Schlaf-Fässer neben dem Haus. Das Berggasthaus ist nur zu Fuß (ca. 1,5 Std.) oder mit der Luftseilbahn Intschi-Arnisee erreichbar. Außerhalb der Öffnungszeiten ist der Betrieb der Seilbahn seit Herbst 2018 mit Jeton möglich, im Berggasthaus zu kaufen. Schneeschuhe kosten 12 CHF pro Tag.

Anreise: Mit dem Zug von Andermatt bis Göschenen, von dort mit dem Postbus bis zur Station Intschi. Seilbahn Intschi-Arnisee.

So sind wir mit gutem Appetit nach drei Stunden in unserem Quartier zurück. Gemütlich ist die Gaststube. Serviert werden mit Käse gezauberte "Älpli-Makkaroni", die umwerfend gut sind. Mehrmals bitten wir um einen "Nachschlag". Dazu gibt es ein Apfelmus, dessen Früchte im Paradies gewachsen sein müssen. Auch davon bleibt nichts übrig. "So ist’s halt bei uns – reinste Natur!", freut sich die Köchin. Und ihr Ehemann beglückt uns danach mit einem natürlich selbst gebrauten "Glühwein" aus Beeren. Auch so etwas Gutes kann es nur hier geben, versichern uns andere Gäste, die sogar aus Andermatt kommen, um diese einmalige Atmosphäre zu genießen. "Vor allem, da man bald nicht mehr auf die letzte planmäßig fahrende Gondel angewiesen ist zur Talfahrt!", sagt ein begeisterter Stammgast. "Wieso das?", fragen wir. Das Geheimnis: Im Herbst 2018 wurde der Betrieb der Seilbahn umgestellt. Seitdem kann man unten in der Station oder bei Osi Jetons kaufen und im "Selbstbetrieb" fahren – die ganze Nacht lang, wenn man möchte. Aha.

Nächtigen im Fass

Wir aber brauchen keine Jetons. Denn kuschelige zwei Nächte stehen uns bevor im gemütlichen Schlaf-Fass wenige Schritte vom Haus entfernt, eigentlich mitten im Wald. Durch ein Fenster können wir hinausschauen. Auch die Tür hat Glasscheiben. Wir schlafen himmlisch. Das heißt, immer wieder stehen wir auf, treten barfuß vor die Tür und verlieren uns in der Unendlichkeit des millionenfach funkelnden Sternenhimmels.

Ein fast unwirklich kräftiges Frühstück erwartet uns am Morgen. Ein weiterer wundervoller Wandertag beginnt. Und wir freuen uns schon auf die zweite Nacht im Fass – wo hat man das sonst?! Denn zurück in Andermatt schlafen wir wieder in einem normalen Hotel – zwar mit eigenem Bad, aber völlig unromantisch.



Autorin:
Dr. Renate V. Scheiper

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (3) Seite 84-86