Eine nicht funktionierende Schmerzbehandlung kann etliche Gründe haben, wie beispielsweise ein unpassendes Schmerzmittel. Entscheidend für die richtige Wahl und für eine gute Analgesie ist unter anderem die Ermittlung des Schmerzcharakters. Welche Hilfsmittel es dafür gibt und welche Wirkstoffe bei welchen Schmerzen helfen, erläuterte die Schmerzexpertin Dr. med. Petra Hoederath, Klinik Stephanshorn, St. Gallen, beim FOMF Hausarztmedizin.

Chronische, nicht tumorbedingte Schmerzen sind häufig. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, an chronischen Schmerzen zu leiden, mit zunehmendem Alter an. Viele Pflegeheimbewohnerleiden an mittelstarken bis starken Schmerzen, nur wenige von ihnen (25 – 30 %) erhalten eine adäquate Therapie [1].

Zur Erfassung der Schmerzstärke dient eine visuelle numerische Schmerzskala (visuelle Analogskala, VAS). Die meisten Patient:innen könnten ihre Schmerzen damit gut einschätzen, so die Expertin. Wichtig sei es zudem, den Ort des Schmerzes auf einer abgebildeten Körperskizze einzeichnen zu lassen. Die Schmerzlokalisierung kann damit als Ausgangspunkt für das Assessment dienen. Bei Patienten, die sich nicht äußern können, müssen Körpersprache, Gesichtsausdruck, Lautäußerungen und physiologische Indikatoren wie zum Beispiel Atmung, Puls, Schwitzen oder Gesichtsfarbe zur Schmerzerfassung herangezogen werden.

Diagnose gibt Hinweis auf Schmerzcharakter (Beispiele)
  • Arthrose in den Gelenken: nozizeptiv
  • Wirbelsäulenleiden: nozizeptiv-neuropathisch
  • bekannte Osteoporose: nozizeptiv-neuropathisch
  • bekanntes Tumorleiden: nozizeptiv-neuropathisch
  • bekannte gastrointestinale Erkrankungen: viszeraler Schmerz
  • bekannte Trigeminusneuralgie: neuropathisch
  • bekannter Herpes zoster: neuropathisch

Für eine spätere Behandlung ist die Bestimmung der Schmerzart – nozizeptiv oder neuropathisch – essenziell. Das kann beispielsweise mit dem painDETECT®-Fragebogen (vgl. Infokasten) anhand von wenigen Fragen relativ zuverlässig ermittelt werden [2]. Häufig nozizeptiv sind Schmerzen des Bewegungsapparats (Arthritis, Arthrose), Schmerzen bei chronischen Entzündungen sowie viszerale Schmerzen. Neuropathische Schmerzen werden dagegen durch Nervenschädigungen verursacht, periphere Nervenschädigungen beispielsweise bei einer Post-Zoster- oder einer Trigeminusneuralgie, eine zentrale Schädigung häufig durch Entzündungen des Zentralnervensystems oder durch Rückenmarkschädigungen. Doch gibt es auch den gemischten Schmerz, der beide Komponenten enthält. Das ist sehr häufig bei Rückenschmerz oder auch bei Tumorschmerz der Fall. Von der Diagnose kann oft auf den Schmerzcharakter geschlossen werden (Kasten).

Schmerztherapie multimodal zusammenstellen

Die Schmerztherapie besteht aus den multimodalen Bausteinen Physiotherapie, psychologische Unterstützung, soziale Maßnahmen, Medikation, Infiltrationen und Operation. Die Bausteine sollten je nach Problemstellung individuell kombiniert werden. Patient:innenmit Gelenkschmerzen profitieren beispielsweise häufig schon von einer Infiltration, und bei älteren Patienten sollte eine Operationsindikation nicht per se ausgeschlossen werden, empfahl die Expertin. Wenn der Allgemeinzustand gut ist und dieser eine chirurgische Intervention zulasse, könne eine Operation wie beispielsweise ein Kniegelenkersatz die Lebensqualität erheblich verbessern. Der wichtigste Baustein der multimodalen Therapie ist jedoch die medikamentöse Behandlung.

Schmerzmedikamente je nach Schmerzcharakter

Zur Schmerzmedikation stehen verschiedene Substanzklassen zur Verfügung:

  • nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) und COX-2-Hemmer (Celecoxib, Etoricoxib)
  • trizyklische Antidepressiva (TZA): Amitriptylin, Doxepin, Desipramin
  • Antikonvulsiva beziehungsweise Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI): Venlafaxin, Duloxetin
  • Opioide: Morphin, Buprenorphin, Oxycodon, Hydromorphon, Fentanyl, Tapentadol.

Die Wahl der Medikation erfolgt anhand des Schmerzcharakters und des Wirkmechanismus (Tabelle). Zur Basisanalgesie eignet sich Paracetamol (2.000–4.000 mg). NSAR und COX-2-Hemmer inhibieren die Prostaglandinsynthese beziehungsweise die Cyclooxygenase und sind deshalb bei nozizeptiv-inflammatorischen Schmerzen indiziert. Sind die Schmerzen zudem krampfartig, ist Metamizol hilfreich.

Bei älteren Menschen seien NSAR wegen der Nebenwirkungen keine optimale Wahl mehr, als Alternative seien laut Hoederath Zubereitungen aus der Wurzel der Teufelskralle eine mögliche Option.

Bei nozizeptiv-neuropathischen Schmerzen empfehlen sich Antikonvulsiva und TZA. Die Anfangsdosierungen können nach Erfahrung der Referentin jeweils sehr tief angesetzt und bei Verträglichkeit auftitriert werden: Pregabalin 25 bis 300mg/Tag(bis max. 600mg bei jungen Patienten), Gabapentin 100 bis 1.800mg/Tag (bis max. 3.600mg bei jungen Patient:innen), Duloxetin 30 bis 60 mg/Tag (bis max. 120 mg bei jungen Patient:innen).

Bei starken Schmerzen: Opioide

Bei stärkeren Schmerzen ist die Gabe von Opioiden zu erwägen. Zu den schwachen Opioiden gehören Tramadol 100 bis 200 mg (alle 8 bis 12 h), Codein 60 bis 120 mg (alle 8 bis 12 h) oder Tilidin 100 bis 200 mg (alle 8 bis 12 h), zu den starken Opioiden zählen Morphin, Oxycodon, Hydromorphon, Buprenorphin, Fentanyl und Tapentadol.

Die verschiedenen Opioide haben unterschiedliche Wirkmechanismen: Die klassischen Opioide wie Morphin, Fentanyl, Oxycodon, Codein, Pethidin und Hydromorphon sind Agonisten am μ-Opioid-Rezeptor. Buprenorphin dagegen ist ein partieller Agonist am μ-Opioid-Rezeptor und ein Antagonist am k-Rezeptor sowie ein Natriumkanalblocker. Methadon ist ebenfalls ein partieller Agonist am μ-Opioid-Rezeptor und antagonisiert zusätzlich den NMDA-Rezeptor. Tapentadol hat in der Kombination als μ-Opioid-Rezeptor-Agonist und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer ebenfalls einen multiplen Wirkmechanismus, Tramadol bindet an den μ-Opioid-Rezeptor und hemmt zusätzlich die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme.

Mechanismusorientierte Schmerztherapie

Wird eine Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen notwendig, sollten gemäß S3-Empfehlungen zur Praxis der Opioidtherapie von 2020 [3] gemeinsam mit dem Patient:innen realistische Ziele gesetzt und die Indikation regelmäßig überprüft werden. Ein multimodaler Ansatz ist wichtig. Die Höchstdosis von 120 mg/Tag Morphinäquivalent soll nicht überschritten und ein Absetzmodus der Opioidmedikation besprochen werden. Analgetika mit verzögerter Freisetzung sind zu bevorzugen, und in der Langzeittherapie sollte keine Bedarfsmedikation mit nicht retardierten Analgetika (im Gegensatz zur Palliativmedizin) durchgeführt werden.

Außerdem muss die Fahrsicherheit diskutiert werden. Bei regelmäßiger Einnahme von retardierten Opioiden gemäß ärztlicher Verordnung und wenn sich die Patient:innen fahrsicher fühlen, dürfen sie fahren, so die Expertin.

Eine Langzeittherapie mit Opioiden kann jenen Patient:innen angeboten werden, die mit chronischen Rücken- oder Arthroseschmerzen, Post-Zoster- oder Polyneuropathie nach vier bis zwölf Therapiewochen von Opioiden profitiert haben.

Welche Schmerzmittel bei Älteren?

Gewisse Arzneimittel sollten bei älteren Personen eher zurückhaltend verordnet werden. Welche das sind, kann beispielsweise über die FORTA-Liste (FORTA: Fit for the Aged) ermittelt werden (vgl. Info-Kasten). Diese teilt Arzneimittel für bestimmte Indikationsgruppen anhand der vorhandenen Evidenz und der Erfahrungen im Delphi-Verfahren in vier Kategorien ein (Kategorie A: positiver Nutzen; Kategorie B: wirksam mit Einschränkung bei der Sicherheit; Kategorie C: ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis; Kategorie D: zu vermeiden).

In der Indikation chronische Schmerzen figuriert Paracetamol in Kategorie A. NSAR sind wegen ihrer gastrointestinalen, kardialen, zerebrovaskulären und renalen Nebenwirkungen beziehungsweise Toxizitäten in Kategorie D (außer Naproxen). Dennoch erhielten viele ältere Patient:innen eine Dauertherapie mit dieser Substanzklasse, bedauerte Hoederath.

Metamizol (FORTA-Kategorie B) wirkt analgetisch mit vergleichbarer Wirkstärke wie NSAR, hat aber noch eine zusätzliche spasmolytische Komponente. Die gastrointestinalen, renalen und kardialen Nebenwirkungen fehlen, dafür ist es potenziell hämatotoxisch. In seltenen Fällen kann sich eine Agranulozytose entwickeln, vor allem zu Beginn und in Kombination mit anderen Risikomedikamenten. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit muss Metamizol zur Schmerzkontrolle mehrmals täglich verabreicht werden. Bei intravenöser Gabe sei auf einen möglichen Blutdruckabfall zu achten, so Hoederath.

Linktipps

Opioide sind in Kategorie B bis C, unter anderem deshalb, weil für Patienten > 70 Jahre nur wenige Studiendaten existieren. Gegenüber NSAR haben Opioide aber einen entscheidenden Vorteil: Sie sind aus internistischer Sicht nicht organtoxisch. Tapentadol (Kategorie C) beispielsweise hat ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil für das Alter, jedoch fehlen noch Studiendaten für diese Altersklasse. Bei der Verabreichung von Opioiden muss zudem beachtet werden, dass sich Häufigkeit und Ausprägung der Nebenwirkungen mit zunehmendem Alter und Multimorbidität verändern können. Bei einer Niereninsuffizienz sollten Opioide vorsichtig dosiert werden, mit Ausnahme von Tapentadol, bei dem es bei leichter bis mittlerer Niereninsuffizienz keine Dosisanpassung brauche, so die Schmerzexpertin. Bei Patientenmit Leberinsuffizienz können Buprenorphin, Fentanyl, Tapentadol und Tramadol eingesetzt werden. Allerdings sind je nach Präparat etwaige Einschränkungen zu beachten.

Auch Medizinalcannabis ist in der Schmerztherapie einen Versuch wert. Das THC-haltige Cannabisöl kann beispielsweise mit 10 IE abends (entspricht 1 mg THC/Tag) eindosiert und bei guter Verträglichkeit schrittweise auftitriert werden. Diese Praxis habe sich zum Beispiel bei einer Patientin mit starken vertebralen Schmerzen (VAS 9–10) nach mehrfachen Rückenoperationen trotz Tapentadol in retardierter Form bewährt, die Schmerzstärke halbierte sich auf VAS 4–5, sodass die Opioiddosis schrittweise reduziert werden konnte. Die Patientin berichtete außerdem von einer erheblichen Verbesserung des Schlafs, und sie hatte keine Nebenwirkungen.

Essentials - Wichtig für die Sprechstunde
  • Situationsangepasstes Assessment durchführen.
  • Schmerztherapie multimodal zusammensetzen.
  • Schmerzmedikation je nach Schmerzcharakter und Komorbiditäten auswählen.
  • Vorsicht bei NSAR und COX-2-Hemmern bei Patient:innen >65 Jahre.
  • Für eine Opioidtherapie gilt: "Start low, go slow and don’t stop."

Quelle: "Schmerztherapie im Alltag", FOMF Hausarztmedizin, 4. März 2022, virtuell
Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici 12/2022


Literatur:
1. Lukas A et al.: Schmerztherapie in deutschen Pflegeeinrichtungen im
europäischen Vergleich. Ergebnisse der SHELTER-Studie. Schmerz.
2015;29(4):411-421.
2. Freynhagen R et al.: painDETECT: a new screening questionnaire to identify
neuropathic components in patients with back pain. Curr Med Res
Opin. 2006;22(10):1911-1920.
3. Langzeitanwendung von Opioiden bei chronischen nicht-tumorbedingten
Schmerzen (LONTS). https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/
145-003l_S3_LONTS_2020-10.pdf


Autorin
Valérie Herzog



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (3) Seite 42-45