Es ist schon Jahre her, aber das Bild habe ich unverändert vor Augen: Mein damals schwergewichtigster, gerade mal 55-jähriger Patient ließ mich wegen diverser Gebrechen zur Visite kommen, weil er an sein Haus gefesselt war. Treppensteigen war ihm unmöglich geworden und bei einem Kampfgewicht von mehr als 4 Zentnern verständlich. Dafür thronte er jetzt wie ein Buddha auf seiner Schlafcouch im ebenerdig gelegenen Wohn-Schlafzimmer, eingefriedet von seinen Lieblingsnahrungsmitteln. Der Favorit des insulinpflichtigen Diabetikers war ein weltweit bekannter, schokoladig-nussiger Brotaufstrich im 5-kg-Gebinde. Diese Kaloriengranate ließ er sich regelmäßig über das Internet liefern, wobei er wohl in guter Gesellschaft war und ist.

Im europäischen Schoko-Konsumvergleich sind die Bundesdeutschen nämlich Spitze. 2019 wurden sie mit rund 9,2 Kilogramm Schokolade pro Jahr und Kopf nur knapp von den Nachfahren Wilhelm Tells im Schoggi-Mutterland geschlagen. In der Schweiz war es 1819 nämlich erstmalig gelungen, das bittere, aztekische Kakaogetränk Xocolatl (von "xoco" bitter und "atl" Wasser) als Tafelschokolade zu verfestigen. Und schon ging der Stern eines gesellschaftlich hoch akzeptierten und jederzeit verfügbaren Suchtmittels auf. Warum das so ist, konnten US-Wissenschaftler 2012 an Ratten herausfinden:

Unser Gehirn macht Schokolade in dem Areal unwiderstehlich, das auch bei Süchtigen aktiviert wird, dem dorsalen Neostriatum. Schon beim Anblick von Rauschmitteln werden Enkephaline, Familie Opioidpeptide, freigesetzt. Sie befehlen dann unserem Gehirn: "Iss mehr davon und alles wird gut." Beste Voraussetzungen für eine potenzielle Abhängigkeit. Doch damit soll jetzt Schluss sein.

Die schokoladige und stimmungserhellende Auswirkung vor Augen haben zwei Aachener Brüder genutzt, um einen Schokoladebalsam zu entwickeln, der die Seele streichelt, ohne das Hüftgold zu fördern. Schokolade genießen ohne Schokolade zu essen ist faktisch wie Schwimmen ohne Wasser. "Yabbaduu Bio Happy Skin Balm" heißt die Wunderwaffe, die seit 2021 auf dem Markt ist. "Yabbaduu"-Salbe wird am Naseneingang aufgetragen. Nach fünfmaligem, tiefem Einatmen des freiwerdenden Odeurs soll sich dann der positive Effekt von Schokolade einstellen und das sogar mit wissenschaftlicher Begründung. Weil der Balsam zusätzlich das koffeinähnliche Theobromin enthält, addiert sich eine stimulierende Wirkung. Umgekehrt soll sich das Verlangen nach Schokolade mindern. Ich finde das schade. Ist es nicht gerade die Gesamtkomposition der im Mund zerfließenden Schokoladeköstlichkeiten, die Seelenschmerzen lind(t)ert und der Laune auf die Sprüngli hilft? Die Dosis macht bekanntlich das Gift.


Das meint Ihr Fritz Meyer, Allgemeinarzt


Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (11) Seite 64