Schlucken ist ein natürlicher Vorgang, der mehr oder weniger bewusst und jeden Tag über tausendmal abläuft. Solange es dabei keine Einschränkungen gibt, machen wir uns kaum Gedanken darüber. Bis sich das Schlucken zu einem spürbaren Problem auswächst. Dysphagien im Erwachsenenalter werden dennoch häufig unterschätzt, obwohl sie starke Auswirkungen auf Nahrungsaufnahme, Stimme und Atmung des Patienten haben können.

Fallbeispiel

Herr M., 57, stellt sich mit stetigem Gewichtsverlust und Kopfschmerzen vor. In der orientierenden Untersuchung sind keine neurologischen oder internistischen Auffälligkeiten feststellbar. Ebenso zeigen sich laborchemisch keine Abweichungen. Auf Nachfrage verneint der Patient, Zahnschmerzen o. Ä. zu haben.

In der weiteren Anamnese stellt sich heraus, dass der Patient seit circa zwei Monaten Schwierigkeiten hat, festere Nahrung zu sich zu nehmen, und diese zunehmend durch weiche Kost ersetzt. Generell habe er das Gefühl, gegen einen Widerstand schlucken zu müssen, so dass ihm "der Appetit vergangen sei", er somit auch weniger Flüssigkeit zu sich nehme, berichtet er. Zudem klagt er über ein Globusgefühl und die Regurgitation von Speisen und Flüssigkeiten. Nach weiterer (endoskopischer) Abklärung stellt sich ein Zenker-Divertikel (zur Definition siehe [11]) als Ursache der Dysphagie dar.

Jeder Schluckvorgang ist komplex. Kommt es dabei zu Störungen, kann das für die betroffene Person einen tiefen Einschnitt in ihre Lebensqualität bedeuten [7]. Je nach Schweregrad können ernsthafte Komplikationen wie eine Aspirationspneumonie [18] auftreten – vor allem, wenn die Schluckstörung unbemerkt und dadurch unbehandelt bleibt (vgl. Fallbeispiel).

Physiologie des Schluckens

Um Dysphagien, aber auch Veränderungen des Schluckens im Alterungsprozess identifizieren, unterscheiden und verstehen zu können, ist die Physiologie des Schluckens wichtig.

Der Schluckakt ist ein höchst komplexer Vorgang, der für den "Transport von Nahrung, Flüssigkeit, Speichel und Sekret aus der Mundhöhle durch den Rachenraum und die Speiseröhre bis zum Magen" [4] verantwortlich ist und damit eine lebensnotwendige, neuromuskuläre Funktion hat. Dabei teilen sich Atemluft und Nahrung denselben anatomischen Weg bis zum Kehlkopfeingang. Für einen regelgerechten Ablauf sind die Hirnnerven V, VII, IX, X und XII sowie mehr als 50 Muskeln verantwortlich. Ein Schluckakt weist immer willkürliche und unwillkürliche Anteile auf – aufgrund der Steuerung auf Hirnstammebene und in kortikalen Arealen, aber auch durch funktionell-mechanische Prozesse im Bereich Pharynx/Larynx [15].

Kasten 1: Hustenstoß
Ein effizienter Hustenstoß benötigt eine tiefe Inspiration von bis zu 80 % der Vitalkapazität (circa 1,5 l). Darüber hinaus sind ein Glottisschluss, eine Kontraktion der abdominellen und interkostalen Muskulatur zur Erhöhung des intrathorakalen Drucks sowie ein schlagartiges Öffnen der Glottis und dadurch ein Beschleunigen der Ausatemluft auf 360 – 1.200 l/min erforderlich. Minimal notwendig sind > 260 l/min. Werte < 160 l/min gehen mit einer Dekompensation der Hustenkapazität und bereits unzureichender Sekretelimination einher. Zu messen ist der Hustenspitzenfluss (engl. Peak cough flow; PCF) mittels handelsüblicher Peakflowmeter, wie man sie zur Asthmakontrolle verwendet [9, 17].

Für einen sicheren (Speichel-)Schluckakt benötigen wir ausreichend Vigilanz, Atmung, Sensibilität, Tonus und Koordination. Der Ablauf wird im Allgemeinen in vier bis fünf Phasen unterteilt: orale Vorbereitungsphase (a), orale Phase (b), pharyngeale Phase (c) und ösophageale Phase (d) (Abb. 1). Einige Autoren zählen zum Schluckakt auch eine präorale Vorbereitungsphase, in der bereits eine erhöhte Speichelproduktion durch visuelle und olfaktorische Reize induziert wird. Befindet sich die Nahrung im Mund, wird diese zerkleinert und eingespeichelt (a). Mittels Zungen- und Wangenkon-traktion wird der Bolus in Wellenbewegungen Richtung Pharynx befördert (b). Durch das Triggern des Schluckreflexes startet nun der unwillkürliche Ablauf: Der Atemweg wird gesichert (Epiglottis senkt sich – Atemstopp – Stimmbänder schließen sich), der Bolus wird über sequenzielle Rachenkontraktionen zur Speiseröhre gebracht und der obere Ösophagussphinkter (OÖS), auch Ösophagusmund genannt, öffnet sich. Hier liegt die engste Stelle des Ösophagus.

Dabei lässt sich ein physiologisches Atemschluckmuster beobachten: Der natürliche Atemzyklus wird durch den physiologischen Schutzmechanismus des Atemstopps unterbrochen. Vor dem Schlucken atmet man ein, es folgt dann reflektorisch ein Atemstopp und nach dem Abschlucken des Bolus eine Ausatmung (c). Peristaltische Wellen des Ösophagus bringen nun den Bolus weiter nach kaudal, wo dieser nach Öffnung des unteren Sphinkters (UÖS) in den Magen gelangt (d). Beim UÖS handelt es sich nicht um ein Sphinktersystem, er besteht aus einer spiralig angeordneten Ösophagusmuskelschicht, dem His-Winkel, einem Venenplexus und der Zwerchfellenge [4, 15].

Pathophysiologie des Schluckens

Grundsätzlich sind alle Vorgänge, die vom genannten Ablauf abweichen und mit Symptomen einhergehen, die wiederum zu Komplikationen (z. B. Aspiration: Aspirationspneumonie, Zyanose, Atemverlegung) führen sowie die Lebensqualität beeinträchtigen, als pathologisch anzusehen. Damit sind sie eine Therapieindikation – obgleich es sich um Folgen einer strukturellen Veränderung (z. B. Tumoren) oder neurologischer Erkrankungen handeln kann.

Die pathophysiologischen Ursachen und Symptome lassen sich anhand der beschriebenen Schluckphasen einteilen. So bewirkt eine gestörte Oralmotorik gegebenenfalls Residuen (Nahrungs- und/oder Speichelreste) im Mund- und/oder Rachenraum nach dem Schlucken oder eine gestörte Boluskontrolle und damit ein eventuelles vorzeitiges Abgleiten in Richtung Larynx. Wird der Schluckreflex zu spät getriggert, kann es zu einer Penetration oder einer Aspiration des Bolus kommen. Dies kann ebenso bei mangelnder reflektorischer Atemwegsicherung auftreten.

Kasten 2: Exkurs ICD-10
Dysphagien werden in Kapitel XVIII "Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00 – R99)", unter "Symptome, die das Verdauungssystem und das Abdomen betreffen (R10 – R19)" und "R13 – Dysphagie", klassifiziert. Eine Differenzierung nach Alter, Ursache oder Schweregrad erfolgt nicht [6].

Eine reduzierte Pharynxkontraktion behindert das vollständige Abschlucken mit der Folge von Penetration oder Aspiration [2]. In Tabelle 1 finden Sie die wichtigsten Symptome und eine kurze Erläuterung im Überblick.

Ein zusätzliches Augenmerk sollte auf den Hustenstoß des Patienten gelegt werden (vgl. Kasten 1). Der Hustenreflex sichert als wichtigster Schutzreflex den Atemweg, indem Fremdsub-stanzen und Sekret entfernt werden [9, 17]. Der Schweregrad der Dysphagie ist durch das Ausmaß der Symptome gekennzeichnet. Für die logopädische Therapie muss man die Ätiologie feststellen und die Grunderkrankung bekannt sein, um eine zur Erkrankung passende sowie patientenindividuelle und effiziente Therapieplanung erstellen zu können.

Schlucken im Alter – Presbyphagie

Eine Besonderheit stellt das Schlucken im Alter dar. Alterserscheinungen treten in allen Bereichen des Körpers auf, somit auch im Bereich des Schlucktraktes: Muskelmasse wird abgebaut (Kraftverlust), die Bindegewebsspannung lässt nach, die Beweglichkeit reduziert sich (Koordination) und die Speichelproduktion wird geringer (schlechtere Anfeuchtung in der oralen Phase). Sensibilität sowie Geschmacks- und Geruchswahrnehmung nehmen ab, alle Schluckphasen verlangsamen sich. Oft werden Zahnprothesen benötigt, die nicht immer adäquat sitzen und zusätzlich das Kauen und Schlucken beeinträchtigen. Zusätzlich verlagern sich die Triggerareale, was zu einer späteren Auslösung des Schluckreflexes führt [1, 4, 5].

An all diese Veränderungen passt sich der Körper physiologisch an. Es ist ein normaler Alterungsprozess und kann als "(Primäre) Presbyphagie" bezeichnet werden. Diese ist nicht behandlungsbedürftig, da es sich um ein normales Schluckmuster eines alten Menschen handelt. Sollten aber weitere Einschränkungen auftreten, etwa durch Erkrankungen (z. B. Schlaganfall, Demenz, neurologische Erkrankungen wie das Parkinson-Syndrom, strukturelle Veränderungen) oder durch Medikamente, die Nebenwirkungen wie Speichelreduktion (z. B. durch trizyklische Antidepressiva) oder eine Senkung des Muskeltonus (z. B. durch Benzodiazepine) haben, so ist der Körper häufig nicht mehr in der Lage, dies auszugleichen. Es entsteht dann eine "sekundäre Presbyphagie", die zu Komplikationen führen kann: Die Folgen sind Pneumonien, Dehydratation und Malnutrition. Der Pneumonieprophylaxe kommt in diesem Fall eine besondere Bedeutung zu [13].

Ursachen für Schluckstörungen

Das Ursachenspektrum einer Dysphagie ist breit. Einen großen Anteil haben Störungen des zentralen Nervensystems. Aber auch andere mögliche Ursachen sollten bedacht werden [1, 8, 12, 14]:
  • Störungen der sensomotorischen Steuerung des Schluckvorgangs: Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma (SHT); degenerative Erkrankungen (z. B. Morbus Parkinson, Amyotrophe Lateralsklerose, Huntington-Erkrankung); entzündliche Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems (z. B. Multiple Sklerose, Guillain-Barré-Syndrom); neuromuskuläre Erkrankungen (z. B. Myasthenia gravis, Muskeldystrophien)
  • Störungen durch strukturelle Veränderungen: Neoplasien im Kopf-/Halsbereich; Veränderungen der Halswirbelsäule; Zenker-Divertikel; Achalasie; Struma; sekundäre Presbyphagie; Verletzungen/Traumen und Entzündungen (z. B. Refluxkrankheit)
  • Andere Ursachen: Demenzielle Erkrankungen; psychische Ursachen; nach erforderlichen intensivmedizinischen Maßnahmen: Critical Illness Polyneuropathie (CIP) oder Myopathie (CIM)
  • Iatrogene Ursachen (Medikamente, Bestrahlung, Operationen)
  • Medikamentennebenwirkungen (z. B. Antidepressiva, Schlaf- und Beruhigungsmittel, Neuroleptika, Muskelrelaxanzien u. a.)
  • Zusätzliche Auswirkungen: Zahnstatus; Komorbiditäten: Diabetes mellitus; Alkoholmissbrauch; COPD (erhöhte Sekretion, gestörte Atem-Schluck-Koordination aufgrund Dyspnoe); kardiale Erkrankungen

Wie erkennt man Schluckstörungen?

Mit dem Wissen der oben beschriebenen (patho-)physiologischen Hintergründe kann der Arzt die Anamnese gezielt erheben: Lassen Sie Ihren Patienten und gegebenenfalls nahe Angehörige über die Symptome berichten beziehungsweise stellen Sie Fragen nach Veränderungen beziehungsweise Auffälligkeiten. Die nachfolgende Liste sollten Sie hier als Anregung verstehen – diese erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit [1, 16]:
  • Medikamentenanamnese – gibt es Wechselwirkungen oder Nebenwirkungen? Können Tabletten nicht mehr eingenommen und müssen gemörsert werden?
  • Sind Risikofaktoren für Folgeerkrankungen wie Polyneuropathien vorhanden? Hierzu zählen in erster Linie Diabetes mellitus und Alkoholabusus.
  • Bringt der Patient bereits Erkrankungen mit, die eine Dysphagie begünstigen und/oder meist mit einer einhergehen (inklusive Restsymptomatik nach Schlaganfall, wie z. B. Dysarthrie, Fazialisparese)?
  • Liegen ein Gewichtsverlust, eine Malnutrition oder eine Dehydratation vor?
  • Sind Veränderungen von Gewohnheiten zu beobachten, welche die Nahrungsaufnahme betreffen? Hierzu gehören veränderte Essgewohnheiten wie langsameres Essen; Nahrung wird lange im Mund behalten; Lebensmittel und öffentliches Essen werden gemieden; es wird grundsätzlich weniger gegessen.
  • Zeigen sich Auffälligkeiten bei der Nahrungsaufnahme? Ist der Stimmklang belegt ("Wet Voice"); Husten/Räuspern; auffälliger Würgereflex; Kloßgefühl im Hals; erschwertes Abschlucken; häufiges Nachschlucken; erhöhter Speichelfluss; Nahrung gelangt in die Nase; Verschlucken (gegebenenfalls auch beim Speichelschluck); Gefühl, Nahrungsreste auch mit Nachschlucken und Husten nicht wegzubekommen; Nahrungsreste verbleiben im Mund- oder Rachenraum; Nahrungsteile fallen aus dem Mund u. a.
  • Wirkt das Atemschluckmuster synchron?
  • Treten während der Nahrungsaufnahme Zyanose, Tachykardie, Tachypnoe, Dyspnoe auf?
  • Liegen wiederauftretend Fieber oder gar Pneumonien vor?

Welche Möglichkeiten des Screenings und der Diagnostik gibt es?

Die Anamneseerhebung und das Gespräch mit dem Patienten sind, wie erwähnt, bereits gute Anhaltspunkte, um das Vorliegen und die mögliche Ursache einer Dysphagie zu eruieren. Weitere Screeningverfahren ermöglichen es, Patienten zu identifizieren, die eine weiterführende Diagnostik benötigen.

Deskriptive Beobachtungen des Schluckaktes (Zusammenspiel der Lippen- und Kaubewegungen, des Kehlkopfes, inklusive der Körperhaltung, Stimme und Atmung) sowie die Inspektion des Mundes (Schleimhaut, Beläge, Atrophien, Sensibilität) sind der erste Schritt zur Diagnostik. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfiehlt als Screening zur Einschätzung des Aspirationsrisikos die Kombination zweier einfacher Tests [16]:
  1. Der 50-ml-Wasser-Test (sukzessive Wasser-Schlucken von 5 ml) kombiniert mit
  2. der Untersuchung der Sensibilität im Pharynxbereich (beidseits mit Wattestäbchen Schutzreflexe abrufen) und/oder mit der Pulsoxymetrie (pathologischer SpO2-Abfall nach Schlucken des Wassers).

Kasten 3: Nahrung andicken
Flüssigkeiten wie Getränke oder Suppen lassen sich mittels Andickungspulver durch Einrühren eindicken, um so die Fließgeschwindigkeit zu verlangsamen und an die sensorischen Fähigkeiten des Patienten anzupassen. Diese Instantpulver gibt es von verschiedenen Herstellern. Die Pulver sind geschmacksneutral, trüben oder verfärben die Nahrung nicht, behalten individuelle Eigenschaften bei, wie Kohlensäure, und weisen eine Amylaseresistenz auf. Je nach Notwendigkeit kann der Andickungsgrad durch die Menge des Pulvers zwischen gering, leicht, mittel und stark variiert werden [3].

In veränderter Form ermöglicht der 70-ml-Wasser-Test nach Daniels (2 x 5 ml, 2 x 10 ml, 2 x 20 ml) ebenso die Testung [16].

Verschiedene Nahrungskonsistenzen (flüssig, cremig, breiig, fest, körnig, Tabletten) spielen bei der Diagnostik ebenso eine Rolle.

Weiterführende Befundung und Diagnostik

Eine Überweisung zum HNO-Arzt zur näheren Abklärung, etwa mittels FEES (engl.: Fiberoptic endoscopic evaluation of swallowing = fiberendoskopische Untersuchung des Schluckakts) oder VFSS (engl.: Videofluoroscopic swallowing study =
videofluoroskopische Schluckuntersuchung), sollte bei positivem Screening erwogen werden. Sie bilden den Schluckakt mittels Endoskop oder hochauflösenden Röntgens des Kopf-/Halsbereiches ab. Ebenso ist eine differenzialdiagnostische Abklärung gastroskopisch, neurologisch, internistisch, endokrinologisch, zahnärztlich, phoniatrisch oder psychosomatisch zu empfehlen.Eine Überweisung an eine logopädische Befundung ermöglicht es, ein Gesamtbild der vorliegenden Störung zu erlangen. Hierfür kommen Praxen mit Schwerpunkt Neurologie und Dysphagie infrage, gegebenenfalls auch Zentren, die sich auf Trachealkanülen- oder Dysphagiemanagement spezialisiert haben.

Die klinische Schluckuntersuchung (KSU) beinhaltet die Untersuchung der am Schlucken beteiligten Strukturen (inklusive der Schutzreflexe: Husten-, Palatal-, Würgereflex). Auch werden die am Schlucken beteiligten Willkürbewegungen überprüft (Kraft, Tempo, Koordination, Genauigkeit, Symmetrie, Diadochokinese).

Einen weiteren Stellenwert nimmt die Untersuchung der Sensibilität intraoral ein. Schluckversuche mit unterschiedlichen Konsistenzen mit Beurteilung der Schluckphysiologie komplettieren die Gesamtbefundung. Die Dokumentation der KSU kann über verschiedene Scores erfolgen. Bei den Beurteilungen handelt es sich um subjektive Einschätzungen, weshalb diese durch geschultes und erfahrenes Personal durchgeführt werden sollten. Apparative Diagnostik und die KSU sollte man im Idealfall als Ergänzung zueinander verstehen [2, 10, 16].

Therapie

Die Basis jeder Dysphagietherapie ist – je nach Schweregrad – das Verhindern oder zumindest das Reduzieren des Aspirationsrisikos für Speichel, Flüssigkeiten und Nahrung, der Erhalt vorhandener Schluckfunktionen und möglichst die Wiederherstellung physiologischer Funktionen. Die Erhaltung oder Wiederherstellung der Lebensqualität spielt dabei zusätzlich patientenindividuell eine entscheidende Rolle. Die logopädische Therapie beinhaltet – je nach Grunderkrankung und Störungsausmaß – verschiedene Maßnahmen.

Einen bedeutenden Teil nimmt die funktionelle Dysphagietherapie (FDT) ein, durch die mittels verschiedener Verfahren der Schluckakt und die Nahrungsaufnahme möglichst physiologisch erfolgen sollen. Die Übungen werden dabei an die Symptomursache angepasst und sollen durch anfangs separate Einzelübungen die Sensomotorik der Schluckmuskulatur restituieren. Um persistierende Einschränkungen zu kompensieren, können mit dem Patienten bei ausreichender Kognition und Vigilanz Haltungsänderungen und Schlucktechniken trainiert werden, die während der Nahrungsaufnahme bei jedem Schluck angewandt werden müssen, um Penetration oder Aspiration zu verhindern – wie etwa das "Chin-Tuck-Manöver" (Schlucken mit geneigtem Kopf). Es ist auch möglich, die Umgebung an die Schluckfunktionen zu adaptieren [3]. So kann die Nahrung (inklusive Flüssigkeiten) in ihrer Bolusgröße und Fließfähigkeit angepasst und nach deren Formbarkeit sowie speichelbildender oder pulmotoxischer Eigenschaft ausgesucht werden (vgl. Kasten 3). Auch besondere Trink- und Esshilfen können hilfreich sein [3]. Wichtig ist jedoch immer, auf eine aufrechte Haltung oder Lagerung beim Essen/Trinken zu achten und diese ebenfalls zu trainieren. Da Tabletten meist mit Wasser geschluckt werden und der Patient dadurch gemischte Konsistenzen koordinieren muss beziehungsweise Tabletten grundsätzlich nur noch erschwert oder gar nicht mehr einnehmen kann, sollte man eine Umstellung der verordneten Arzneimittel auf alternative Darreichungsformen prüfen. Im engen Austausch mit dem behandelnden Arzt lässt sich – falls nötig und in Abwägung der damit verbundenen Begleiterscheinungen – die Speichelproduktion durch Medikamente (z. B. Scopolamin, Atropinsulfat, Glycopyrroniumbromid, Botulinumtoxin) reduzieren, um das Aspirationsrisiko zu senken und die Therapie zu optimieren.

Bleiben alle Maßnahmen zur Sicherung eines aspirationsfreien Schluckens wirkungslos und kommt es etwa bei chronischen, degenerativen Erkrankungen absehbar zu Verschlechterungen, sollte man mit dem Patienten und gegebenenfalls den betreuenden Angehörigen über eine PEG/PEJ-Anlage (perkutane endoskopische Gastrostomie beziehungsweise Jejunostomie) sprechen, bei der eine Ernährung direkt über den Magen-Darm-Trakt und über einen künstlichen Zugang erfolgt. Liegt eine schwere Dysphagie vor, die bereits den Speichelschluck betrifft und rezidivierend zu Pneumonien und respiratorischen Verschlechterungen führt, ist die Aufklärung über die Möglichkeit einer Tracheotomie (mit Einlegen einer geblockten Trachealkanüle) notwendig. Diese dient als Hilfsmittel zum größtmöglichen Aspirationsschutz und zur Atemwegssicherung.

Da diese Eingriffe starke Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Versorgung des Patienten haben, sollte der Arzt immer auch den individuellen Patientenwunsch berücksichtigen. Sowohl eine PEG-Anlage als auch eine Tracheotomie sollten zudem keinesfalls grundlegend als "Endstation" und unumkehrbar verstanden werden. Die logopädische Therapie kann und sollte dann – trotz Magensonde und Trachealkanüle – auch weiter stattfinden. Denn nach der Stabilisierung der klinischen Situation lässt sich mittels Logopädie eine erneute Verbesserung der Schluckfunktionen herbeiführen.


Literatur
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2. Bartomole, G. (2006) Klinische Eingangsuntersuchung bei Schluckstörungen. In: Bartolome, G., Schröter-Morasch, H. (Hrsg.) Schluckstörungen: Diagnostik und Rehabilitation. 3. Auflage. München. Elsevier GmbH. S. 155-168.
3. Bartomole, G. (2006) Grundlagen der funktionellen Dysphagietherapie (FDT). In: Bartolome, G., Schröter-Morasch, H. (Hrsg.) Schluckstörungen: Diagnostik und Rehabilitation. 3. Auflage. München. Elsevier GmbH. S. 247-360.
4. Bartomole, G., Neuman, S. (2006) Physiologie des Schluckvorgangs. In: Bartolome, G., Schröter-Morasch, H. (Hrsg.) Schluckstörungen: Diagnostik und Rehabilitation. 3. Auflage. München. Elsevier GmbH. S. 15-34.
5. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE, 2012) (Hrsg.) Fit im Alter – Gesund essen, besser leben. 2. Aktualisierte Auflage. Bonn.
6. DIMDI (2018) ICD-10-GM Version 2019. [online]. Einsehbar unter: http://https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2019/block-r10-r19.htm , Stand Juni 2019.
7. Jones E, Speyer R, Kertscher B, Denman D, Swan K, Cordier R. (2018) Health-Related Quality of Life and Oropharyngeal Dysphagia: A Systematic Review. Dysphagia; 33: 141-172.
8. Keller, J., Durwen, H. F. (2013) Dysphagie bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) – ein unterschätztes Problem. NeuroGeriatrie 2013; 10 (3): 101 – 106. Hippocampus Verlag.
9. Kabitz, H.-J. et al. (2014) Deutsche Atemwegsliga. Messung der Atemmuskelfunktion. Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle, S. 8.
10. Labeit, B., Muhle, P., Warnecke, T., Dziewas, R. (2019) Dysphagiemanagement verbessert Lebensqualität und senkt Mortalität. InFo Neurologie + Psychiatrie. Ausgabe 3/2019
11. Pschyrembel Online (2018) Zenker-Divertikel. [online]. Einsehbar unter: https:// http://www.pschyrembel.de/Zenker-Divertikel/K0PAT , Stand Juni 2019.
12. Prosiegel, M., Buchholz, D.W. (2006) Mit Schluckstörungen assoziierte neurologische Erkrankungen. In: Bartolome, G., Schröter-Morasch, H. (Hrsg.) Schluckstörungen: Diagnostik und Rehabilitation. 3. Auflage. München. Elsevier GmbH. S. 51-72.
13. Schmidt, S., Boltzmann, M., Rollnik, JD. (2019) Einfluss der Atmungstherapie auf die Inzidenz von nosokomialen Pneumonien in der neurologisch-neurochirurgischen Frührehabilitation: Ergebnisse einer Fall-Kontroll-Analyse. Rehabilitation (Stuttgart) 2019, in Druck.
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18. Zuercher P, Moret CS, Dziewas R, Schefold JC. Dysphagia in the intensive care unit: epidemiology, mechanisms, and clinical management. Crit Care 2019; 23: 103.
Allgemeine Literaturangaben sowie weiterführende Literatur:
Bartolome, G., Schröter-Morasch, H. (Hrsg.) (2006) Schluckstörungen: Diagnostik und Rehabilitation. 3. Auflage. München. Elsevier GmbH.
Borasio, Hund-Wissner, Husemeyer (Hrsg.) (2011) Ernährung bei Schluckstörungen. Eine Sammlung von Rezepten, die das Schlucken erleichtern. 7., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart. W. Kohlhammer GmbH.
Nusser-Müller-Busch (2007) Die Therapie des Facio-Oralen Trakts. 2. Auflage. Heidelberg. Springer Medizin Verlag.
Prosiegel, Dr. M., Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) (Hrsg.) (2012) Neurogene Dysphagien – Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Entwicklungsstufe S1.
Schwelger, H. (2017) Trachealkanülenmanagement. 2. Auflage. Idstein. Schulz-Kirchner Verlag GmbH.
Suden-Weickmann, t. A. (Hrsg.), Morales, R. C. (1998) Die Orofaciale Regulationstherapie. 2. Auflage. Pflaum Physiotherapie Verlag.
Warnecke, T., Dziewas, R. (2018) Neurogene Dysphagien: Diagnostik und Therapie. 2., erweitere und überarbeitete Auflage. Stuttgart. W. Kohlhammer GmbH.



Autor:

Christina Rohlfes

Atmungstherapeutin und Logopädin in der BDH-Klinik Hessisch Oldendorf gGmbH, 31840 Hessisch Oldendorf

Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.


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Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (6) Seite 42-47