Kürzlich wollte ich wieder einmal beim Bäcker meines Vertrauens einen Laib des von mir geschätzten Nussbrots erwerben. Eilfertig bot mir die Verkäuferin an, diesen sogleich maschinell und automatisiert zu schneiden. Bislang habe ich diese Dienstleistung immer mit einer gewissen archaischen Verachtung abgelehnt. Das saubere und gleiche Abtrennen einer Brotscheibe galt nämlich schon in meiner Jugendzeit als Indiz für Heiratsfähigkeit und in Schlesien sogar als Eintrittskarte für ein vermögendes Leben: "Schneide gleich, so wirst du reich!" Nachdem ich jetzt vier Jahrzehnte verheiratet bin, beherrsche ich diese einfache handwerkliche Tätigkeit bei jeder Brotsorte mit chirurgischer Präzision, nur der Reichtum lässt noch auf sich warten.

Aus einer rührseligen, alterssenilen Stimmung heraus war ich diesmal jedoch geneigt, den offerierten Service in Anspruch zu nehmen. "In welcher Stärke darf ich Ihnen denn die Scheiben machen?", flötete die servile Backwarenfachverkäuferin und schon hatte ich das Schlamassel. Als bodenständiger Hausarzt schlug ich ein vertrautes Maß meines Arbeitsalltages vor: eine Fingerbreite. Schließlich sind die Fingermaße bis heute noch im medizinischen Alltagsgeschäft traditionell vertreten, breit wie lang. Man denke nur an die Leber. Lässt sie sich zwei Querfinger unterhalb des Rippenbogens konsistenzvermehrt tasten, bekommt die Stirn gewissenhafter Hausärzt:innen bedenkliche Sorgenfalten. Schon in der Antike war die Fingerbreite als Haupteinheit von etwa 1,85 cm bekannt.

In diesen historischen Rahmen passt auch der Zwölffingerdarm – zwölf Querfingerbreiten sollen in etwa seiner anatomischen Länge entsprechen.

Mein Zwillingsbruder und langjähriger Praxispartner arbeitete in seiner Weiterbildungszeit in einer urologischen Universitätsklinik. Schon gleich bei der Einstellung wurde ihm von dem dortigen Chefarzt aufgetragen, eine Längenvermessung des eigenen Zeigefingers vorzunehmen. Schließlich müsse er ja zentimetergenau den Ort eines pathologischen Befundes bei der digitalen Rektumuntersuchung angeben können. Das allein reicht aber nicht. Zahllose Publikationen finden sich in Europe PMC zum Längenverhältnis von Zeige- zu Ringfinger (2D/4D-Ratio), weil unterschiedlichste menschliche Eigenschaften wie sportliche Fitness, Fertilität, Autismus oder Rechtschreibschwäche mit entsprechenden Maßzahlen assoziiert werden. Grund genug also, auffälligen Zeitgenoss:innen öfter mal auf die Finger zu schauen.

Für die Breite meiner Brotschnitten hat das keine Folgen. Ich habe mich der pragmatischen Empfehlung der Fachfrau angeschlossen und für eine halbe Fingerbreite (9 mm) entschieden. Erfahrung trifft Wissenschaft!


Das meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (7) Seite 65