Bekanntlich können cannabishaltige Arzneimittel Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen verordnet werden. Was genau sind mögliche Indikationen? Welche Arzneimittel sind auf dem Markt? Welche Wirkungen und Nebenwirkungen sind zu erwarten? Diesen und weiteren Fragen zum Einsatz von Cannabis als Medikament widmet sich der folgende Beitrag.

Bereits seit dem 10. März 2017 dürfen Ärzte cannabishaltige Arzneimittel verordnen. Ausführliche Informationen zu häufigen Fragen rund um dieses Thema bietet die Bundesärztekammer [1]. Wir haben die für Hausärzte besonders relevanten Informationen zusammengefasst.

Voraussetzung für eine Verordnung ist laut Gesetz eine "schwerwiegende Erkrankung", bei der eine allgemein anerkannte … Leistung nicht zur Verfügung steht oder nicht zur Anwendung kommen kann. Außerdem muss eine Aussicht darauf bestehen, damit den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen (auszugsweise aus § 31 Abs. 6 SGB V). Die Krankenkasse entscheidet dann nach entsprechendem Antrag über die Genehmigung der Verordnung. Cannabishaltige Medikamente darf jeder Arzt verordnen, selbstverständlich auch Hausärzte.

Doch was genau ist eine "schwerwiegende Erkrankung", die eine solche Verordnung rechtfertigen würde? Dazu lässt sich der Gesetzgeber nicht näher aus. Um mehr Daten zum Nutzen von Cannabis in der Medizin zu gewinnen, führt das BfArM eine Begleiterhebung durch. Jeder Arzt, der Cannabis verordnet, muss pro Patient einen entsprechenden Erhebungsbogen an das BfArM schicken. Der Studienbericht wird aber erst im Jahr 2022 erwartet.

Bis dahin sollte man sich an den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Eine Recherche der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) [2] kommt zu dem Ergebnis, dass zur Linderung von Symptomen wie Spastik, Schmerzen sowie Übelkeit oder Erbrechen unter Zytostatika die Gabe von Cannabinoiden als individueller Therapieversuch erwogen werden kann, insbesondere in der Palliativmedizin. Eine Metaanalyse amerikanischer Autoren [3] förderte eine moderate Evidenz zutage für
  • chronische Schmerzen und Spastiken

und eine geringe Evidenz für die Behandlung von
  • Übelkeit und Erbrechen unter Zytostatika
  • Gewichtsverlust bei HIV-Infektionen
  • Schlafstörungen und
  • Tourette-Syndrom

Laut einer Übersicht der US-amerikanischen National Academies of Sciences, Engineering and Medicine [4] gibt es eine gute Evidenz für eine Wirksamkeit bei:
  • Spastik bei Multipler Sklerose,
  • Übelkeit und Erbrechen unter Zytostatika
  • chronischen Schmerzen bei Erwachsenen

Eine weitere Orientierungshilfe könnten die bisherigen Ausnahmegenehmigungen des BfArM für eine Behandlung mit Cannabis bieten. Diese liegen vor allem vor für:
  • Schmerz
  • ADHS
  • Spastik (unterschiedlicher Genese)
  • Depression
  • Inappetenz/Kachexie
  • Tourette-Syndrom
  • Darmerkrankungen
  • Epilepsie

Was ist auf dem Markt?

Cannabis darf in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten und als Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon verordnet werden (Tabelle 1).

Cannabisblüten können zurzeit nur aus dem Ausland bezogen werden (Niederlande, Kanada). Mit Hilfe der Cannabisagentur soll auch in Deutschland der Anbau von Cannabis vorangetrieben werden. Eine erste Ernte wird Ende dieses Jahres erwartet.

Wirkungen, Dosierung und Einnahme von Cannabis

Je nachdem, welche Cannabinoide und in welcher Zusammensetzung sie in dem Arzneimittel enthalten sind, können die Wirkungen unterschiedlich sein.

Tetrahydrocannabinol (THC) wirkt vor allem antiemetisch, relaxierend und sedierend. Cannabidiol wirkt dagegen vor allem antipsychotisch, anxiolytisch, antiinflammatorisch, antiemetisch und spasmolytisch.

Was die Dosierungen angeht, gibt es keine allgemeinverbindlichen Empfehlungen. Die Bundesapothekerkammer gibt die in Tabelle 2 aufgeführten Empfehlungen.

Cannabisblüten sind in unverarbeitetem Zustand schwer zu dosieren. Sie sollten vor der Abgabe durch den Apotheker zerkleinert und gesiebt werden und dem Patienten zusammen mit einem Dosierlöffel übergeben werden.

Cannabis kann inhaliert oder oral aufgenommen werden. Die Inhalation nach Verbrennung als Joint wird nicht empfohlen.

Cannabisblüten können über einen Vaporisator inhaliert werden. Zubereitungen als Tee sind weniger effizient und eingebacken in Keksen schwer dosierbar.

Cannabisextrakte werden oral eingenommen. Dronabinol kann als Lösung inhaliert und in Form von Kapseln oder Tropfen geschluckt werden.

Mögliche Nebenwirkungen

In der Metaanalyse von Whiting et al. [3] konnten folgende kurzzeitige unerwünschte Nebenwirkungen dokumentiert werden:
  • Schwindel
  • Mundtrockenheit
  • Übelkeit/Erbrechen
  • Müdigkeit
  • Schlafstörungen
  • Euphorie
  • Orientierungsstörungen
  • Benommenheit
  • Verwirrtheit
  • Gleichgewichtsstörungen
  • Halluzinationen

Was die Fertigarzneimittel Sativex® und Canemes® angeht, sollten die Packungsbeilagen beachtet werden. So heißt es etwa in den Fachinformationen von Sativex®, dass eine additive Wirkung möglich sei, wenn gleichzeitig andere Medikamente wie Hypnotika, Sedativa oder Arzneimittel mit sedierenden Wirkungen eingenommen werden, und dass auf Alkohol während der Einnahme verzichtet werden sollte.

Was die Verkehrstauglichkeit angeht von Patienten, die Cannabis einnehmen, so ist die Rechtslage noch unklar. Das BfArM rät in der Eindosierungsphase vom Führen eines Kraftfahrzeugs ab. Ob bei stabiler Dosierung die Teilnahme am Straßenverkehr möglich ist, sei im Einzelfall zu prüfen. Ob Sanktionierungen befürchtet werden müssen, wenn Cannabispatienten Auto fahren, wird von der Bundesregierung zwar grundsätzlich verneint, jedoch mit dem Verweis auf die Zuständigkeit der Länder. Es sei auf jeden Fall zu empfehlen, eine Kopie des BtM-Rezepts oder eine Bescheinigung des Arztes mitzuführen.


Literatur
1) https://www.bundesaerztekammer.de/aerzte/versorgung/ambulant/cannabis/
2) http://www.akdae.de/Stellungnahmen/Weitere/20160114.pdf
3) Whiting PF et al. (2015): Cannabinoids for Medical Use – A Systematic Review and Meta-analysis. In: JAMA 2015; 313 (24): 2456 – 2473. doi:10.1001/jama.2015.63585
4) National Academies of Sciences, Engineering and Medicine (2017): The health effects of cannabis and cannabinoids: https://www.nap.edu/catalog/24625/the-health-effects-of-cannabis-and-cannabinoids-the-current-state



Autorin:
Dr. med. Vera Seifert



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2020; 42 (14) Seite 24-26