Alter und Infekte begünstigen das Auftreten einer Dranginkontinenz bei der Frau. Deshalb empfiehlt es sich, diese beiden sehr häufigen Ursachen als Erstes abzuklären. Worauf es dabei ankommt und welche therapeutischen Optionen bestehen, erklärte Dr. Gloria Ryu, Klinik für Gynäkologie, Universitätsspital Zürich, am Ärztekongress Davos.

Eine Dranginkontinenz aufgrund einer Reizblase beziehungsweise einer "overactive bladder" (OAB) ist ein häufiges Problem. Je nach Studie liegt die Prävalenz in verschiedenen europäischen Ländern und in Kanada zwischen 11,8 und 16,6 %. Dabei handelt es sich um eine Speicherstörung, deren Ursachen einerseits blasenbedingt sein können, wie zum Beispiel Infektionen, Tumoren, Strahlenblase, Blasensteine oder Senkungen der Blase oder der Gebärmutter. Andererseits können auch nicht blasenbedingte Ursachen zu einer OAB führen, wie zum Beispiel Demenzerkrankungen, Medikamente, Diabetes, Reizdarm, gynäkologische Erkrankungen, Stress oder falsches Trink- und Miktionsverhalten. Die Folgen sind für die Lebensqualität einschneidend: Schlafstörungen, Einschränkung der sozialen Aktivität, verringerte Arbeitsleistung, Beeinträchtigung des Sexuallebens und vermindertes Selbstwertgefühl [1].

Infekt ausschließen und Restharn bestimmen

Zur hausärztlichen Basisabklärung gehören die Urindiagnostik mit Urinstreifen zum Ausschluss von Infekten, die Ultraschalluntersuchung und das Miktionstagebuch. In diesem sollen von drei verschiedenen Tagen Harnentleerungs- und Trinkmengen zu verschiedenen Uhrzeiten neben anderen Angaben wie Harndrangstärke, Urinverlust und Einlagenverbrauch festgehalten werden.

Harnwegsinfekte gehören zu den häufigsten Auslösern von Drangbeschwerden und sollten ausgeschlossen oder behandelt werden. Außerdem sollte mit Ultraschall eine Restharnbestimmung durchgeführt und eventuell mit Einmalkatheterismus die Restharnmenge bestimmt werden. Denn Restharn kann laut Ryu erneute Entzündungen begünstigen. Mit steigendem Alter sinken außerdem die Miktionsvolumina. Bei 75-jährigen Frauen betrage die durchschnittliche Restharnmenge etwa 45 ml [2], was auf eine Schwäche des Detrusormuskels zurückgehe, so die Urogynäkologin. In Zusammenhang mit einem im Alter zögerlichen und schwachen Harnstrahl kann das zu Drangbeschwerden, Pollakisurie und Nykturie [3] – den klassischen OAB-Beschwerden – führen.

Zur Therapie einer symptomatischen Blasenentzündung sind während der ersten 48 Stunden Phytotherapeutika oder Analgetika empfohlen, um Antibiotika zu sparen. Bei einer asymptomatischen Bakteriurie solle dagegen ganz auf eine Therapie verzichtet werden, so Ryu.

Wenn die Abklärung hinsichtlich Harnwegsinfekt und Restharn unauffällig bleibt, kann die Diagnose OAB gestellt werden. Die Patientin soll über die Langwierigkeit beziehungsweise die Chronizität der Erkrankung aufgeklärt werden, um falschen Erwartungen an die Therapie entgegenzuwirken.

Therapieoptionen nach Stufen

Zur Verfügung stehen:

  • Stufe 1: Blasentraining und Trinkverhalten
  • Stufe 2: physiotherapeutisch angeleitetes Beckenbodentraining und
  • Stufe 3: Medikamente wie Beta-3-Adrenorezeptor-Agonisten (Mirabegron 1-mal 25 oder 1-mal 50 mg/Tag), Anticholinergika und eventuell lokale Östrogenisierung.

Zu bedenken ist, dass bei älteren Patientinnen kognitive Störungen durch Anticholinergika verstärkt werden. Für diese Patientinnen eignet sich Trospiumchlorid (1- bis 2-mal 20 mg/Tag) besser, da es die Blut-Hirn-Schranke nicht passiert.

Falls mit der 3. Stufe nach drei bis sechs Monaten keine Besserung eintritt, sollte die Patientin an eine Gynäkolog:in oder Urogynäkolog:in überwiesen werden. Dies ebenso, wenn nach einer anfänglichen Infekttherapie die Beschwerden persistieren oder die Diagnose unklar ist. Möglicherweise kann eine Flow-Zytometrie weiteren Aufschluss über die Ursache geben; eine Fistel beispielsweise sollte mittels Vaginaltampon mit Farbindikator ebenfalls ausgeschlossen werden. Außerdem könnten auch bestimmte Medikamente als Nebenwirkung zu vermehrten Miktionen führen, wie beispielsweise Antidepressiva, Antipsychotika, Schlafmittel und Antihypertensiva, so Ryu. Eine Medikamentenanamnese sei daher bei Drangbeschwerden sehr wichtig.

Weitere Therapiemöglichkeiten

Bei postmenopausalen Patientinnen kann die lokale Östrogenisierung bei urogenitalen Symptomen wie auch bei rezidivierenden Harnwegsinfekten einen guten Nutzen bringen [4]. Die lokale Östrogenisierung mit Cremes, Gelen, Vaginalovula oder Vaginaltabletten soll laut Ryu während der ersten zwei Wochen täglich und danach zweimal pro Woche erfolgen, bei Verwendung eines Vaginalrings ist dieser alle drei Monate auszuwechseln. Die verschiedenen Darreichungsformen sind in der Wirksamkeit vergleichbar [5], allerdings sei auf mögliche lokale allergische Reaktionen, zum Beispiel bei Salben mit Propylenglykol, zu achten, so Ryu.

Eine weitere Option ist die Anwendung des Phytotherapeutikums Bryophyllum pinnatum. Die darin enthaltenen Flavonoide wirken muskelrelaxierend. In einer kleinen placebokontrollierten, klinischen Studie führte Bryophyllum zu einer signifikanten Miktionsverbesserung bei mit Placebo vergleichbaren Nebenwirkungen [6].

Hautschädigung als Folge der Inkontinenz

Neben- und Folgeerscheinung der Harninkontinenz ist häufig eine irritierte Haut. Feuchte Einlagen oder Windelhöschen können zu Hautreizungen und -rötungen im Intimbereich führen. Zur Verbesserung oder zur Vorbeugung von derartigen Hautirritationen empfiehlt die Urogynäkologin eine Hautpflege mit Cremes und Salben (z.B. Excipial® Protect, Deumavan®, Cavilon®) oder Waschlotionen (z.B. Lubex®).

Belastungsinkontinenz zuerst konservativ behandeln

Wenn die Patientin bei bestimmten Bewegungen unwillkürlich Urin verliert, handelt es sich um eine Belastungsinkontinenz. Der Schweregrad bezeichnet die für den Urinabgang notwendige Stärke:

  • Grad 1: Husten, Lachen, Niesen
  • Grad 2: Treppen hinunterspringen, Heben schwerer Lasten
  • Grad 3: beim Stehen.

Ursachen für eine Belastungsinkontinenz können eine altersbedingte genitale Atrophie und Östrogenmangel am Beckenboden sein, aber auch körperliche Inaktivität, Übergewicht, vaginale Geburten von Kindern mit > 4.000 g Gewicht oder chronische Drucksteigerungen auf den Beckenboden, beispielsweise infolge chronisch obstruktiver Lungenerkrankung oder Obstipation.

Die Behandlung der Belastungsinkontinenz besteht im ersten Schritt aus konservativen Maßnahmen wie Physiotherapie (Beckenbodentraining mit Biofeedback, Blasentraining) und Hilfsmitteln wie Pessaren. Eine weitere Option ist die medikamentöse Behandlung mit Duloxetin. Als Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer verbessert Duloxetin den Sphinktertonus während der Speicherphase und damit die Inkontinenz [7]. In einer Studie erreichte die Gruppe unter Duloxetin nach sechs Wochen eine Reduktion der Inkontinenzepisoden um bis zu 5 %, unter Placebo sank die Frequenz um 3 %. Allerdings brach jede fünfte Frau die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen ab [8]. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Mundtrockenheit und Schläfrigkeit [9]. Sind diese Maßnahmen nicht erfolgreich, gibt es die Möglichkeit von invasiven Eingriffen mit retropubischen und transobturatorischen Schlingen, Blaseninjektionen oder Kolposuspensionen.

Wichtig für die Sprechstunde
  • In der Basisabklärung sind Anamnese, Urindiagnostik und Restharnmessung wichtig.
  • Mit steigendem Alter nehmen Drangbeschwerden und Entleerungsstörungen zu.
  • Eine asymptomatische Harnwegsinfektion bedarf keiner Therapie.

Quelle: "Harninkontinenz bei Frauen", Ärztekongress Davos, 11. Februar 2022.

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars medici Dossier V/2022


Literatur:
1. Irwin DE et al.: Worldwide prevalence estimates of lower urinary tract
symptoms, overactive bladder, urinary incontinence and bladder outlet
obstruction. BJU Int. 2011;108(7):1132-1138.
2. Homma Y et al.: Urinary symptoms and urodynamics in a normal elderly
population. Scand J Urol Nephrol Suppl. 1994;157:27-30.
3. Madersbacher H et al.: Urge incontinence in the elderly – supraspinal
reflex incontinence. World J Urol. 1998;16 Suppl 1:S35-S43.
4. Rahn DD et al.: Vaginal estrogen for genitourinary syndrome of menopause:
a systematic review. Obstet Gynecol. 2014;124(6):1147-1156.
5. Suckling J et al.: Local oestrogen for vaginal atrophy in postmenopausal
women. Cochrane Database Syst Rev. 2006;(4):CD001500.
6. Betschart C et al.: Randomized, double-blind placebo-controlled trial
with Bryophyllum pinnatum versus placebo for the treatment of overactive
bladder in postmenopausal women. Phytomedicine. 2013;20
(3-4):351-358.
7. Thor KB et al.: Selective inhibitory effects of ethylketocyclazocine on reflex
pathways to the external urethral sphincter of the cat. J Pharmacol
Exp Ther. 1989;248(3):1018-1025.
8. Cardozo L et al.: Short- and long-term efficacy and safety of duloxetine
in women with predominant stress urinary incontinence. Curr Med Res
Opin. 2010;26(2):253-261.
9. Fachinformation Cymbalta®. www.swissmedicinfo.ch. Letzter Abruf:
28.2.22.


Autorin
Valérie Herzog



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (1) Seite 18-20