Rund zwei Milliarden Euro Honorarumsatz werden laut Virchowbund in Deutschland jährlich über Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) erwirtschaftet.

Schaut man sich aber die Bilanz in der niedergelassenen Arztpraxis an, werden dort im Regelfall aber nur minimale Umsätze verbucht. Warum ist das so? Diese und mehr Fragen rund um das Thema IGeL beantwortete für uns Wolfgang Apel, der in den letzten 17 Jahren rund 350 niedergelassene Arztpraxen beim Thema Praxis-Wirtschaftlichkeit betreut hat.

doctors|today: Hoher wirtschaftlicher Druck und wenig Umsatz bei IGeL: Wie passt das zusammen?

Apel: Die Erfahrung vieler Ärzte ist schlichtweg: "Die Leute hier haben kein Geld für so etwas." Stimmt das wirklich? Viele Niederlassungen befinden sich in Gebieten, in denen die Menschen nicht zu den überdurchschnittlichen Verdienern gehören. Doch auch diese Patienten haben eine "Summe X" zur Verfügung − und sie entscheiden, wofür sie diese ausgeben. Es gibt zwei Dinge im Leben, die unwiederbringlich sind: Zeit und Gesundheit. Deswegen ist es wichtig, dass Mediziner ihren Patienten die gesundheitlichen Leistungen, die für sie geeignet sind, auch nahebringen. Unabhängig davon, wie man persönlich die finanziellen Kapazitäten dieser Patienten einschätzt.

doctors|today: Wie findet man die passenden IGeL für die eigene Praxis?

Apel: In den letzten Jahren hat z.B. in den Hausarztpraxen das Thema Vorsorgeuntersuchungen noch einmal einen Schub erfahren. Spätestens, seit sich die Abrechnungszeiträume gegenüber den GKV von zwei auf drei Jahre verlängert haben. Nun ist es nicht so, dass die Menschen jetzt nicht mehr zwei Jahre brauchen, um krank zu werden, sondern drei! Es geht vielmehr um eine kurzfristige Kostenminimierung aufseiten der GKV. Eine jährliche Vorsorgeuntersuchung ist daher eine IGeL-Leistung, die einfach und schlüssig zu kommunizieren ist.

doctors|today: Muss der Arzt dafür dann zum Verkäufer werden?

Apel: Ärzte verstehen sich als Berater, die ihre Patienten über Möglichkeiten von Therapie bis Vorsorge informieren. Sie sind gerade keine Verkäufer. Im Gespräch mit den Betroffenen bringen Ärzte ihre fachliche Erfahrung und das Vorwissen zur Geschichte dieser Patienten ein. Genau das lässt sich auch sehr gut bei den IGeL umsetzen. Woraus resultiert denn der potenzielle Widerstand von Patienten, in IGeL investieren zu wollen? Es geht nicht ums Geld: Knapp 85% der Patienten wünschen sich laut einer Emnid-Studie von ihrem Arzt, über solche Leistungen aufgeklärt zu werden. Sie sagen nicht, dass sie definitiv "kaufen" – aber sie wollen in der Arztpraxis informiert werden. 75 % geben an, wenn sie eine solche Leistung als sinnvoll erachten, also den Nutzen für sich erkennen, dann würden sie diese auch in Anspruch nehmen. Ich persönlich halte diese Prozentzahlen für hochgegriffen, aber entscheidend ist, dass sich ein Großteil der Menschen Aufklärung zum Thema IGeL wünsct. Nehmen wir das Beispiel eines Arztes, der Überstunden anhäuft – auch weil er sich eine zusätzliche Fachkraft in der Praxis bei seinen aktuellen Umsätzen nicht leisten kann. Woher soll dieser Mediziner die Zeit nehmen, in Ruhe und ausführlich zu informieren, so dass auch Patienten im höheren Alter oder mit Migrationshintergrund alles verstehen?

Rechenbeispiel aus der Hausarztpraxis
"Liegt eine Praxis z.B. bei 1.200 Scheinen im Quartal, sind das auf das Jahr hochgerechnet rund 3.000 unterschiedliche Patient:innen. Beim Einsatz des beschriebenen Anamnesebogens haben wir bei unseren Praxispartnern festgestellt, dass rund ein Drittel bei den Antworten Ja ankreuzt ("Das interessiert mich."). Wenn man dann schaut, was realisiert wird, liegt die Quote bei 50 % davon – das sind insgesamt rund 16–17 % der Patienten. Dabei ist interessant: Wer eine IGeL in Anspruch nimmt, nutzt in hohem Maße eine weitere oder sogar mehr. Um auch über Geld zu reden: Im Schnitt liegen wir bei den Patienten, die sich für IGeL entscheiden, bei knapp über 100 Euro Investment. Bei unserem Beispiel aus der Hausarztpraxis macht das im Jahr eine Summe von rund 50.000 Euro."
Quelle: MediKom

doctors|today: Wie kommuniziert man richtig?

Apel: Die "Sendung mit der Maus" zeigt, dass man komplexe Themen in wenigen Minuten erklären kann. Auf diesem Weg versteht z.B. auch ein Kind, wie ein Atomkraftwerk funktioniert. Genauso komprimiert und für den Empfänger optimiert ist die Aufklärung zum Thema IGeL zu gestalten. Früher liefen in vielen Arztpraxen auf großflächigen Bildschirmen medizinische "Erklärfilme" – heute schaut im Wartezimmer jeder auf sein Handy. Wir raten den Arztpraxen, die zu ihrer Praxis passenden IGeL mithilfe von Videoclips über den Anamnesebogen an die Patienten zu bringen. Im Regelfall erhalten die Patienten beim Erstbesuch einen Aufklärungsbogen − als Ausdruck oder multimedial z.B. auf dem Tablet. Hier lassen sich 2–3 Punkte ergänzen, die sich auf das Thema IGeL beziehen. Das kann dann z.B. so aussehen: "Die gesetzliche Gesundheitsversorgung bietet Ihnen als Patient:in eine wichtige Grundversorgung. Ergänzend dazu gibt es Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), mit denen Sie selbst für Ihre Gesundheit aktiv werden können. Gerne informieren wir Sie auf Wunsch über die IGeL, die für Ihre gesundheitlichen Problemstellungen und Zielsetzungen passend sind. Wenn Sie Interesse haben, mehr über solche Individuellen Gesundheitsleistungen zu erfahren (z.B. Hautkrebsvorsorge unter 35 oder Belastungs-EKG), lassen Sie es uns wissen. Wir informieren Sie gerne – neutral, unabhängig und unverbindlich."

Ob die Patienten nun mittels Anamnesebogen Ja oder Nein "sagen" – sie finden dort über einen QR-Code zu einem kurzen Video. Dieses sollte ohne Ton funktionieren und den Rahmen von 2–3 Minuten nicht überschreiten. Jetzt treffen die Patienten ihre Entscheidung, bevor sie ins Sprechzimmer kommen. Haben sie ein Ja-Kreuzchen gemacht, kann der Arzt beratend tätig werden. Haben sie das Kreuzchen nicht gemacht, steigt nach dem Infofilm die Wahrscheinlichkeit, dass die Patienten von sich aus nachfragen. Das bedeutet auch: Es werden keine extra Arbeitsschritte notwendig, auch nicht für die Mitarbeitenden in der Praxis.

Link-Tipp
Mehr über strategische Praxisentwicklung erfahren Sie im Podcast von Wolfgang Apel: www.medikom.org/podcast

doctors|today: Was sollte man bei der Umsetzung beachten?

Apel: Die Übertragung in den eigenen Anamnesebogen mittels QR-Code ist keine große Sache. Allerdings gibt es auf technischer und rechtlicher Seite ein paar Dinge, die man beachten sollte: vom Rechteerwerb der Filme über deren technisch saubere Bereitstellung, z.B. in der Cloud, bis hin zu der datenschutzkonformen Umsetzung. Hierzu kann man sich natürlich auch von einer Agentur beraten lassen.

Das Interview führte Sabine Mack



Experte

Wolfgang Apel

Praxisberater sowie Gründer und MdGL der MediKom Consulting GmbH



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (5) Seite 50-51