Phytotherapeutika haben in der Regel ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil, und ihr Gebrauch ist bei Atemwegsinfekten weitverbreitet. Welche Optionen die älteste Medizin der Menschheit für die Prävention und Behandlung bei Atemwegsinfekten im Kindesalter bietet, erläuterten Dr. sc. nat. Beatrix Falch und Dr. med. Lucien Simmen an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP).

Idealerweise werden Phytotherapeutika bei den ersten Symptomen einer Erkältung eingesetzt. Sie haben pharmakologisch nachweisbare antientzündliche, antivirale und/oder antibakterielle Wirkungen. Dr. sc. nat. Beatrix Falch, Vizepräsidentin der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP), erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass es sich hier immer um qualitative Aussagen handle: "Wenn man liest, diese oder jene Pflanze wirke antibakteriell, dann ist das eine qualitative Aussage, die nichts darüber aussagt, wie stark diese Wirkung ist." Ein großer Vorteil der Phytotherapie sei aber, dass es sich bei den Präparaten und Magistralrezepturen immer um Vielstoffgemische handle. Die verschiedenen Inhaltsstoffe könnten sich in ihrer Wirkung ergänzen (Tabelle1). Konzeptionell sind Phytotherapeutika in drei Bereichen besonders relevant:

  • symptomatisch als alleinige Therapie in akuten Situationen bei eher milden Erkrankungen,
  • präventiv bei rezidivierenden Erkrankungen,
  • supportiv bei chronischen Erkrankungen (in Kombination mit Allopathie) und bei chronisch rezidivierenden Erkrankungen (als Basistherapie).

Phytotherapie ist keine Homöopathie

"Phytotherapie ist die Mutter der Schulmedizin. Sie ist integrativer Bestandteil der modernen Medizin und eine anerkannte Therapiemethode mit viel Potenzial", betonte die Referentin. Phytotherapie werde allerdings häufig mit Homöopathie verwechselt, weil beide auf der Basis von Pflanzen beruhen. Verwirrung mag auch die Tatsache stiften, dass viele Tinkturen auf der Verpackung als "homöopathische Arzneimittel" oder "Urtinkturen" bezeichnet werden. Grund für die Bezeichnung "homöopathisch" ist in diesem Fall das Herstellungsverfahren, bei dem Vorschriften des homöopathischen Arzneibuchs befolgt werden. Es handelt sich dabei aber um unverdünnte Pflanzenextrakte, wie sie auch in der Phytotherapie eingesetzt werden.

Dosierung bei Kindern

Auch in der Phytotherapie werden Arzneimittel bei Kindern häufig "off label" eingesetzt, denn nur für einen Teil der zugelassenen Phytopharmaka sind Kinderdosierungen angegeben. Faustregeln für die Dosierung von Phytotherapeutika für Kinder sind in Tabelle 2 zusammengestellt.

Phytotherapeutika werden meist aus alkoholischen pflanzlichen Extrakten hergestellt, weil Alkohol ein gutes Lösungsspektrum aufweist und dadurch ein Großteil der Inhaltsstoffe aus Pflanzen extrahierbar ist. Gemäß den Vorgaben der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA für die Verwendung von alkoholhaltigen Arzneimitteln sind für Kinder ab 6 Jahren maximal 1,5 g Ethanol pro Dosis erlaubt, ab 12Jahren 2,8 g Ethanol.

In der Praxis sei das kein Problem, sagte Dr. med. Lucien Simmen, Brugg. Er verwende meist Tees (als Magistralrezepturen) und ansonsten vor allem Fertigpräparate, die aus Trockenextrakten bestehen und somit keinen Alkohol mehr enthalten. Falls doch einmal alkoholhaltige Phytopharmaka notwendig seien, sei die Alkoholdosis in der Regel so gering, dass er für die Anwendung bei größeren Kindern keine Bedenken habe. Eine Alternative sind Urtinkturen des Herstellers Ceres (nur wenige Tropfen nötig) oder, als alkoholfreie Alternative, die sogenannten EPS-Mazerate (extrait de plante standardisé) von Phytolis, die nur Glycerin und Wasser enthalten.

Einen Tipp, wie man den in Tinkturen enthaltenen Alkohol deutlich reduzieren kann, ergänzte Falch: Man gibt die Tropfen in eine große Tasse, wartet 15 Minuten, damit der Alkohol verdampfen kann (Tropfen aber nicht eintrocknen lassen!), und fügt erst dann Tee oder Wasser hinzu. Man soll die Tropfen zur Alkoholentfernung nicht erhitzen, weil einige der pflanzlichen Inhaltsstoffe hitzeempfindlich sind.

Mund und Rachen schützen

Zum Schutz der Eintrittspforte vor den Erregern von Atemwegsinfekten empfahl Falch, den Mund- und Rachenraum zu pflegen und Halsschmerzen sofort zu behandeln. Halssprays enthalten verschiedene Pflanzenextrakte, wie Schwarze Johannisbeere oder Heckenrose (Gemmo® Ribes nigrum bzw. Rosa canina), Kamille (Kamillosan® Mund- und Rachenspray) oder Sonnenhut/Salbei (EchinaMed® Halsschmerzspray). Zum Gurgeln beziehungsweise Einnehmen sind Präparate mit Sonnenhut und ätherischen Ölen (Echina rom®/Spagyrom®), Malvenblütenextrakt (Malveol®) sowie diverse Halspastillen verfügbar (z.B. Ricola® Kräuterbonbons oder IslaMoos®). Auch die Inhalation von ätherischen Ölen oder die Raumvernebelung mit ätherischen Ölen ist nützlich. Ätherische Öle für Kinder müssen keton- und phenolarm sein. Menthol, Campher und Cineol sind für Kinder nicht geeignet.

Neben den Fertigpräparaten kann man auch Magistralrezepturen verordnen:
  • Pelargonium sidoides als Halsspray (ab 1 Jahr),
  • Malven-, Linden-, Kamillenblüten oder Salbeiblätter als Tee (löffelweise alle 2 bis 3Stunden geben),
  • Ingwertee mit Zitrone und Honig (schmeckt scharf, ab ca. 6 Jahren möglich),
  • Myrrhentinktur bei Aphthen (die einzelnen Aphthen beträufeln, brennt leicht, darum frühestens ab 6Jahren).

Immunstimulation

Zur Prävention von Atemwegsinfektionen geeignet seien Sonnenhutpräparate (Echinacea purpurea), sagte die Referentin. Echinacea-Präparate sollten höchstens zwei Monate lang eingenommen werden, und die Steigerung der immunologischen Abwehr stößt an natürliche Grenzen: "Eine voll immunkompetente Person wird nicht noch immunkompetenter, wenn sie Echinacea einnimmt", so Falch. Es sei aber nachgewiesen, dass der Pflanzenextrakt vor Komplikationen von Atemwegsinfektionen schützen könne.

Ebenfalls zur Prävention geeignet seien Cystus 052 (Zistrose: Cystus incanus) sowie – zum Schutz nicht erkrankter Familienmitglieder – ätherische Öle als Raumvernebelung (Eucalyptus radiatia oder Ravintsara).

Zur Prävention und zur Behandlung bei Infekten der oberen Atemwege zugelassen sind Präparate mit Extrakten aus den Wurzeln von Pelargonium sidoides (z. B. Umckaloabo®). Auf Nachfrage erläuterte Falch, dass es bei Echinacea-Präparaten eher um eine längerfristige, generelle Schutzfunktion mittels Immunstimulation und Entzündungshemmung gehe, während Pelargonium-
sidoides-Präparate eher konkret zur Behandlung bei Erkrankungen der unteren Atemwege sowie zur Prävention bei nicht erkrankten Familienmitgliedern gegeben würden.

Tonsillitis und Pharyngitis

Die meisten Atemwegsinfekte sind zwar viraler Natur, aber bakterielle Superinfektionen sind nicht selten, wobei es sich meist um StreptokokkenA handelt. Hier empfahl die Referentin ein Fertigpräparat aus Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel (Angocin®). Das Medikament sollte unbedingt nach den Mahlzeiten eingenommen werden, um Übelkeit und Erbrechen zu vermeiden: "Nach dem Essen ist es kein Problem." Auch hier gelte es, das Präparat möglichst früh zu geben, insbesondere wenn ein Kind schon einmal eine Streptokokkenangina hatte. Stellt sich dann heraus, dass es doch "normale" Halsschmerzen waren, sei das Präparat zwar nicht unbedingt nötig gewesen, aber da es auch entzündungshemmend und antiviral wirke, habe man damit nichts falsch gemacht und eine mögliche Streptokokkenangina unterdrückt, so Falch. Als Alternative könne bei Kindern mit Tonsillitiden und Pharyngitiden auch Pelargonium sidoides eingesetzt werden.

Schnupfen und Ohrenschmerzen

Bei Schnupfen und Verschleimung von Nase und Rachen habe sich Sinupret® bewährt, sagte die Referentin. Es enthält Eisenkraut, Enzianwurzel, Gartensauerampferkraut, Holunder- und Schlüsselblumenblüten. Ebenfalls hilfreich sind ätherische Öle zum Inhalieren oder Salben mit ätherischen Ölen zum Einreiben. Auch hier gilt: kein Campher, kein Menthol und kein Cineol für Säuglinge und Kleinkinder! Empfehlenswert sei zum Beispiel Liberol® Baby (Eukalyptus, Latschenkiefer, Sternanis, Wacholder). Wenn ein Kind mit einem Ausschlag auf das Einreiben reagiert, soll man diese Behandlung abbrechen oder etwas Salbe auf die Kleidung des Kindes auftragen, um den direkten Hautkontakt zu vermeiden.

Eher etwas für größere Kinder sind Kapseln mit Eukalyptusöl (z. B. Gelomyrtol®), während Thymian und/oder Kamille zum Baden und/oder zur Inhalation für alle Altersstufen geeignet sind.

Das bereits genannte Sinupret® sei auch als adjuvante Therapie bei Otitis media geeignet, sagte Falch. Weitere Optionen sind Zwiebeln (aufgeschnitten im Zimmer oder als Zwiebelwickel) sowie Wala Levisticum e radice W 5 % Ohrentropfen (Liebstöckelwurzel).

Husten

Ob akut oder chronisch rezidivierend – Phytotherapie sei die erste Wahl bei Husten, entweder als alleinige Therapie oder als Adjuvans, sagte Falch: "Wir können den Reizhusten und die Verschleimung gleichzeitig behandeln." Mit den synthetischen Produkten sei das nicht möglich, weil synthetische Hustenblocker im Atemzentrum angreifen und der Schleim in der Konsequenz nicht mehr abgehustet werden kann. Bei Husten ergänzen sich die verschiedenen Inhaltsstoffe wie folgt:

  • ätherische Öle (Anis, Fenchel, Thymian): bronchospasmolytisch, expektorierend und antibakteriell;
  • Saponine (Efeublätter, Primelwurzel/-blüten): antiphlogistisch, sekretomotorisch und bakteriostatisch;
  • Schleimstoffe (Eibisch, Malve, Spitzwegerich): reizlindernd und antiphlogistisch.

Es gibt eine ganze Reihe von phytotherapeutischen Fertigpräparaten, die für Husten im Kindesalter zugelassen sind (Tabelle 3). Welches davon eingesetzt wird, entscheidet Simmen gemeinsam mit den Eltern, und er bespricht im ersten Schritt, welche Phytotherapeutika sie bereits kennen oder bereits versucht haben.

Und der Hustensirup?

In den am SGP-Jahreskongress parallel vorgestellten Choosing-wisely-Leitlinien für die Pädiatrie wird Hustensirup ausdrücklich nicht empfohlen. Auf Nachfrage sagte Falch, dass ihr der genaue Hintergrund dieser Empfehlung noch nicht bekannt sei. Allerdings sei bekannt, dass die schleimlösenden Präparate der Schulmedizin nicht sehr wirksam seien. Pflanzenpräparate hätten hingegen, wie bereits gesagt, mehrere Wirkmechanismen gleichzeitig. So seien Efeu und Thymian gleichzeitig sekretolytisch und bronchospasmolytisch, was das Abhusten von zähem Schleim sicher unterstütze. Pragmatisch sieht Simmen die Diskussion um den Hustensirup: "Choosing wisely" sei eine gute Sache und werde von ihm voll unterstützt. In der Praxis müsse man aber mit den Eltern gemeinsam die beste Lösung finden: "Ich muss eine Mutter nicht überzeugen, dass es keinen Sirup braucht, wenn sie glaubt, dass es einen braucht."

ESSENTIALS - Wichtig für die Sprechstunde
  • Nur für einen Teil der zugelassenen Phytotherapeutika sind Kinderdosierungen angegeben.
  • Neben den Fertigarzneimitteln kann man auch Magistralrezepturen verordnen.
  • Reizhusten und Verschleimung kann man mit Phytopharmaka gleichzeitig behandeln.

Bearbeiteter und genehmigter Nachdruck aus Ars medici 18, 2021; die Nennungen von Präparaten wurden z. T. gemäß der Verfügbarkeit in Deutschland angepasst.
Workshop von Dr. sc. nat. Beatrix Falch und Dr. med. Lucien Simmen (Phytotherapie bei fieberhaften Infektionen im Kindesalter) an der virtuellen Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie am 11. Juni 2021.



Autorin
Renate Bonifer
Die Referenten legten Wert auf die Feststellung, dass bezüglich der in dem Bericht genannten Produkte keine Interessenkonflikte bestehen und auch kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird.



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (1) Seite 34-37