Auch Patienten mit einer HIV-Infektion sollten im Prinzip alle von der STIKO empfohlenen Impfungen erhalten. Ein Impfschutz ist für diesen Personenkreis sogar besonders wichtig, weil HIV-Infizierte ein erhöhtes Risiko für Infektionen haben. Allerdings müssen Totimpfstoffe möglicherweise mehrfach appliziert werden und Lebend-impfstoffe können je nach Stadium der HIV-Infektion kontraindiziert sein.

Wie bereits im letzten Jahr angekündigt hat die STIKO nun "Anwendungshinweise" zum Impfen bei Immundefizienz veröffentlicht. Diese "Anwendungshinweise" sind keine "Empfehlungen" der STIKO nach § 20 des Infektionsschutzgesetzes – nur diese sind für die Kostenerstattung durch die GKV relevant. Es ist aber zu erwarten, dass die STIKO ihre Empfehlungen bei der nächsten Aktualisierung anpassen wird.

Bei HIV-positiven Personen sind die Impfantworten meist schwächer, fallen niedriger aus und halten weniger lange an als bei Nichtinfizierten. Wenn möglich sollten Impfungen deshalb direkt nach Einleitung einer effektiven Antiretroviralen Therapie (ART), die zu einer Suppression der Viruslast und zu einem Anstieg der CD4+-Zellzahl führt, erfolgen. Hierbei ist die absolute, nicht die prozentuale CD4+-Zellzahl entscheidend (vgl. Tabelle 1). Bei einigen Impfungen werden für HIV-Infizierte – abweichend von den generellen STIKO-Empfehlungen – zusätzliche Impfdosen empfohlen.

Totimpfstoffe können und sollen bei HIV-Patienten in allen Krankheitsstadien, auch bei schwerer Immunschwäche, sicher eingesetzt werden. Da insbesondere bei einer schweren Immunsuppression mit einer eingeschränkten Impfantwort zu rechnen ist, sollte eine Kon-trolle der Antikörpertiter und ggf. eine Wiederholung der Impfung erfolgen.

Einige Lebendimpfungen sind bei HIV-Infizierten generell kontraindiziert. Bei anderen hängt es vom Stadium der HIV-Erkrankung bzw. der Zahl der CD4+-Lymphozyten ab, ob die entsprechende Lebendimpfung kontraindiziert ist oder nicht.

Hepatitis A

In den USA ereigneten sich im letzten Jahr mehrere Ausbrüche von Hepatitis A bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Zudem kommt es immer wieder durch importierte Nahrungsmittel – unter anderem Zwiebeln (die in den USA für Burger verwendet wurden) und tiefgefrorene Erdbeeren (Kanada) – zu Ausbrüchen. Die Indikation für die Hepatitis-A-Impfung sollte deshalb bei HIV-Infizierten großzügig gestellt werden.

Für die Impfung von HIV-Infizierten sollte vorzugsweise der monovalente Hepatitis-A-Impfstoff verwendet werden: Er hat einen höheren Antigengehalt als der Hepatitis-A- und -B-Kombinationsimpfstoff.

Die Anzahl der empfohlenen Dosen hängt von der absoluten Zahl der CD4+-T-Zellen ab:
  • > 350 CD4+-T-Zellen/µl: zwei Impfungen mit dem monovalenten Hepatitis-A-Impfstoff im Abstand von 6 – 12 Monaten, also wie bei "Immungesunden"
  • < 350 CD4+-T-Zellen/µl: dreimalige Impfung mit dem monovalenten Hepatitis-A-Impfstoff nach dem Schema 0, 1 und 6 Monate. Dieses Schema weicht von Fachinformationen der Hepatitis-A-Impfstoffe ab.

Wenn weiterhin ein Hepatitis-A-Risiko besteht, sollte nach fünf Jahren eine Bestimmung der Hepatitis-A-Antikörpertiter und ggf. eine Booster-Impfung erfolgen.

HIV-Infizierte mit einer CD4+-T-Zellzahl von > 500/µl können auch mit dem Hepatitis-A- und -B-Kombinationsimpfstoff geimpft werden, wenn der Betreffende noch keinen Impfschutz gegen Hepatitis B hat. Wegen des geringeren Antigengehaltes des Kombinationsimpfstoffs sollte dann nach Abschluss der Impfserie eine Kontrolle der Hepatitis-A-Antikörpertiter erfolgen. Wenn die Hepatitis-A-Antikörperkonzentration < 20 lU/ml beträgt, sollte eine weitere Impfung mit dem monovalenten Hepatitis-A-Impfstoff erfolgen.

Als Postexpositionsprophylaxe (PEP) nach einem Risikokontakt (z. B. bei MSM) wird eine Hepatitis-A-Impfung mit dem monovalenten Impfstoff empfohlen. Sie soll "so schnell wie möglich", maximal 14 Tage nach der Exposition, erfolgen. Wenn die CD4+-T-Zellzahl bei < 200/ µl liegt, soll zusätzlich Humanes Hepatitis-A-Immunglobulin gegeben werden.

Hepatitis B

HIV und Hepatitis B haben ähnliche Übertragungswege – "Sex und Blut". Die Hepatitis-B- Impfung ist deshalb grundsätzlich für alle HIV-Infizierten indiziert.

Bei HIV-Infizierten mit einer CD4+-T-Zellzahl von < 500/µl reagieren 30 % ungenügend auf die Impfung. Deshalb sollte vier bis acht Wochen nach abgeschlossener Grundimmunisierung der Anti-HBs-Titer bestimmt werden.

Liegt der Anti-HBs-Titer bei < 100 IE/l, sollte eine vierte Impfdosis gegeben werden.

Wenn es auch vier bis acht Wochen nach der vierten Impfung zu keinem Anstieg des Anti-HBs-Titers kommt, bestehen die folgenden Optionen:
  • Gabe eines Hepatitis-B-Impfstoffs mit erhöhtem (40 µg) Antigengehalt (HBVAXPRO® 40)
  • Gabe eines adjuvantierten Hepatitis-B-Impfstoffs (Fendrix®). Dabei handelt es sich um eine Off-Label-Anwendung: Dieser Impfstoff ist nur für Dialysepatienten zugelassen.
  • Impfung mit der trivalenten Hepatitis-B-Vakzine Sci-B-Vac® – derzeit in Deutschland nicht zugelassen.

Herpes zoster

Die Impfung mit dem Totimpfstoff Shingrix® ist auch bei HIV-infizierten Patienten sicher und wirksam. Zugelassen ist der Impfstoff aktuell ab einem Lebensalter von > 50 Jahren. Es liegen aber Studiendaten zur Zosterimpfung jüngerer HIV-Patienten mit Shingrix® vor. Da HIV-Patienten ein erhöhtes Risiko haben, an einem Herpes zoster zu erkranken, ist die Impfung sinnvoll. Bei HIV-Infizierten im Alter von unter 50 Jahren handelt es sich um eine Off-Label-Anwendung.

Humane Papillomaviren (HPV)

HIV-infizierte Menschen erkranken deutlich häufiger an HPV-Infektionen, analen Dysplasien und Analkarzinomen als HIV-negative Menschen. Besonders hoch ist das Risiko bei MSM. Die aktuellen STIKO-Empfehlungen sehen die Impfung gegen HPV für alle Mädchen und Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren vor. Die an den aktuellen Anwendungshinweisen beteiligten Experten empfehlen, dass auch erwachsene HIV-Infizierte gegen HPV geimpft werden.

Sowohl der bivalente (Cervarix®) als auch der nonavalente (Gardasil 9®) HPV-Impfstoff kann bei HIV-Infizierten eingesetzt werden.

Saisonale Influenza

Für HIV-Infizierte und ihre Kontaktpersonen wird die jährliche Influenzaimpfung mit dem quadrivalenten Impfstoff empfohlen. HIV-infizierte Kinder sollen ab einem Alter von sechs Monaten jährlich gegen saisonale Influenza geimpft werden. Bei asymptomatischen Kindern im Alter von 5 bis 18 Jahren mit einer CD4+-Zellzahl von > 200/µl kann auch der nasale Influenza-Lebendimpfstoff verwendet werden.

Der nasale Influenza-Lebendimpfstoff ist bei symptomatischen HIV-Infizierten kontraindiziert.

Meningokokken

HIV-Infizierte haben ein im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zehnfach erhöhtes Risiko für invasive Meningokokken-Erkrankungen. Je niedriger die Zahl der CD4+-Lymphozyten, desto höher das Risiko. Vermutlich sind Meningokokken auch sexuell übertragbar: Bei MSM kam es in den vergangenen Jahren zu mehreren Ausbrüchen von invasiven Meningokokken-Erkrankungen.

HIV-Infizierte sollen gegen Meningokokken der Serogruppe B (häufigste Serogruppe in Deutschland) und mit dem Konjugatimpfstoff gegen Meningokokken der Serogruppen ACYW135 geimpft werden.

HIV-infizierte Kinder sollen im 2. Lebensjahr statt mit dem von der STIKO empfohlenen Impfstoff gegen MenC mit einem Impfstoff gegen Meningokokken der Serogruppen ACYW135 geimpft werden. Kinder, die bereits eine Impfung mit dem MenC-Impfstoff erhalten haben, sollen zusätzlich eine Impfung gegen Meningokokken der Serotypen ACYW135 erhalten. HIV-infizierte Kinder, die weniger als 200/µl CD4+-Lymphozyten haben, sollten – abweichend von der aktuell gültigen STIKO-Empfehlung – nach acht Wochen eine zweite Impfung und nach fünf Jahren eine Boosterimpfung mit dem ACYW135-Konjugatimpfstoff erhalten.

Pneumokokken

HIV-Infizierte haben auch unter antiretroviraler Therapie (ART) ein erhöhtes Risiko für invasive Pneumokokken-Erkrankungen. Hauptrisikofaktoren sind eine niedrige CD4+-Lymphozytenzahl und eine hohe HI-Viruslast. Rauchen und Alkoholkonsum erhöhen ebenfalls das Risiko.

Die STIKO empfiehlt bei HIV-Infizierten die sequenzielle Impfung gegen Pneumokokken: Impfung mit dem 13-valenten Konjugatimpfstoff (PCV13, Prevenar®), nach sechs bis zwölf Monaten zusätzlich Impfung mit dem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff (PPSV 23, Pneumovax®).

Lebendimpfungen

Masern, Mumps, Röteln (MMR)

Der attenuierte MMR-Lebendimpfstoff kann bei HIV-infizierten Kindern verwendet werden, sofern ihre CD4+-Lymphozytenzahl bei > 200/µl liegt. Die Autoren der Anwendungshinweise empfehlen, den Impferfolg alle ein bis zwei Jahre durch Titerbestimmungen zu kontrollieren und ggf. Boosterimpfungen durchzuführen.

Erwachsene HIV-Infizierte, die als Kind nur eine MMR-Impfung erhalten haben, sollten eine einmalige MMR-Nachimpfung erhalten – sofern ihre CD4+-Lymphozytenzahl > 200/µl beträgt. Seronegative Erwachsene mit einer CD4+-Lymphozytenzahl > 200/µl sollen gemäß Anwendungshinweisen zwei MMR-Impfungen erhalten.

Varizellen

Die Impfung mit einem monovalenten Varizellenimpfstoff ist bei asymptomatischen HIV-Infizierten möglich, sofern die CD4+-Lymphozytenzahl > 200/µl beträgt und die altersabhängige CD4+-Lymphozytenzahl bei Kindern nicht dem Stadium 3 nach der CDC-Einteilung entspricht (vgl. Tabelle 2).

Erwachsene HIV-Infizierte mit negativer Varizellenanamnese und seronegative Erwachsene können unter wirksamer antiretroviraler Therapie zweimal im Abstand von sechs bis acht Wochen gegen Varizellen geimpft werden.

Kommt es bei seronegativen ungeimpften HIV-Infizierten zu einer Exposition – also zu einem Kontakt mit einem an Windpocken oder Herpes zoster erkrankten Menschen –, sollte möglichst früh, d. h. bis maximal zehn Tage nach der Exposition, Varizella-zoster-Virus-Immunglobulin gegeben werden.

Der Lebendimpfstoff gegen Herpes zoster (Zostavax®) soll bei HIV-infizierten Menschen nicht verwendet werden. Der Totimpfstoff (Shingrix®) kann und soll dagegen in allen HIV-Stadien verwendet werden (siehe oben).

Rotavirus

Die Impfung gegen Rotavirus kann bei HIV-infizierten Säuglingen durchgeführt werden, sofern keine schwere Immunsuppression besteht.

Gelbfieber

Asymptomatische HIV-Infizierte mit einer CD4+-Lymphozytenzahl von > 200/µl und einer durch antiretrovirale Therapie erfolgreich supprimierten Viruslast können gegen Gelbfieber geimpft werden. Bei HIV-Infizierten kann – im Gegensatz zu Immungesunden – nicht sicher von einer lebenslangen Immunität nach einmaliger Gelbfieberimpfung ausgegangen werden. Bei weiter bestehendem Infektionsrisiko sollte nach zehn Jahren eine Auffrischimpfung erfolgen.

Bei einer CD4+-Lymphozytenzahl von weniger als 200/µl ist die Gelbfieberimpfung kontraindiziert. In Thailand kam es nach der Impfung eines Patienten mit < 200/µl CD4+-T-Lymphozyten zu einem Todesfall.

Oraler Typhus-Lebendimpfstoff

Der orale Typhus-Lebendimpfstoff ist bei HIV-Infizierten kontraindiziert.

Reiseimpfungen mit Totimpfstoffen

Reiseimpfungen mit Totimpfstoffen sollten bei HIV-Infizierten grundsätzlich entsprechend der STIKO-Empfehlung durchgeführt werden. Das bei der FSME-Impfung zugelassene Schnellschema sollte bei HIV-Infizierten nicht verwendet werden, da zu diesem Schema keine Daten zur Wirksamkeit bei HIV-Infizierten vorliegen.

Die Indikation zur Impfung mit dem Typhus-Totimpfstoff (Vi-Polysaccharidvakzine) sollte bei HIV-Infizierten großzügig gestellt werden.

Vier bis acht Wochen nach der Tollwutimpfung sollte bei HIV-Infizierten eine Antikörperbestimmung erfolgen. Wenn der Antikörpertiter bei < 0,5 IE/ml liegt, sollte eine weitere Impfdosis appliziert werden.


Literatur:
Ehl S et al.: Impfen bei Immundefizienz. Anwendungshinweise zu den von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen. Bundesgesundheitsblatt 2018 61: 1034 – 1051



Autor:

© Alexianer Krefeld GmbH
Dr. Andreas H. Leischker, M.A.

Facharzt für Innere Medizin – Reisemedizin (DTG), Flugmedizinischer Sachverständiger
Gelbfieberimpfstation
Alexianer Krefeld GmbH
47918 Krefeld

Interessenkonflikte: Dr. Leischker hat Honorare/Reisekostenunterstützung von Pfizer, Novartis und Sanofi-Pasteur-MSD erhalten. Er ist Dozent und Mitglied der Akademie des Centrums für Reisemedizin (CRM) Düsseldorf



Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2018; 40 (18) Seite 60-63