Bei geriatrischen Patient:innen sind die psychiatrischen Diagnosen Demenz, Depression und Delir häufig anzutreffen. Außerdem gibt es zum einen Überschneidungen, was die Symptomatik angeht, so dass es zu Verwechslungen kommen kann. Zum anderen können auch mehrere dieser Krankheitsbilder parallel vorkommen.

Ein pathologischer Mini-Mental-Status-Test (MMST) misst kognitive Defizite, kann aber mehrere Ursachen haben, erklärte Dr. med. Matthias Bach, Geriatrische Klinik, St. Elisabethkrankenhaus Frankfurt, beim Allgemeinmedizin Refresher der Forum Medizin Fortbildung (FOMF). Möglicherweise liegt eine Demenz, ein Delir oder auch eine Depression vor.

Delir

Delirare kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "aus der Spur geraten". Das Delir ist ein organisches Psychosyndrom mit Störungen von:

  • Aufmerksamkeit
  • Gedächtnis
  • Orientierung
  • Wahrnehmung
  • Psychomotorik und Verhalten
  • Schlaf

Man schätzt, dass 10 bis 24% der Patient:innen im Krankenhaus ein Delir entwickeln, besonders häufig auf Intensivstationen, bei alten Patient:innen mit Hüftfrakturen (ca. 50%) und bei etwa der Hälfte der Patient:innen mit Demenz. Umgekehrt weisen 25 bis 50% aller deliranten Patient:innen eine Demenz auf.

Ein Delir hat gravierende Folgen: Der Krankenhausaufenthalt verlängert sich, die Mortalität steigt (ein Viertel der Delirpatient:innen stirbt innerhalb von drei bis vier Monaten, wobei die Mortalität höher ist, als durch die Grunderkrankung zu erwarten wäre). Ein Delir kann sich auch langfristig auswirken und funktionelle Einschränkungen nach sich ziehen und einen Trigger darstellen für eine demenzielle Entwicklung. Nur etwa die Hälfte der Fälle ist reversibel.

Wodurch wird ein Delir ausgelöst? Es gibt zum einen Prädispositionen, zum anderen exogene Einflüsse (Noxen), vgl. Tabelle 1. Außerdem können sich bestimmte Medikamente delirfördernd auswirken (Übersicht 1).

Beim Delir findet man häufig Elektrolytstörungen, insbesondere die Hyponatriämie spielt eine große Rolle. Umgekehrt kann sich auch eine Hyponatriämie infolge eines Delirs entwickeln. Deshalb sollte man bei geriatrischen Patient:innen immer ein Auge auf das Natrium haben, empfahl Dr. Bach. Auch Stoffwechselstörungen wie Hyper- oder Hypoglykämie, Nieren- oder Leberinsuffizienz oder Sauerstoffmangel fördern ein Delir. Bei jedem Delir sollte man auf jeden Fall zeitnah ein CT anfertigen, weil ein akutes Delir auch durch eine zerebrale Ischämie oder eine Hirnblutung ausgelöst sein kann.

Denken sollte man immer auch an die hypoaktive Form des Delirs, die recht häufig vorkommt, besonders bei Frauen. Diese Delirform wird häufig als Depression verkannt, weil die Patient:innen nicht agitiert sind, sondern eher teilnahmslos. Oft sind es die Angehörigen, die den Arzt darauf aufmerksam machen, dass z.B. "die Mutter so anders ist als früher". Dieses Korrektiv fehlt uns jetzt in Coronazeiten oft, in denen keine Besuche stattfinden dürfen, bedauerte Dr. Bach.

Welche medikamentösen Möglichkeiten gibt es beim Delir? Wichtig ist, immer darauf zu achten, ob eine Zulassung für geriatrische Patienten vorliegt. Das ist z.B. beim Risperidon der Fall. Neuroleptika verschlechtern aufgrund ihrer anticholinergen Nebenwirkungen unter anderem die Kognition, teilweise erhöhen sie auch das kardiopulmonale Risiko. Allgemein gilt: nur so kurz wie möglich ansetzen und niedrig dosiert! Bei Unruhe verabreicht Dr. Bach gerne Pipamperon (Dipiperon®) in einer niedrigen Dosierung (10 mg oder 2,5 ml), weil es ganz wenig Arzneimittelinteraktionen aufweist. Wenn der Patienteher agitiert und aggressiv ist, würde er Risperidon in niedriger Dosierung (0,25 bis 0,5 mg) empfehlen. Bei Schlafstörungen, Ängsten und Appetitlosigkeit kann man manchmal mit Mirtazapin gute Erfolge erzielen, so Dr. Bach.

Übersicht 1: Pharmaka, die delirfördernd wirken können
  1. Neuroleptika
  2. Trizyklika
  3. Spasmolytika
  4. Antihistaminika
  5. H2-Blocker
  6. Ophthalmologika
  7. Antiparkinsonmittel
  8. Analgetika (z.B. Opiate, NSAR)
  9. Antikonvulsiva
  10. Antibiotika (z.B. Gyrasehemmer)
  11. Benzodiazepine, Z-Substanzen
  12. Digoxin
  13. Kortikoide


Depression und Demenz

Zum Basis-Assessment gehört das Depressionsscreening mit der Geriatrischen Depressionsskala (GDS) nach Yesavage. Sie beinhaltet 15 Ja-Nein-Fragen. Ab sechs mit "Ja" beantworteten Fragen liegt eine Depression nahe. Die Sensitivität und Spezifität ist mit jeweils 65% mäßig. Des Weiteren gibt es das Depressionsscreening nach Lachs et al. mit einer einzigen Frage: "Fühlen Sie sich häufig traurig oder niedergeschlagen?" Sie hat eine ähnlich hohe Sensitivität und Spezifität. Bei eingeschränkter Kognition lassen sich diese Tests allerdings schwer bewerten.

Die Depression ist die häufigste Erkrankung im hohen Lebensalter, sogar noch häufiger als die Demenz. Eine Major-Depression findet man gemäß der Berliner Altersstudie bei Patient:innen in höherem Alter in 1 bis 5%, häufig wird sie nicht diagnostiziert. Eine Vermischung ist häufig, man findet ein Demenzsyndrom häufig bei depressiven Patienten und umgekehrt. Bei der Verordnung von Antidepressiva gilt es einige Besonderheiten der verschiedenen Substanzen zu beachten (vgl. Tabelle 2).

Fallbeispiel: Delir mit Folgen

Ein 82-jähriger Patient mit vorbekannter Demenz entwickelt neun Tage nach einer elektiven Hüft-TEP-Op. Symptome eines Delirs mit nächtlicher Unruhe, Desorientiertheit, Konzentrationsschwäche und hyperaktiv agitiertem Verhalten. Zunächst wurde eine Therapie mit Risperdal und Oxazepam begonnen. Leider entwickelte sich dann eine Wundheilungsstörung, die letztlich eine Revisions-Op. notwendig machte. Die antibiotische Therapie gestaltete sich schwierig. Nach drei verschiedenen Antibiotika wurde der Patient zwar letztlich fieberfrei, entwickelte dann aber eine Diarrhoe. Er musste insgesamt 11 Wochen stationär bleiben und ist in dieser Zeit dreimal gestürzt. Wegen anhaltend latenter Aggressivität und paranoider Gedanken musste über längere Zeit Risperdal und vorübergehend auch Haldol eingesetzt werden. Kurz vor der Entlassung entwickelte er dann noch eine Tachyarrhythmia absoluta mit akuter Lungenstauung, die sich mit forcierter Diurese und Frequenzkontrolle mit Betablockern schließlich in den Griff bekommen ließ. Schließlich konnte der Patient selbstständig am Stock die Klinik verlassen.

Fazit: Dieser komplizierte Verlauf hätte zu verschiedenen Zeitpunkten auch fatal enden können. Die Gespräche mit den Angehörigen waren sehr schwierig. Denn sowohl die Ehefrau als auch die Tochter hatten mit einem solchen Verlauf überhaupt nicht gerechnet. Der Rat von Dr. Bach lautete daher, bei elektiven Eingriffen unbedingt einen Risikocheck zu machen und das Für und Wider mit der Patient:in und den Angehörigen gut abzustimmen! Dass bei dieser Konstellation ein relativ hohes Risiko für ein Delir bestand, hätte kommuniziert werden müssen.

10 wichtige Regeln für die Pharmakotherapie bei geriatrischen Patient:innen
  1. Indikation genau stellen!
  2. Auf adäquate Dosis achten!
  3. Keine halben Tabletten
  4. Kombinationspräparate?
  5. Bevorzugung von Einmaldosierungen! ("Start low, go slow")
  6. Möglichst nicht mehr als fünf verschiedene Medikamente!
  7. Keine Experimente!
  8. Keine Laborkosmetik
  9. Absetzen möglich?
  10. Wer hilft, wer überwacht?


Wichtig für die Sprechstunde
  • Ein Delir kann sich auch langfristig auswirken und funktionelle Einschränkungen nach sich ziehen.
  • Eine Hyponatriämie kann ein Delir fördern oder auch als Folge eines Delirs entstehen.
  • Depression und Demenz treten oft parallel auf.infokasten10 wichtige Regeln für die Pharmakotherapie bei geriatrischen Patient:innen



Autorin
Dr. Vera Seifert



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (4) Seite 41-43