Die Hypakusis als ein häufiges Leitsymptom kann viele Ursachen haben. Eine Verdachtsdiagnose kann bereits durch die in der Hausarztpraxis zur Verfügung stehenden Mittel gestellt werden. Der folgende Artikel bietet einen Überblick über die häufigen Ursachen einer Hörminderung und mögliche Therapieansätze. Ein zentraler Punkt ist die frühzeitige Therapie der Presbyakusis.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind 60 % der Bevölkerung zu einem Zeitpunkt in ihrem Leben von einer Schwerhörigkeit betroffen [1]. Eine richtungsweisende Diagnose kann bereits durch eine Anamnese und orientierende Untersuchung in der Allgemeinarztpraxis gestellt werden. Abgesehen von der Zeit des Auftretens sind folgende Begleitsymptome bei einer Hypakusis entscheidend: Otorrhoe, Schwindel, Otalgie und Tinnitus. Die orientierende Untersuchung erfolgt mit einem Otoskop und einer Stimmgabel. Durch den otoskopischen Befund können bereits einige Krankheitsbilder ausgeschlossen oder auch gleich die Diagnose gestellt werden.

Ort der Störung eingrenzen

Die Stimmgabelprüfungen helfen, eine Schallleitungsschwerhörigkeit von einer Schallempfindungsschwerhörigkeit abzugrenzen. Bei Lateralisation im Weber-Versuch (Abb. 1) muss auf jeden Fall ein Rinne-Versuch (Abb. 2) erfolgen, um aufzudecken, welches Ohr betroffen ist.

Einer akuten Schallempfindungsschwerhörigkeit kann eine traumatische (z. B. Schädelbasisfraktur) oder toxisch-infektiöse (u. a. Diuretika, Aminoglykoside, Zytostatika) Ursache zugrunde liegen. Häufig kann eine akute Schallempfindungsschwerhörigkeit auch im Rahmen eines Knalltraumas ausgelöst werden oder idiopathisch sein. Die häufigste Ursache für eine Schallleitungsschwerhörigkeit ist ein Ceruminalpfropf (Abb. 3). Wegweisende Symptome sind eine akute Hörminderung begleitet von Druckgefühl bis zur Otalgie. In diesem Fall empfehlen wir, von einer Gehörgangsspülung, die noch weitverbreitet durchgeführt wird, abzusehen, wegen der Gefahr für Trommelfellperforationen, Mittelohrinfekte und Tinnitus. Stattdessen sollte eine Überweisung zum HNO-Facharzt zur Gehörgangsreinigung unter mikroskopischer Sicht erfolgen. Bei festsitzendem Ceruminalpfropf ist eine vorherige Anwendung von cerumenauflösenden Ohrentropfen wie z. B. Cerumenex® sinnvoll.

Eine weitere Ursache für eine passagere Schallleitungsschwerhörigkeit ist der Paukenerguss nach Rhinosinusitis (akuter Otitis media, Abb. 4). Eine persistierende, gar progrediente Schallleitungsschwerhörigkeit spricht eher für eine chronische Otitis media (Abb. 5) oder eine Otosklerose, d. h. eine Fixation der Steigbügelplatte an der runden Fenstermembran.

Begleitsymptome einer Hypakusis wie Juckreiz und fötide Otorrhoe, die typischerweise nach Baden oder bei Patienten mit trockener Haut auftreten, können Hinweis für eine akute Otitis externa mit Verlegung des Gehörgangs sein (Abb. 6). Hier steht die lokale antibiotische Therapie mit Ciprofloxacin-Ohrentropfen oder bei Verlegung des Gehörganges mit antibiotischen Salbenstreifen in Kombination mit Kortison im Vordergrund.

Eine Differenzierung von Schallleitungs- und Schallempfindungsstörung ist auch mittels Tonaudiogramm möglich (vgl. Abb. 7 a – c).

Einseitige Hörstörung, normale Otoskopie

Eine akute, anhaltende einseitige Hörminderung, evtl. Taubheit, welche auch in Kombination mit Tinnitus auftreten kann und ein unauffälliges otoskopisches Bild zeigt, sollte den Verdacht auf einen akuten Hörsturz lenken. Mit einer Inzidenz von 160 – 400 /100 000 Einwohner pro Jahr ist dieses Krankheitsbild häufig und erfordert einen zeitnahen Therapiebeginn [2]. In den AWMF-Leitlinien wird klar geregelt, bei welchen Patienten die Indikation für eine stationäre Therapie besteht (vgl. Übersicht) [3]. Die Therapiekosten werden erfahrungsgemäß durch die Krankenkassen übernommen und bestehen in einer frühzeitigen hochdosierten intravenösen Kortisongabe und eventuell einer rheologischen Infusionstherapie mit Pentoxifyllin oder HES-Lösungen.

Da viele Patienten mit neu aufgetretenen Beschwerden als Erstes ihren Hausarzt aufsuchen, ist er derjenige, der die Verdachtsdiagnose stellt und dem Patienten die Dringlichkeit der Situation nahelegt. Bei entsprechender Indikation empfehlen wir, den Patienten unverzüglich in die Klinik einzuweisen. In einer aktuellen Studie zeigten die Kollegen Reineke et al., dass ein Therapiebeginn innerhalb eines Fensters von acht Tagen zu einem besseren Outcome führt [4]. Die Therapie des Hörsturzes ist und bleibt jedoch weiterhin ein umstrittenes Thema [5]. Die therapeutischen Mittel, die zur Verfügung stehen, sind gering und Ziel jedes Arztes ist es, seinem Patienten die maximal mögliche Therapie zukommen zu lassen.

Hörminderung und Schwindel

Eine passagere Hörminderung, begleitet von Drehschwindel und Tinnitus, führt zu der Verdachtsdiagnose des M. Menière. Der otoskopische Befund und die Stimmgabelprüfung sind unauffällig. Auch die weiterführende Diagnostik wie Tonaudiometrie und kalorische Vestibularisprüfung ist vor allem in den Anfangsstadien der Erkrankung außerhalb des akuten Anfalls unauffällig.

Die Symptome akute Hörminderung, akuter Tinnitus und Schwindel müssen in allen Fällen mit einer kraniellen Magnetresonanztomographie mit Gadolinium abgeklärt werden. Bei einem akuten Hörsturz oder Tinnitus sollte aufgrund der Lärmbelästigung ein Intervall von vier bis sechs Wochen eingehalten werden. Bei alleinigem Schwindel kann und muss eine Raumforderung zeitnah durch ein MRT ausgeschlossen werden. Auch wenn das Akustikusneurinom mit acht Fällen pro 1 Mio. Einwohner/Jahr insgesamt selten ist, kann eine frühzeitige Diagnostik die Therapiealternativen – operative Tumorexstirpation versus Bestrahlungstherapie – erhöhen. In 80 % der Fälle ist der Tinnitus das Erstsymptom eines Akustikusneurinoms.

Altersschwerhörigkeit

Die Presbyakusis gehört zu den häufigsten Formen der Hypakusis. Bei der immer älter werdenden Population steht eine progrediente beidseitige Hörminderung im Vordergrund, die ab dem 50. Lebensjahr immer mehr an Bedeutung zunimmt. Im Tonschwellenaudiogramm zeigt sich ein symmetrischer Hörverlust im Hochtonbereich, der von Tinnitus begleitet sein kann. Entscheidend für die Lebensqualität ist jedoch nicht das Tonaudiogramm, sondern das Sprachverständnis, das mittels Freiburger Einsilbertest ermittelt wird. Dabei handelt es sich um einen Test aus 40 Gruppen mit je 20 einsilbigen Substantiven. Dieser wird den Patienten über einen Lautsprecher vorgetragen. Insgesamt werden 20 Einsilber präsentiert und das Ergebnis pro richtig verstandenem Einsilber als 5 % von möglichen 100 % erfasst [6]. Zu beachten ist außerdem, dass die Testergebnisse unter Ruhebedingungen deutlich besser sind als mit Störschall. Ein begleitender Störschall bei dem Sprachtest spiegelt den Alltagszustand des Patienten wider und passt auch häufig zu den von dem Patienten beschriebenen Beschwerden, wie z. B. dass das Telefonieren kein Problem sei, aber dass das Verstehen in lauter Umgebung (Straßenlärm, Familienfeiern) sehr problematisch ist.

Die Therapie der Presbyakusis besteht in einer frühzeitigen und vor allem beidseitigen Hörgeräteversorgung. Die Vorteile für eine Hörgeräteversorgung sind neben einer Steigerung der Lebensqualität die Überdeckung des Tinnitus durch die Verstärkung des Gehörs im Hochtonbereich und die Vorbeugung der Hörbahndegeneration [7]. Eine elegante Lösung stellt heutzutage die offene Hörgeräteversorgung dar, bei der nur die hohen Töne verstärkt werden. Der Vorteil ist, dass durch Ohrpassstücke der Gehörgang nicht abgedichtet wird und der Patient seine eigene Stimme und körpereigenen Geräusche nicht als störend wahrnimmt. Durch einen feinen Silikonschlauch und einen HdO-Prozessor (hinter dem Ohr) wird hierdurch für viele Patienten eine akzeptable Lösung dargestellt.


Literatur
1. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Themenhefte Januar 2006, Heft 29: Hörstörungen und Tinnitus
2. Zahnert T: The differential diagnosis of hearing loss. Dtsch Arztebl Int 2011; 108 (25): 433-44
3. Vijayendra H, Buggaveeti G, Parikh B, Sangitha R, Sudden sensorineural hearing loss: an otologic emergency. Indian J Otolaryngol Head Neck Surg. 2012 Mar;64(1)
4. Reineke U, Hühnerschulte M, Ebmeyer J, Sudhoff H (2012) Tympanoskopie mit Abschottung der Rundfenstermembran beim idiopathischen Hörsturz. doi:10.1007/s00106-012-2531-0.
5. Cinamon U, Bendet E, Kronenberg J (2001) Ste¬roids, carbogen or placebo for sudden hearing loss: a prospective double-blind study. Eur Arch Otorhinolaryngol 258(9):477–480
6. Hahlbrock KH (1953). Über Sprachaudiometrie und neue Wörterteste. Arch Ohren Nasen Kehlkopfheilkd. 162(5):394-431
7. Mazurek B, Stöver T, Haupt H, Gross J, Szczepek A. Die Entstehung und die Behandlung der Presbyakusis. HNO. 2008 Apr;56(4):429-32, 434-5.

Interessenkonflikte:
keine deklariert

Abbildungen:
Lenarz

PD Dr. med. Minoo Lenarz


Kontakt:
PD Dr. med. Minoo Lenarz
Dr. med. Hasibe Sönmez

Charité - Universitätsmedizin Berlin
Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie
12200 Berlin

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2013; (10) Seite 16-21