Klimaschutz und Klimawandel gehören zu unseren größten Herausforderungen. Auch der Gesundheitssektor steht hier in der Verantwortung.

Um das Thema in die Arztpraxen zu holen und aufzuzeigen, dass man – schon durch einfache Schritte – in der Hausarztpraxis einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, nehmen sich immer mehr Institutionen des Gesundheitswesens diesem Thema an. Dr. Susanne Balzer, Hausärztin in Köln, engagiert sich im Rahmen der DGIM in diesem Bereich und berichtet über ihre Schritte hin zu einer nachhaltigen Arztpraxis.

Mit dem Klimaschutzprogramm 2030 und dem Klimaschutzgesetz der Bundesregierung sollen die Schäden, die der Klimawandel anrichtet, von politischer Seite angepackt werden. Auch viele Privathaushalte nehmen sich dem Thema an, um im Kleinen einen Beitrag zu leisten. Regionale Lebensmittel vom heimischen Wochenmarkt, den Fleischkonsum einschränken, Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel statt PKW nutzen oder Plastikmüll einschränken können einfache erste Schritte sein, um den Alltag nachhaltiger, umweltfreundlicher und klimaneutraler zu gestalten.

Ganz ähnliche Maßnahmen lassen sich auch auf die Arztpraxen übertragen. Es gibt mehr Ansatzpunkte, als man denken mag. Nicht nur, weil der Gesundheitssektor für einen gewissen Anteil des weltweiten Ausstoßes klimaschädlicher Gase mitverantwortlich ist (2017 waren es fast 5 % [1]), sondern v.  a. auch deshalb, weil Klima- und Umweltschutz auch einen direkten Einfluss auf die Gesundheit haben können und damit in gewisser Weise unsere ureigenste Aufgabe betreffen. Aus diesem Grund nehmen sich auch immer mehr Einrichtungen und Gesellschaften aus dem Gesundheitssektor dem Thema an. So macht z. B. die Arbeitsgruppe "Hausärztliche Internisten" der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin auf die Bedeutung von Klimaschutz und Gesundheit aufmerksam und gibt konkrete Tipps, an welchen zahlreichen Stellschrauben man in der eigenen Praxis drehen kann [2]. Manche Schritte hin zu mehr Nachhaltigkeit sind denkbar einfach: Von der Umstellung auf Ökostrom und wassersparenden Armarturen über eine papierarme (oder sogar freie) Praxis bis hin zu ökologischen Alternativen für Verbrauchs- und Arbeitsmaterialien werden vielfältige Tipps aufgelistet, um erste Schritte in diese Richtung zu gehen. Nicht nur für die eher klassischen Bereiche wie Energie und Verbrauch werden Tipps bereitgestellt. Auch hinsichtlich EDV, Internet, Versicherung, Banken und Mobilität in der Praxis gibt es zahlreiche Anregungen, weitere Schritte zu einer nachhaltigen Praxisgestaltung zu gehen. Grundlage dieser Zusammenstellung bildete die "Initiative nachhaltige Praxis" der "Health for Future"-Gruppe − eine Initiative [3], die sich 2019 aus der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) gründete. KLUG war die diesjährige Partnerorganisation der DGIM für den Internisten-Kongress im April. Langsam scheint also Dynamik in das Thema zu kommen. Auch das "Bündnis Junge Ärzte" fordert mit seinem Positionspapier alle Akteure des Gesundheitswesens und die Politik auf, unverzüglich und mit konkreten Maßnahmen an der Umsetzung von Klimaschutzzielen mitzuwirken [4].

Dr. Susanne Balzer, hausärztliche Internistin in Köln, hat als Mitglied in der Arbeitsgruppe der "Hausärztlichen Internisten" der DGIM im Herbst 2020 das Resort Klimaschutz initiiert. Sie schöpft bei dem Thema auch aus ihren eigenen Erfahrungen. 2020 wurde sie Partnerin in einer Gemeinschaftspraxis. Gemeinsam mit ihrer Kollegin nutzen sie den Neubeginn, die Praxis nachhaltiger zu gestalten: "Wir wissen, dass das Gesundheitswesen einen großen Anteil an den CO2-Emissionen hat. Dadurch besteht die Notwendigkeit, in Kliniken und Praxen dieses Thema anzugehen und zu gestalten", erläutert Balzer und erzählt, wie sie vorgegangen ist. "Die Praxis nachhaltig zu gestalten ist ein Prozess und kein Hauruck-Verfahren. Manchmal sind es die kleinen Schritte"."

Praxistipp 1: Energie sparen

"Die Umstellung auf einen reinen und nachhaltigen Ökostromanbieter ist nicht nur eine einfache und effektive Maßnahme, sondern unter Umständen sogar auch etwas günstiger", so Balzer. Auch eine Überprüfung der bestehenden Geräte und Energieausstattung kann ein wichtiger Faktor sein: Wie viel Energie fressen die vorhandenen Geräte, kann ich etwas ersetzen? Können wir Stand-by-Geräte und Lüftungsanlagen abends ausschalten? Haben wir überall energiesparsamere LED-Lampen?

Praxistipp 2: Verbrauchsmaterialien

Erstaunt ist Balzer darüber, dass die wirtschaftliche Umstellung auf ökologische Alternativen im Bereich Büromaterialien, wie z. B. Recyclingpapier, selbst in einer Stadt wie Köln kein Selbstläufer ist. "Wir sind schließlich auf einen nachhaltigen Versandanbieter umgestiegen, der klimaneutral arbeitet, und bestellen hierüber unsere Verbrauchsmaterialien." Um Papier einzusparen ,ist die Praxis von Frau Dr. Balzer z. B. dazu übergegangen, gängige Formulare wie Datenschutzvereinbarungen, die von jeder Patient:in unterzeichnet werden müssen, als laminierte und damit wiederverwendbare Vorlage mit einem wasserlöslichen Stift unterzeichnen zu lassen. Das Dokument wird eingescannt, um es dann ausschließlich digital zu archivieren. Auch Faxe kommen nur noch auf elektronischem Wege an. Insbesondere bei med. Verbrauchsmaterialien klafft aus Balzers Sicht noch eine große Lücke: "Diese sind häufig einfach nicht ökologisch zu gestalten, so dass man hier zumindest versuchen sollte, ressourcenschonend zu arbeiten und Verpackungsmüll sorgfältig zu trennen." Ein wesentlicher Grund dafür, dass es in diesem Bereich immer noch wenig ökologische Alternativen gibt, sind die hygienischen Anforderungen an die Medizinprodukte, die oftmals eine Einzelverpackung aus Plastik erforderlich machen. Großpraxen und Praxiszusammenschlüsse können zumindest die Möglichkeit nutzen, über Großbestellungen den Verpackungsmüll etwas zu reduzieren, was sich darüber hinaus auch preislich bemerkbar machen kann.

Praxistipp 3: Verordnungsverhalten

Balzer weist außerdem darauf hin, dass sich auch der Blick auf das Verschreibungsverhalten lohnen kann, vorausgesetzt, die Indikation lässt den nötigen Spielraum zu. Dies kann z. B. bei der Wahl des Inhalators bei Asthma- und COPD-Patient:innen zutreffen. So zeigt eine Studie, dass relevant CO2-Emission eingespart werden kann, wenn landesweit mehr Pulveraerosole anstelle von Dosieraerosolen verordnet werden [5].

Praxistipp 4: Mobilität

Da Balzers Praxis zentral gelegen ist und der Großteil der Patient:innen aus dem nahen Umkreis der Praxis kommt, können sie und ihre Kollegin fast alle Hausbesuche zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad erledigen. Im ländlichen Bereich ist das schwieriger umsetzbar, hier wäre aber zu überdenken, ob bei der Anschaffung eines Dienstfahrzeugs für Hausbesuche die Wahl auf ein Elektrofahrrad oder Elektroauto fällt. "Unsere Mitarbeiter:innen versuchen wir durch einen Fahrkostenzuschuss bzw. demnächst auch mit einem Jobticket zu motivieren, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen", so Balzer.

Praxistipp 5: Aktivierung der Patient:innen

Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Gesundheitsfürsorge können Hand in Hand gehen – ein Blickwinkel, über den sich gerade die Patient:innen bewusst sein sollten und den die Hausärzt:innen nutzen können, um zu einem bewussteren Lebensstil zu motivieren. "Die Studienlage zeigt mittlerweile sehr gut, dass sich gesundheitsschützendes Verhalten auch klimaschützend auswirken kann", erläutert Balzer und führt Beispiele an: 1. Mehr gesundheitsfördernde Bewegung = weniger CO2-Ausstoß und weniger orthopädische Beschwerden. 2. Reduktion des Fleischkonsums und damit Reduktion klimaschädlicher Emissionen in der Landwirtschaft = Verringerung des Herz-Kreislauf-Risikos. "Wenn man solche Empfehlungen beratend als Denkanstoß und nicht appellierend ausspricht und darauf hinweist, dass man hiermit nicht nur etwas Gutes für die eigene Gesundheit, sondern auch für das Klima tut, lässt sich das den Patient:innen aus meiner Erfahrung sehr gut vermitteln."

Anregungen und Praxistipps

Um ihre Patient:innen auf das Thema aufmerksam zu machen und konkrete Tipps an die Hand zu geben, hat Balzer auf ihrer Praxis-Website Informationen hinterlegt, die vielleicht auch Kolleg:innen als Anregung dienen können: http://www.allgemeinmedizin-lindenthal.de/gesundheitsvorsorge.html .

Ein Appell an die hausärztlichen Kolleg:innen: Trauen Sie sich!
„Oft ist es uns nicht bewusst: Viele Krankheiten werden als Folge des Klimawandels ausgelöst oder verstärkt. Hitzebedingte Verschlechterungen bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankungen und mehr hitzebedingte Todesfälle, mehr Lungenerkrankungen und Allergien durch verlängerte Allergen-Perioden sowie mehr und neue, durch Insekten übertragene Erkrankungen aufgrund der Klimaerwärmung sind nur einige der gesundheitsschädlichen Auswirkungen der Klimaveränderungen. Klimawandel ist keine Erfindung, sondern längst real und in unserer alltäglichen Praxisarbeit angekommen. Nicht nur im Privathaushalt, auch in der Praxis oder in der Klinik sollte daher nachhaltiges und damit gesundheitsförderndes Verhalten umgesetzt werden. Der Anfang erscheint einem wie so oft schwer. Das muss er aber nicht sein. Mit ersten kleinen Schritten kann man beginnen.

Was konnten wir in unserer Praxis bisher schon umsetzen? Der Wechsel zu einem verlässlichen Ökostromanbieter ist recht schnell erfolgt. Pfandflaschen aus Glas sind nachhaltiger als aus Plastik. Thermostate an der Heizung regeln die Temperatur. Hier sollte man auf Qualität achten und ggf. den Fachmann beauftragen. Wegen unserer zentralen Lage mit guter ÖPNV-Anbindung und in der Nähe wohnender Mitarbeiter:innen können die meisten auf das Auto verzichten.

Was könnte noch besser sein? Mit dem Einsatz von LED-Leuchten hinken wir deutlich hinterher. Unseren Büroeinkauf haben wir noch nicht gut hinsichtlich nachhaltiger Produkte überprüft. Bei den Dingen des täglichen Bedarfs (Kaffee!) können wir auch noch stärker auf biozertifizierte Ware achten. Gute Tipps für eine nachhaltige Arztpraxis finden Sie z. B. hier.

Starten Sie! Machen Sie Klimawandel und Nachhaltigkeit zu einem regelmäßigen Thema Ihrer Teamsitzungen und beziehen Sie Ihre Mitarbeiter:innen und deren Ideen mit ein. Trauen Sie sich!

Dr. med. Marcel Schorrlepp, Mainz, Sprecher der AG „Hausärztliche Internisten“ der DGIM


Literatur:
1. Watts N et al., Lancet 2020,397 (10269):129-170
2. AG Hausärztlichen Internisten der DGIM: Klimaschutz und Gesundheit. Tipps für eine nachhaltige Arztpraxis; https://www.dgim.de/fileadmin/user_upload/PDF/UEber_uns/Gremien/Tipps_fuer_eine_nachhaltige_Arztpraxis.pdf
3. Initiative "Nachhaltige Praxis", Health For Future Dresden; https://initiative-nachhaltige-praxis.de/index.php
4. Positionspapier zu Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen und globalem Gesundheitsschutz; https://www.buendnisjungeaerzte.org/fileadmin/user_upload/PDF/2021_01_Positionspapier_Klima_Gesundheit.pdf
5. Janson et al., Thorax 2020, 75 (1): 82-84


Yvonne Emard |


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (9) Seite 64-66