Recht hat er, der Eugen Roth. Ganz spurlos geht es auch an mir als Hausarzt nicht vorbei, wenn ein langjähriger Patient in biblischem Alter das Diesseits mit dem Jenseits verwechselt. Gleichwohl finde ich es immer interessant, wie Angehörige dieses Ereignis in der Todesanzeige bewerten. Häufig wird dann von dem Ende eines mühsam gewordenen Weges oder dem friedlichen Ausklang eines erfüllten Daseins geschrieben. Das ist tröstlich und oft gut nachvollziehbar, weil ich die Lebens- und Familienumstände der Verewigten meist bestens kenne.

Spannend wird es aber, wenn der Name einer hochbetagten Verstorbenen mit den Adjektiven "unerwartet, unfassbar und viel zu früh" übertitelt wird. Gut, unvermutet ist es tatsächlich, wenn eine 96-jährige Patientin am Montagmorgen vor dem Fernsehgerät tot aufgefunden wird, aber ist es in diesem Alter so gänzlich unerwartet? Natürlich war ich in diesem Fall als Hausarzt überrascht, weil die Verstorbene so gut wie nie in der Sprechstunde war, lediglich ein Diuretikum nahm und an ihrem Todestag noch wohlgelaunt ein Kaffeekränzchen besucht hatte, wie mir die Angehörigen erzählten. In der Folge stattete wohl Schnitter Hein seinen Besuch ab, das Herz ging verdientermaßen in Rente und mit dem sonst regelmäßig eingeschalteten Sonntagabendkrimi war dann Sense. Das Fernsehgerät blieb aus und die Fensterjalousien oben, so dass der Todeszeitpunkt bei der Leichenschau gut einzugrenzen war – fast wie beim Tatort.

Trotzdem kann der Tod betagter Senior:innen vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Biographie manchmal unfassbar sein. So ging es mir bei einem siebzigjährigen Landwirt, der ein Jahrzehnt zuvor wegen eines Magenkarzinoms gastrektomiert worden war. Bei allen Nachuntersuchungen blieb er rezidivfrei und so fit, dass er seine Landwirtschaft ohne Einschränkung weiter betreiben konnte. Als er dann bei Holzfällarbeiten unter unglücklichen Umständen von einem Baum erschlagen wurde, war das nicht nur für seine Familie, sondern auch für mich angesichts seiner glänzend überstandenen Schwersterkrankung tatsächlich unfassbar.

"Viel zu früh" musste ich kürzlich in der Todesanzeige einer 98-jährigen, multimorbiden Patientin lesen, die für sich den Tod schon lange herbeigesehnt hatte. Das sahen die engsten Angehörigen aber ganz anders, vielleicht auch deswegen, weil mit dem urgroßmütterlichen Rentensponsoring wohl auch eine regelmäßig sprudelnde Geldquelle versiegte. So hat eben jedes Ding drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische (Karl Valentin). Das gilt wohl für das ganze Leben und manchmal darüber hinaus. |

Das meint Ihr


Dies meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (10) Seite 73