Was bringt die Zukunft in Sachen Corona-Pandemie? Wie gefährlich sind die neuen Mutanten? Droht trotz fortschreitender Durchimpfung eine dritte Welle? Ist die aktuelle Priorisierung beim Impfen überhaupt sinnvoll oder sind andere Strategien gefragt? Diese und viele andere Fragen diskutierten internationale Experten am 3. März 2021 bei einem vom Max-Delbrück-Centrum (MDC) und der Initiative „Immunologie und Entzündung“ der Helmholtz-Gemeinschaft organisierten virtuellen Symposium.

Fast 3000 Teilnehmer hatten sich während der ca. fünfstündigen Veranstaltung zugeschaltet, die von Dr. Michaela di Virgilio und Prof. Dr. Klaus Rajewsky vom MDC moderiert wurde. Gedacht war das Symposium in erster Linie für Wissenschaftler, aber auch für interessierte Laien. Allerdings waren die in englisch vorgetragenen Präsentationen teilweise doch recht komplex. Im folgenden Beitrag sollen die interessantesten Gesichtspunkte beleuchtet werden.

Den Anfang in der Kette der Redner machte Prof. Dr. Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Der Physiker erklärte mathematische Modelle, die helfen könnten, die Entwicklung der Pandemie zu prognostizieren und kommentierte den bisherigen Verlauf. Ein Maß für das Tempo der Verbreitung sei dabei die sogenannte Reproduktionszahl, die angibt, wieviel Personen von einer Person angesteckt werden. Der Wendepunkt der jetzigen Pandemie scheint bei einem Wert um die 1 zu liegen, so der Experte. Das reiche aber nicht aus, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen. Dazu seien Werte um die 0,75 erforderlich. Zurzeit (Anfang März) liegt die Reproduktionszahl knapp über 1, Tendenz steigend. Meyer-Hermann befürchtet eine dritte Welle. Die derzeitigen Lockerungsmaßnahmen hält er für gefährlich. Die aktuellen Zahlen würden zunehmend die Voraussagen seiner Arbeitsgruppe bezüglich der neuen Variante übertreffen, das sei besorgniserregend und bedeute, dass etwas vor sich geht, das wir nicht verstehen.

Ernüchternde Prognosen

Um die Pandemie zu kontrollieren, müssten die Kontakte um 75 % reduziert werden, machte er klar, bei -50 % würde das Niveau nur gehalten. Mitte Oktober, erinnerte der Experte, hatten wir ein exponentielles Wachstum, die Politik hat aber noch zwei Wochen gewartet bis zum Lockdown und die Lockerungen an Weihnachten führten zu einem weiteren Anstieg. Die Mutationen übernehmen jetzt das Zepter und allein die Impfungen werden die dritte Welle nicht verhindern können, ist er überzeugt. Er plädierte für die NoCovid-Strategie. Die Eckpunkte: Die Infektionszahlen auf nahezu 0 senken, Übertragungen und Reinfektionen durch Mobilitätseinschränkungen, Tests und Quarantänen eindämmen und neue Ausbrüche rigoros bekämpfen und eine systematische Öffnungsstrategie statt „Jojo-Maßnahmen“ einführen (Einzelheiten unter http://nocovid-europe.eu). Nur so sei es möglich, zu einem nahezu normalen Leben zurückzukehren.

Die jungen Menschen zuerst impfen!

Was die Priorisierung beim Impfen angeht, hält Meyer-Hermann es für vielversprechender, was die Pandemiebekämpfung angeht, nicht die alten Menschen zuerst zu impfen, sondern die Gruppe der jungen Erwachsenen, die viele Kontakte haben und daher als Superspreader fungieren.

Die Wirtschaft in Deutschland verkraftet die Lockdown-Maßnahemn eigentlich ganz gut, meinte der Physiker, zurzeit lägen die Einbußen nur bei ca. 3 %, und dies sei weniger dem Lockdown als dem Virus selbst geschuldet. Auf die Frage „brauchen wir strengere Lockdown-Maßnahmen“, antwortete er mit einem klaren „Ja“. Der Jahreszeiten-Effekt mit derzeit steigenden Temperaturen könne die Infektionszahlen vielleicht um 10 % sinken lassen, mehr erhofft er sich davon nicht.

Krankheitsverlauf: eine Frage der Auto-Antikörper?

Prof. Jean-Laurent Casanova von der Rockefeller University, New York, beleuchtete den Umstand, dass COVID-19 bei einem sehr kleinen Anteil der Infizierten (3-4 %) sehr schwer verläuft, die meisten jedoch (über 90 %) gar keine Symptome haben. Dafür könnten genetische und immunologische Mechanismen einer angeborenen Immunität verantwortlich sein. Spezielle Autoantikörper sind möglicherweise Teil der Antwort. Tiefere Erkenntnisse erhofft man sich von Genom-Sequenzierungen bei schwer erkrankten vs. asymptomatischen Infizierten. Diese Forschungsergebnisse könnten künftig die Basis von Screening-Untersuchungen und möglicherweise von neuen Präventions- und Therapieoptionen sein, so seine Hoffnung.

Antikörper als Therapieoption

Prof. Michael C. Nussenzweig, ebenfalls von der Rockefeller University, widmete sich in seinem Vortrag den Therapien mit monoklonalen Antikörpern. Er sieht dadurch eine Alternative zur Impfung für Personen, die eine abgeschwächte Immunantwort haben, etwa unter Krebstherapie oder Immuntherapie, sowie eine Möglichkeit, bei bereits Infizierten schwere Verläufe zu verhindern.

Er ist der Meinung, dass Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden haben, sich zwar mit einer Mutation erneut infizieren können, dann aber mehrheitlich nicht schwer erkranken, weil im Rahmen der Erstinfektion vier verschiedene Klassen von Antikörpern produziert werden, die einen guten Schutz bieten.

mRNA-Vakzine von BioNTech: eine rasante Entwicklung

Der Star des Nachmittags war Prof. Ugur Sahin, Chef von BioNTech, der die Entwicklungsschritte des ersten mRNA-Impfstoffes gegen SARS-CoV-2 erläuterte. 2019 produzierte BioNTech 10.000 Dosen der mRNA-Vakzine gegen Krebs, 2020 waren es 25 Millionen und 2021 sind 2 Milliarden angepeilt. Das ist ein Steigerungsfaktor von 200.000 und damit die schnellste Vakzinentwicklung gegen einen neuen Erreger in der Geschichte der Medizin, so Sahin. Das „Lichtgeschwindigkeits-Projekt“ profitierte von der Vielseitigkeit der mRNA, jahrzehntelanger Forschung sowie großer Erfahrung, was die schnelle Steigerung der Produktion angeht, so der BioNTech-Chef. Fast hätten die teilnehmenden Wissenschaftler dem sichtlich bewegten Onkologen stehende Ovationen gespendet, Applaus und Anerkennung gab es aber auf jeden Fall. Und er machte Hoffnung, was den Umgang mit den Mutationen angeht: Die mRNA-Vakzine könne sehr schnell auf SARS-CoV-2-Varianten angepasst werden.

Die Schutzwirkung der Vakzine beginne bereits nach 12-14 Tagen, noch vor der beginnenden Antikörperantwort, betonte Sahin.

In der abschließenden Panel-Diskussion unter Leitung des Virologen Prof. Christian Drosten wurden viele Fragen besprochen, wie zum Beispiel „Warum verbreitet sich die neue Variante schneller?“ „Wie kann man Long lasting COVID behandeln“, „Was genau bringen die nicht-pharmakologischen Interventionen wie das Tragen von Masken und helfen sie vielleicht auch gegen Influenzainfektionen“. Was die Antworten angeht, blieb jedoch das meiste spekulativ und stützte sich eher auf ein Bauchgefühl statt auf harte Fakten. Fazit: Wir haben in der Forschung um SARS-CoV-2 schon viel erreicht, aber es gibt auch noch sehr viel zu tun.

Dr. med. Vera Seifert