Was sind die häufigsten neurologischen Symptome und Diagnosen in der Akutversorgung? Ziel der hier vorgestellten Erhebung war es, anhand zweier unselektierter Stichproben in einem Krankenhaus und in einer neurologischen Facharztpraxis die wichtigsten Zuweisungsdiagnosen und -symptome zu erfassen. Als in allen Bereichen vorkommende Symptome erwiesen sich dabei Kopfschmerzen und Schwindel.

Wie groß der Anteil von neurologischen Symptomen und Diagnosen in der Akutmedizin ist, wurde anhand von drei verschiedenen Untersuchungsorten erfasst:

  • Notaufnahme in einem Schwerpunktkrankenhaus (KH St. Pölten), d. h. akute Einweisungen im Notfallsetting
  • Zuweisungsdiagnosen in eine Krankenhausambulanz (KFJ Wien)
  • Zuweisungsdiagnosen zu einer neurologischen Facharzt-Praxis

Akutversorgung (Notaufnahme)

Analysiert wurden retrospektiv von der Arbeitsgruppe um Neuhauser et al. [1] 4 300 Patienten. Bei ca. 17 % standen neurologische Beschwerden/Erkrankungen im Vordergrund. Davon entfielen auf Kopfschmerz 20 %, Schwindel 19 %, epileptischen Anfall 7 % und motorisches Defizit 13 %.

Neurologische Ambulanz

Die Zuweisungen in die neurologische Ambulanz des KFJ Wien kommen von anderen Fachdisziplinen, von der Aufnahmestation und zunehmend handelt es sich um Selbstzuweisungen im Rahmen der Notfallversorgung.

Bei den Zuweisungsdiagnosen liegt eine Mischung zwischen krankheitsspezifischen Diagnosen (z. B. zerebrale Durchblutungsstörungen) und Symptomen (z. B. Kopfschmerz, Schwindel) vor (vgl. Tabelle 1). Bei der Zuweisung dominierte die Frage nach zerebralen Durchblutungsstörungen und bei den Symptomen Schwindel, Kopfschmerz und Sensibilitätsstörungen. Weitere Fragestellungen waren krankheitsspezifisch, genannt wurden Multiple Sklerose, extrapyramidale Erkrankung, Hirntumoren, Demenz, Schmerzsyndrome, Anfälle, Hirnnervensymptome und Gefühlsstörungen.

Facharzt-Praxis

Die Zuweisungen erfolgen hier durch den praktischen Arzt, andere Fachärzte sowie als Selbstzuweisung. In der Praxis dominierten Kopfschmerzen, gefolgt von der Zuweisung Polyneuropathie, Schwindel, extrapyramidale Erkrankungen, Gefühlsstörungen. Ein hoher Anteil war dem neuro-psychiatrischen Komplex der Panikstörung und der Depression zuzuordnen, was zweifellos mit der neuropsychiatrischen Doppelfachausrichtung zusammenhing (vgl. Tabelle 2).

Was ist wo häufig?

Die Art der Zuweisungsdiagnosen ist zweifellos abhängig von der Ausrichtung des Krankenhauses, in dem sich die Ambulanz befindet, und auch von der Ausrichtung der Facharztpraxis. Auch die Zuweiser sind unterschiedlich. Überraschend ist, dass trotz der unterschiedlichen Zuweiser und Ausrichtung der Einrichtungen eine große Zahl von Symptomen und Krankheitsbildern überlappte. Überschneidende und in allen drei Bereichen dominierende Zuweisungsdiagnosen waren Kopfschmerz und Schwindel. Sensibilitätsstörungen überlappten in der neurologischen Ambulanz und in der Facharztpraxis. In beiden Institutionen wurde zudem oft die Frage nach extrapyramidalen Störungen und Tremor bzw. nach Polyneuropathie gestellt (vgl. Abb. 1).

Kommentar zu den wichtigsten Fragestellungen

1) Zerebrovaskuläre Erkrankungen

In den letzten Jahren hat die Aufmerksamkeit für zerebrale Durchblutungsstörungen deutlich zugenommen. Das liegt einerseits an den verbesserten Möglichkeiten der Akutversorgung und besonders an der Einführung der Stroke Units, aber auch an verbesserten Therapie- und Rehabilitationsmöglichkeiten. Die TIA hat sich von einer Verlegenheitsdiagnose" in einen medizinischen Notfall verwandelt und genau wie bei kardialen Störungen sollte noch am selben Tag eine Abklärung erfolgen. Die Kompetenz der neurologischen Diagnostik hat sich hier deutlich verbessert.

2) Kopfschmerz

Kopfschmerzen sind ein weites Gebiet und eine der häufigsten Beschwerden in der Praxis. Hier stellt sich bei der Untersuchung die Frage, ob es sich um einen primären Kopfschmerz (z. B. Spannungskopfschmerz, Migräne) handelt oder um einen sogenannten symptomatischen Kopfschmerz, der durch einen anderen Prozess ausgelöst wird und damit ein Symptom für eine andere Krankheit darstellt. Infrage kommen hier beispielsweise primäre intra- oder extrakranielle Ereignisse (Blutung, Tumoren) oder Kopfschmerzen, die im Rahmen von Infektionen oder anderen Krankheitsprozessen auftreten. Aufgrund dieser enormen Bandbreite von Kopfschmerztypen ist die neurologische Expertise bei der Diagnostik und Therapie sehr gefragt.

3) Schwindel

Schwindel ist ein häufiges Symptom und beinhaltet von Unsicherheit bis zum Dreh- und Schwankschwindel alle Komponenten. Unsicherheit ("Dizziness") ist ein unspezifisches Symptom, welches mit zunehmendem Alter immer mehr in den Vordergrund tritt. Schwindel im Sinn von Dreh- oder Schwankschwindel signalisiert eine Bewegungsillusion und kann mit autonomen Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen assoziiert sein. Im Aufnahmesetting ist zwischen akut und chronisch und lokalisierenden Komponenten zu unterscheiden. Besonders tückisch ist die Neuronitis vestibularis, die bei deutlicher Ausprägung nicht immer von einem Schlaganfall im Hirnstamm zu unterscheiden ist. Eindrucksvoll ist der periphere paroxysmale Lagerungsschwindel, der durch einfache Lagerungsmaßnahmen gebessert und fast immer geheilt wird.

4) Sensibilitätsstörungen

Diese werden in der Bewertung fast immer hinter motorische Ausfälle gereiht. Das kann daran liegen, dass im Unterschied zu Lähmungen die Gefühlsstörungen schwerer zu erfassen sind und deren Eingrenzung und Charakterisierung fast immer von der Mitarbeit der Patienten abhängen.

Man muss sich stets bewusst sein, dass das sensible System den Bewegungsablauf vollständig im Sinne eines Feedback-Mechanismus kontrolliert. "No movement without sensibility" beschreibt dies treffend. Gefühlsstörungen können vielfältige Ursachen haben und Störungen der Gehirnfunktion, des Rückenmarkes, der Nervenwurzeln und der peripheren Nerven beinhalten. Neben dem zeitlichen Beginn und der Ausbreitung lassen sich Gefühlsstörungen in "Minus" (Gefühlsverlust, Taubheit) und "Plus" (Missempfindungen, Elektrisieren, Brennen) unterteilen, manchmal sind auch schmerzhafte neuropathische Komponenten dabei.


Literatur:
1) Neurologische Leitsymptome in der interdisziplinären Notaufnahme des LKH St. Pölten Neuhauser C., Kunzmann J., Ressl N., Körner N., Taubenschuss E., Oberndorfer S. Notaufnahme des LKH St. Pölten Abteilung für Neurologie, KLPU, Landesklinikum Sankt Pölten. Fachmagazin für Neurologie SUPPLEMENTUM 2/2014
2) Feldman E et al, Atlas of Neuromuscular Diseases, Ed 2, Springer, Wien –New York 2014
3) Grehl H. et al. Checkliste Neurologie; 5. Auflage, Thieme , 2012


Autor:

Dr. med. Wolfgang Grisold, Wien

Neurologische Abteilung KFJ
FA Neurologie
1150 Wien

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.


Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2014; 36 (15) Seite 56-59