Schmerz ist ein häufiges und belastendes Symptom rheumatischer Erkrankungen. Im Gegensatz zur Behandlung des inflammatorischen Geschehens hat es im Schmerzmanagement jedoch in den vergangenen Jahrzehnten kaum Fortschritte gegeben. Nun befinden sich Biologika in fortgeschrittenen klinischen Studien, die die Schmerzchronifizierung beeinflussen sollen.

Die Welt-Schmerzorganisation (IASP = International Association for the Study of Pain) definiert Schmerz als "unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer tatsächlichen oder drohenden Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird". Schmerz ist auch ein lebenswichtiges Warnsignal, so Prof. Stefan Bergman aus Göteborg, das zu einer sofortigen Verhaltensänderung führt. Diese Verhaltensänderung ist bei akutem Schmerz notwendig und sinnvoll, bei länger bestehenden Schmerzen kann sie ausgesprochen kontraproduktiv werden. Leider führe Arthritis, so Bergman, auch bei guter inflammatorischer Kontrolle häufig zu andauernden Schmerzen.

Die Grenzziehung zwischen akutem und chronischem Schmerz ist unscharf. "Wir nehmen häufig drei Monate als maximale Dauer akuter Schmerzen. Eine bessere Definition bezeichnet chronischen Schmerz jedoch als Schmerz, der über die Periode der Heilung einer akuten Erkrankung hinausgeht." Wichtig sei, dass Schmerz keineswegs immer mit anderen klinischen Befunden wie zum Beispiel radiografischer Progression korrelieren müsse. Im schlimmsten Fall kommt es zur Ausbreitung des Schmerzes im Sinne von "chronic widespread pain". Dieser tritt häufiger auf, als zumeist angenommen wird. Bergman verwies auf eine schwedische Studie, die zeigte, dass lokalisierter chronischer Schmerz eher die Ausnahme als die Regel sei. So litten nur 7 % aller Befragten mit Knieschmerzen unter isoliertem Knieschmerz, während mehr als die Hälfte der Knieschmerzpatienten weit gestreute Schmerzen angaben. Dazu passend könne, so Bergman, bei bis zu 25 % der Arthritispatienten eine Fibromyalgie diagnostiziert werden. Der Einfluss auf die Gesamtverfassung der Patienten sei bei "widespread pain" besonders ausgeprägt [1].

Noziplastischer Schmerz: eine neue Kategorie

Um diese Verselbstständigung des Schmerzes besser fassbar zu machen, hat die IASP vor Kurzem eine neue Schmerzkategorie eingeführt: den noziplastischen Schmerz. Dieser ist die Folge veränderter Nozizeption ohne Hinweise auf eine Schädigung des Gewebes, die die peripheren Nozizeptoren aktiviert. Beim noziplastischen Schmerz fehlen auch Hinweise auf Läsionen des somatosensorischen Systems. Diesbezüglich unterscheidet sich der noziplastische vom neuropathischen Schmerz, dem Schädigungen von Nervenfasern zugrunde liegen. In die Kategorie noziplastischer Schmerz fallen unter anderem Schmerzen im Rahmen des Fibromyalgiesyndroms, das komplexe regionale Schmerzsyndrom und zum Teil auch chronische Schmerzen im Rahmen rheumatischer Erkrankungen. Zur Entstehung von noziplastischem Schmerz trägt zunächst ein peripherer Schmerzgenerator (also z. B. eine Entzündung in einem Gelenk) bei; in der Folge kommt es zur peripheren Sensibilisierung von Nozizeptoren und weiter zur zentralen Sensibilisierung. Tritt auch der Verlust der zentralen Inhibition ein, verselbstständigt sich das Schmerzgeschehen weiter. Kognitive und emotionale Faktoren beeinflussen das Geschehen zusätzlich. Mittlerweile wisse man, dass im zentralen Nervensystem auch Gliazellen im Sinne einer zentralen Inflammation mit Ausschüttung von Zytokinen an der gestörten Schmerzverarbeitung beteiligt sind.

Damit es nicht so weit kommt, sollte, so Bergman, Schmerz konsequent behandelt werden. Im Falle rheumatischer Erkrankungen bedeutet das zunächst, eine optimale Krankheitskontrolle anzustreben. Weiter sollte der nozizeptive Schmerz behandelt werden. Das bedeutet nicht nur die medikamentöse Therapie, die zeitlich limitiert bleiben sollte. Bergman: "Manchmal benötigen wir auch die Chirurgie und müssen Gelenke ersetzen, um Schmerzen zu reduzieren." Die Betroffenen sollten auch ermutigt werden, trotz Schmerzen ihre gewohnten Aktivitäten wieder aufzunehmen. Dies benötige Information und Edukation und sei, so Bergman, "der am meisten evidenzbasierte Ratschlag, den man geben kann".

Bewegung und Training verhindern Schmerzchronifizierung

Patienten, die gefährdet sind, chronische Schmerzen zu entwickeln, sollten so früh wie möglich identifiziert werden. Dabei hilft die Anamnese. Alarmsignale sind multiple schmerzhafte Areale, schlechter Schlaf und psychosoziale Risikofaktoren ebenso wie ausgeprägte Druckempfindlichkeit, zeitliche Summation (Bergman: "Wiederholen Sie den Druck im Abstand von zehn Sekunden.") sowie anhaltende Schmerzen nach der Untersuchung. Nicht medikamentöse Maßnahmen sind in dieser Situation den medikamentösen Therapien klar überlegen. Im Management von Patienten mit hohem Risiko für Schmerzchronifizierung bewähren sich körperliche Aktivität und Bewegung in Kombination mit Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie. Dies erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit. Beispielsweise ist gute Trainingsplanung essenziell, da Trainingsfehler das Schmerzgeschehen verstärken können. Bergman betont, dass in Experimenten mit intensivem Training zwar eine signifikante Schmerzreduktion erreicht wird, dass dieses jedoch für viele reale Schmerzpatienten nicht durchführbar sei. Beispielsweise tolerieren Patienten mit Fibromyalgie häufig nicht mehr Belastung als Walking. Einen Überblick über die nicht medikamentösen Maßnahmen in der Schmerztherapie für Arthritis- und Arthrosepatienten geben die 2018 publizierten EULAR-Leitlinien für Health Professionals [2].

Medikamentöse Optionen bei nozizeptivem Schmerz

Medikamentöse Optionen sollten vor allem in der Phase des nozizeptiven Schmerzes, also vor dem Einsetzen der Chronifizierung, zum Einsatz kommen. Zur Verfügung stehen NSAR, Coxibe, Paracetamol und Opioide, womit sich im kli- nischen Alltag häufig Probleme ergeben, da zumindest NSAR und Coxibe in zahlreichen Patientengruppen kontraindiziert sind beziehungsweise nur mit Vorsicht eingesetzt werden können. Dies führe dazu, so Bergman, dass beispielsweise alte Menschen häufig Opioide gegen ihre Schmerzen erhalten. Bergman: "Opioide haben ihren Stellenwert, aber wir müssen den Patienten auch sagen, wann sie diese Medikamente absetzen müssen, sonst wird das Opioid ein Teil des Problems." Studiendaten zeigen, dass chronischer Opioidgebrauch von Rheumapatienten in Europa zunimmt – wenngleich noch lange nicht so verbreitet ist wie in den USA [3]. Auch für die gute Effektivität der Kombination medikamentöser und nicht medikamentöser Maßnahmen gibt es Evidenzen aus Studien. So zeigt eine Studie aus den Niederlanden, dass medikamentöse Schmerztherapie Patienten mit Kniearthrosen befähigen kann, an Trainingsprogrammen teilzunehmen, die dann auch langfristig zu einer Besserung der Schmerzsymptomatik führen [4].

Mit neuen Antikörpern gegen schwer behandelbaren Schmerz

Prof. David Walsh aus Nottingham (GB) unterstreicht die Bedeutung des Treat-to-Target-Konzepts im Hinblick auf die Schmerzsymptomatik rheumatischer Erkrankungen. Gelinge es, Patienten in Remission zu bringen, so bewegt sich ihre Belastung durch Schmerzen in etwa auf dem Niveau des Bevölkerungsdurchschnitts. Leider sei dies jedoch bei sehr vielen Patienten nicht voll erreichbar. Dies gelte insbesondere bei Arthrosen, die auf Behandlung mit DMARDs nicht ansprechen. Daher sei es an der Zeit, so Walsh, validierte Behandlungsziele für die Schmerzsymptomatik einzuführen. In diesem Sinne wurde der "Patient-Acceptable Symptoms State" (PASS) vorgeschlagen. Vergleiche durch unterschiedliche Kohorten mit unterschiedlichen rheumatischen Erkrankungen zeigen, dass ein Schmerzstatus von 40 auf einer Skala von 0 bis 100 für die Betroffenen gerade noch akzeptabel ist [5]. Um diese Ziele erreichen zu können, werden auch neue medikamentöse Optionen benötigt. Eine davon könnte beim Nerve Growth Factor ansetzen, der eine wichtige Rolle im Rahmen der Sensibilisierung, also der Entstehung von noziplastischem Schmerz, spielt. Walsh: "NGF reduziert die Aktivierungsschwelle von TRPV1-Ionenkanälen, verändert die Genexpression, fördert die Transmission an der primären Synapse und begünstigt die Ausschüttung von Neurotrophinen, die die zentrale Sensibilisierung fördern. Wenn man den Nerve Growth Factor blockiert, reduziert man inflammatorischen Schmerz."

Genau dies wird mit den monoklonalen Antikörpern Tanezumab und Fasinumab gegenwärtig in klinischen Studien versucht. So konnte mit Tanezumab in einer Reihe von Studien eine konsistente Schmerzreduktion bei Patienten mit Arthrosen erreicht werden [6]. Tanezumab reduziert auch chronischen Rückenschmerz [7]. Das Problem sei, so Walsh, dass Antikörper gegen NGF bei einem kleinen Prozentsatz der Patienten mit einer schnellen Progression von Arthrosen assoziiert sind, die schließlich einen Gelenkersatz notwendig machen. Walsh: "Das ist der Grund, warum diese Antikörper noch nicht auf dem Markt sind und die klinische Entwicklung so lange dauert. Tyrosinkinase-Inhibitoren, die an den Rezeptoren für NGF ansetzen (TrkA-Inhibitoren), befinden sich in frühen Phasen der klinischen Entwicklung.


Quelle: WIN (What’s new in) Session «How to Stop the Train of Pain in RMDs» und HOT (How to...) Session «Arthritis Pain Management Pathways» beim Jahreskongress der European League against Rheumatism (EULAR) 2019, am 15. Juni 2019 in Madrid.


Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Congress Selection Rheumatologie, September 2019


Literatur
1. Andersson ML et al.: Chronic widespread pain in patients with rheumatoid arthritis and the relation between pain and disease activity measures over the first 5 years. J Rheumatol 2013; 40(12): 1977–1985.
2. Geenen R et al.: EULAR recommendations for the health profes- sional’s approach to pain management in inflammatory arthritis and osteoarthritis. Ann Rheum Dis 2018; 77(6): 797–807.
3. Lee YC et al.: Chronic Opioid Use in Rheumatoid Arthritis: Preva- lence and Predictors. Arthritis Rheumatol 2019; 71(5): 670–677.
4. van Tunen JA et al.: Optimization of Analgesics for Greater Exer- cise Therapy Participation Among Patients With Knee Osteoar- thritis and Severe Pain: A Feasibility Study. Arthritis Care Res (Hoboken) 2016; 68(3): 332–340.
5. Tubach F et al.: Minimum clinically important improvement and patient acceptable symptom state in pain and function in rheu- matoid arthritis, ankylosing spondylitis, chronic back pain, hand osteoarthritis, and hip and knee osteoarthritis: Results from a prospective multinational study. Arthritis Care Res (Hoboken) 2012; 64(11): 1699–1707.
6. Schnitzer TJ, Marks JA: A systematic review of the efficacy and general safety of antibodies to NGF in the treatment of OA of the hip or knee. Osteoarthritis Cartilage 2015; 23(Suppl 1): S8–S17.
7. Gimbel JS et al.: Long-term safety and effectiveness of tanezumab as treatment for chronic low back pain. Pain 2014; 155(9): 1793–1780.



Autor:
Reno Barth



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (3) Seite 24-27