Wie sagt doch Volkes Stimme so schön: "Alkohol und Nikotin rafft die halbe Menschheit hin …". Diese Wahrnehmung trügt zwar quantitativ, doch immerhin stirbt jeder fünfte Bundesbürger an den Folgen seines Nikotin- und Alkoholkonsums. Allein die Folgen der Tabaksucht radieren in Deutschland jährlich eine mittlere Großstadt wie Ulm von der Karte: schätzungsweise 110.000 bis 140.000 Menschen, darunter mehrere tausend Passivraucher. Das sind aber nur Zahlen, die auf Einzelschicksale keine Rücksicht nehmen. Die kennt dafür der Hausarzt.

So war einer meiner ältesten Kettenraucher schon 90 Jahre alt, als er einen leichten Schlaganfall erlitt. Den überstand er gut, doch wenig später erfuhr ich, der alte Herr habe das Rauchen jetzt endgültig eingestellt. Aber nicht gesundheitliche Gründe hätten ihn motiviert, wie seine Schwiegertochter berichtete, sondern die Angst vor der häuslichen Kremierung. Als er nämlich mit brennender Zigarette im Bett einschlief, sei er gerade noch rechtzeitig aus der qualmenden Bettwäsche gerettet worden.

Einer meiner jüngeren Dauerraucher war schon im frühen Erwachsenenalter kardiopulmonal so schlecht aufgestellt, dass er bis zu seinem frühen Tod in einer Pflegeeinrichtung leben musste. Arbeiten konnte er dank seiner Sucht schon lange nicht mehr. Immerhin konsumierte er, so lange ich ihn kannte, täglich 120 Zigaretten. Dazwischen war er pausenlos mit der Fabrikation seiner Sargnägel beschäftigt.

Am Anfang meiner Praxistätigkeit ging ich mit der Zigarettensucht eher nachsichtig um, ganz im Sinne eines beobachtenden Laissez-Faire-Stils. Vielleicht auch deswegen, weil nikotingeschädigte Mitmenschen mindestens zwei bis drei Jahrzehnte älter waren als ich selbst. Durch das gemeinsame Älterwerden hat sich dieser Blickwinkel aber radikal verändert, die Einschläge kommen eben näher. Mein fast gleichaltriger, kettenrauchender und augenscheinlich "pumperlgsunder" Lieblingselektriker etwa, bei dem eher zufällig neben operationspflichtigen Karotisverschlüssen ein Urothelkarzinom der Blase entdeckt wurde. Oder die sympathische, lebenslange Nichtraucherin, die fast ein halbes Jahrhundert lang der gute Geist einer Gastwirtschaft war und sich dafür im Rentenalter mit einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung herumschlagen darf. Ein spätes Geschenk ihrer qualmenden Kunden quasi.

Vor diesem Hintergrund weicht die Altersmilde der Alterswut. So war ich von den Socken, als mir im Herbsturlaub ein mit Rotlicht erwärmter und illuminierter Raucherthron im Außenbereich eines schicken Restaurants in die Augen fiel: servile Huldigung einer nikotinabhängigen Klientel. Da bleibt nur die Hoffnung, dass die Nutzer neben der Wärme auch die Erleuchtung erreichen möge, den letzten Glimmstängel baldmöglichst und endgültig in die Tonne zu treten. Vielleicht setzt der Jahresbeginn ein schönes Signal für ein solches Unterfangen.


Dies meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (1) Seite 71