Fest verwurzelt ist in vielen Familien der Glaube, dass Fieber immer so rasch wie möglich gesenkt werden müsse. Fieber ist aber per se keine Krankheit. Es ist zum einen Anzeichen einer Erkrankung, ohne zunächst etwas über deren Schweregrad auszusagen, und es ist zum anderen ein physiologischer Mechanismus bei der Abwehr von Infektionen. Antipyretika können das Befinden der Kinder verbessern, sie ändern aber kaum etwas am Verlauf einer Infektion.

Bei Kindern, die älter als 12 Monate sind, also ab dem 1. Geburtstag, spricht man von Fieber, wenn die im Ohr gemessene Temperatur > 38,5 °C beträgt. Bei Säuglingen zwischen 3 und 12 Monaten liegt die Grenze bei > 38,5 °C rektal und bei Säuglingen unter 3 Monaten bei > 38 °C rektal [1]. Fieber ist eine physiologische Reaktion des Organismus bei Infektionen und per se keine Krankheit. In Studien konnte gezeigt werden, dass die Gabe von Antipyretika weder die Dauer der zugrunde liegenden Erkrankung relevant verkürzt noch das Risiko für Fieberkrämpfe vermindert [2].

Trotzdem besteht in großen Teilen der Bevölkerung eine regelrechte "Fieberphobie" beziehungsweise die Überzeugung, dass jegliches Fieber immer gesenkt werden müsse. Auch unter Kinderärzt:innen scheint die Schwelle für behandlungsbedürftiges Fieber nicht allzu hoch zu sein. So ergab eine Umfrage unter Schweizer Kinderärzt:innen, dass so gut wie alle der Teilnehmer:innen Antipyretika geben, wenn ein Kind ≥ 38,5 °C Fieber hat (rektal gemessen) [3].

In einem Vergleich internationaler Guidelines zeigte sich, welche Punkte beim Fiebermanagement bei Kindern aus Expertensicht offenbar unstrittig sind [4]:

  • Antipyretika verhindern weder Fieberkrämpfe noch Nebenwirkungen von Impfungen.
  • Antipyretika sind, falls nötig, zur Linderung der mit dem Fieber verbundenen Beschwerden indiziert, aber nicht mit dem einzigen Ziel, die Körpertemperatur zu senken.
  • Empfohlen werden Paracetamol oder Ibuprofen. Die Wahl zwischen den beiden Substanzen hängt von Alter, Gewicht und weiteren individuellen Gegebenheiten des Kindes ab.
  • Bei Kindern mit Asthma und Fieber scheint Paracetamol die Asthmasymptome nicht zu verschlechtern.
  • Nur unter Vorbehalt und mit Vorsicht kommen Antipyretika bei Kindern mit anderen chronischen Erkrankungen wie Störungen der Leber- oder Nierenfunktion, Diabetes, Herzkrankheiten und schwerer Mangelernährung infrage.
  • Husten- und Erkältungsmedikamente sollten bei Fieber wegen des Risikos für Überdosierungen und Interaktionen nicht gegeben werden.
  • Lauwarme Umschläge und alkoholhaltige Bäder werden für Kinder mit Fieber nicht empfohlen.

Falls Antipyretika, welche Dosis?

Die Angaben zur altersgemäßen Dosierung von Paracetamol und Ibuprofen sind in den miteinander verglichenen Guidelines uneinheitlich [4]. Strittig ist auch, ob man zum jeweils anderen Antipyretikum wechseln sollte, wenn Paracetamol beziehungsweise Ibuprofen die Beschwerden nicht ausreichend zu lindern vermag [4]. Empfohlen wird das in den Guidelines des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) und des südaustralischen Gesundheitsministeriums [4].

Gemäß SwissPedDose [5] gelten für Paracetamol und Ibuprofen in der Indikation "Schmerzen, Fieber" für Kinder und Jugendliche die in der Tabelle genannten Dosisempfehlungen. Die Eltern sollten darauf hingewiesen werden, dass die Fiebersenkung nur zur Linderung der Beschwerden, nicht aber zur Heilung der zugrunde liegenden Erkrankung beiträgt [1].

Schwerwiegende Ursachen des Fiebers nicht verpassen

Das eigentliche Problem bei einem Kind mit Fieber ist nicht die erhöhte Körpertemperatur, sondern die Herausforderung, unter den vielen Patient:innen mit vergleichsweise harmlosen Infekten diejenigen mit schwerwiegenden und potenziell tödlichen Erkrankungen nicht zu verpassen. Die 2019 publizierte und zuletzt im November 2021 aktualisierte NICE-Guideline zu Fieber bei Kleinkindern [6] enthält ein Ampelsystem, in welchem die Symptome und ihre Kombinationen im Hinblick auf das Risiko für eine dem Fieber zugrunde liegende schwere Erkrankung übersichtlich dargestellt werden [7].

Wichtig für die Sprechstunde
  • Antipyretika können die mit dem Fieber verbundenen Beschwerden lindern.
  • Empfohlen werden bei Kindern Paracetamol und Ibuprofen.
  • Antipyretika verkürzen nicht den Krankheitsverlauf.

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici 22/2022


Literatur:
1. Seiler M et al.: Das Kind mit Fieber: Wie messen? Wie handeln? Wie beraten? Paediatrica. 2019;(30)2:5-8.
2. Duffner K: Dem Fieber eine Chance geben: Bei 39 bis 41 °C arbeitet das Immunsystem am effektivsten. Pädiatrie. 2021;26(4):9-10.
3. Lava SA et al.: Symptomatic management of fever by Swiss board-certified pediatricians: results from a cross-sectional, web-based survey. Clin Ther. 2012;34(1):250-256.
4. Chiappini E et al.: Guidelines for the symptomatic management of fever in children: systematic review of the literature and quality appraisal with AGREE II. BMJ Open. 2017;7(7):e015404.
5. https://db.swisspeddose.ch/de/, abgerufen am 26. August 2022.
6. National Institute for Health and Care Excellence (NICE): Fever in under 5s: assessment and initial management. NICE Guideline, published 7 November 2019: www.nice.org.uk/guidance/ng143
7. NICE: Traffic light system for identifying risk of serious illness in under 5s. https://www.nice.org.uk/guidance/ng143/resources/support-for-educationand-learning-educational-resource-traffic-light-table-pdf-6960664333


Autorin
Renate Bonifer



Interview

Generell brauchen wir eine Erklärung für das Fieber

Frage: Herr Dr. Kahlert, sollte man Eltern dazu ermuntern, bei ihrem Kind mit Fieber möglichst auf Antipyretika zu verzichten?

Dr. med. Christian Kahlert: Nein, einen generellen Verzicht soll man nicht aktiv empfehlen, aber man muss die Eltern darüber aufklären, in welcher Situation Antipyretika sinnvoll sind und in welcher nicht. Es gibt ja Situationen, in denen sie gegeben werden sollen. Die Eltern müssen lernen, die Situation richtig einzuschätzen. Wenn die Eltern das Gefühl haben, dass es dem Kind mit dem Fieber nicht gut geht, ist eine Fiebersenkung empfohlen. Aber wenn es sich so verhält, dass sie dem Kind beim Fiebermessen sozusagen hinterherspringen müssen, würde ich empfehlen, trotz erhöhter Körpertemperatur auf Antipyretika zu verzichten oder, noch besser, gar kein Fieber zu messen.

Frage: Dann gibt es aus Ihrer Sicht vermutlich auch keine Temperaturgrenze, ab der ein Kind mit Fieber auf jeden Fall Antipyretika bekommen sollte?

Kahlert: Genau, wichtig ist der Allgemeinzustand des Kindes. Wir wissen, dass Fieber per se nicht zu einer Gewebeschädigung führt. Es ist zwar tendenziell so, dass besonders bei kleinen Kindern mit 39 oder 40 Grad Fieber die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Infekt ansteigt, aber wir können den Infektverlauf mit einer Fiebersenkung nicht wirklich beeinflussen – wir können damit nur das Wohlbefinden des Kindes beeinflussen. Auch Fieberkrämpfe verhindern wir nicht mit Antipyretika.

Frage: Im Alltag werden viele Eltern in dieser Situation zunächst in der Praxis anrufen. Was muss die MFA die Eltern unbedingt fragen?

Kahlert: Zentral ist, dass wir mit den Eltern diskutieren, wie es dem Kind genau geht, und zentrale Punkte aktiv abfragen. Wie ist die Atmung? Ist etwas auffällig? Falls Auffälligkeiten bei der Atmung bestehen, braucht es eine ärztliche Beurteilung. Wie steht es um die Vigilanz? Wenn die Eltern das Gefühl haben, sie kämen nicht mehr richtig an das Kind heran, ist das ebenfalls eine Situation, in der eine Untersuchung notwendig ist. Das Trinkverhalten ist wichtig, denn wir müssen sicherstellen, dass das Kind genug Flüssigkeit bekommt. Je kleiner das Kind ist, vor allem wenn noch Erbrechen und Durchfall hinzukommen, kann es rasch zur Dehydratation kommen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Aktivität. Ein kleines Kind legt sich ja nicht einfach ins Bett. Es ist immer aktiv, wenn es wach ist. Man kann in dieser Situation auch fragen, wie das Kind reagiert, wenn die Eltern das Fieber senken. Wird es dann wieder aktiver? Wenn nicht, dann liegt möglicherweise auch Schonungsverhalten aufgrund von Schmerzen bei Bewegung einer Extremität vor.

Kurz gesagt: Was darf man bei Fieber nicht übersehen?

Kahlert: Atemnotzeichen, Vigilanzminderung und Dehydratationszeichen. Das heißt, die Eltern nach der trockenen Windel zu fragen, nach trockenen Schleimhäuten im Mund, aber auch nach Schonungsverhalten von Extremitäten. All das sind bei einem Kind mit Fieber Alarmzeichen. Außerdem sollte länger dauerndes Fieber über einige Tage ohne Erklärung zu einer ärztlichen Beurteilung führen.

Frage: Nach welcher Ursache sollte man bei einem Kind mit Fieber zuerst suchen?

Kahlert: Generell brauchen wir eine Erklärung für das Fieber. Je länger das Fieber bereits andauert, desto wichtiger ist eine Suche nach Erklärungen. Das heißt, man sollte bei Anamnese und Status alle möglichen Ursachen in Betracht ziehen. In den meisten Fällen sind die Atemwege beteiligt, also braucht es eine klinische Untersuchung der Atemwege inklusive Ohren mit Trommelfell. Zentral bei Kindern ist es immer, Harnwegsinfektionen auszuschließen und den Urin zu untersuchen, vor allem wenn kein anderer Infektfokus offensichtlich ist. Und selbstverständlich sind bei der Abklärung ebenfalls alle Punkte wichtig, welche die MFA bereits am Telefon abfragen soll, wie Atemnotzeichen, Vigilanzminderung, Dehydratation und Schonungsverhalten. Auch die Anamnese ist hilfreich. Wenn zum Beispiel die Geschwister eine Atemwegsinfektion haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass das Kind sich angesteckt hat und das Fieber damit in Zusammenhang steht. Es gibt in der Anamnese noch weitere Punkte, die wichtig sein können, wie zum Beispiel eine Auslandsreise, Ernährung oder Tierkontakte, das hängt vom jeweiligen Setting ab.

Frage: Gibt es Laborwerte, die helfen können, die Ursache des Fiebers bei Kindern zu finden?

Kahlert: Klassische Infektparameter im Labor sind das CRP und Veränderungen im Blutbild. Im Hinblick auf gefährliches Fieber achten wir vor allem auf tiefe Zahlen von Neutrophilen und Lymphozyten. Neutropenie und Fieber sind ein Alarmzeichen in Abhängigkeit vom Alter des Kindes und von der Dauer des Fiebers. Tiefe Lymphozytenwerte können einen Verbrauch bedeuten, aber auch Hinweis auf einen Immundefekt sein. Leider gibt es keinen Laborwert, der sauber zwischen einer bakteriellen und einer viralen Infektion unterscheiden kann – das ist ja die Hauptfragestellung. Braucht es lediglich eine symptomatische Therapie mit Fiebersenkung, wenn notwendig, oder eine Analgesie, zum Beispiel bei Otitis media, und vor allem ausreichend Flüssigkeit? Oder braucht es je nachdem auch eine Antibiotikatherapie? Eine spezielle Situation besteht bei Säuglingen in den ersten zwei Lebensmonaten. Bei ihnen wird generell meist eine komplette Sepsisabklärung durchgeführt, inklusive Blutkulturen und Lumbalpunktion. Bei ihnen kann man klinisch noch schwerer zwischen einem bakteriellen und einem viralen Infekt unterscheiden. Überdies ist die Wahrscheinlichkeit für eine bakterielle Ursache des Fiebers bei Säuglingen in den ersten zwei Lebensmonaten höher, weil sie gegen die häufigeren viralen Infektionen eigentlich noch einen gewissen Nestschutz durch mütterliche Antikörper haben. Für die Praxis heißt das, dass bei sehr jungen Kindern mit Fieber, also in den ersten zwei Lebensmonaten, eine Zuweisung ins Krankenhaus indiziert ist.

Frage: Wie nützlich sind aus Ihrer Sicht Algorithmen wie das NICE-Ampelsystemfür die Praxis?

Kahlert: Solche Algorithmen helfen, eine gewisse Systematik anzuwenden. Diese Listen abzuhaken und über die einzelnen Punkte kurz nachzudenken unterstützt, dass keine wesentlichen Aspekte vergessen gehen, wenn man ein fieberndes Kind untersucht. In diesem Algorithmus wird entsprechend auf die spezielle Situation bei Säuglingen in den ersten zwei, drei Lebensmonaten hingewiesen.

Frage: Woran muss man bei Fieber noch denken?

Kahlert: Es gibt noch einen Punkt, nämlich Fieber ohne infektiöse Ursache. Das ist eine wichtige Differenzialdiagnose. Es gibt zum Beispiel das im Kindesalter relevante Kawasaki-Syndrom. Wenn Kinder über fünf Tage lang Fieber haben und man zusätzlich Hautphänomene und Lymphknotenschwellungen findet, muss man an diese Erkrankung denken. Daneben gibt es die periodischen Fieber, wenn Kinder regelmäßig im Abstand von vier bis sechs Wochen immer wieder Fieber haben. Dann sollte man weiter abklären, ob es eventuell ein PFAPA-Syndrom* sein könnte. Unklares Fieber, das heißt Fieber, ohne dass wir eine infektiöse Erklärung finden, kann aber auch auf einen Immundefekt hinweisen. Insgesamt wird die Differenzialdiagnose dann sehr breit, die entsprechenden Erkrankungen sind aber auch sehr viel seltener.

* PFAPA-Syndrom: periodisches Fieber mit Stomatitis aphthosa, Pharyngitis und Adenitis



Experte

© privat
Dr. med. Christian Kahlert

Leitender Arzt Infektiologie & Spitalhygiene
Ostschweizer Kinderspital St. Gallen



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (6) Seite 14-17