Kaum ein Medikament wird so ambivalent gehandhabt wie Hypnotika, einerseits seit jeher die Standardtherapie bei Schlafstörungen, andererseits mit zunehmend negativen Image: Hypnotika machen "süchtig", führen zu "erheblichen Absetzeffekten" und machen den "natürlichen Schlaf kaputt". Aber was ist die Alternative? Im Folgenden werden die typischen Problemstellungen in einer spezialisierten Schlafambulanz beschrieben und Empfehlungen für die hausärztliche Praxis gegeben.
Schlafstörungen sind nicht nur häufig, sie nehmen auch zu. Statistiken wie die der DAK [2]zeigen, dass 35% der Bevölkerung Schlafstörungen haben, in Deutschland geht man davon aus, dass 6% an einer klinisch relevanten Insomnie leiden [1]. Die Anzahl der Hypnotikakonsumentenunter den Berufstätigen hat sich von 5% bis auf 9% erheblich gesteigert. Frauen und ältere Personen scheinen generell mehr Psychopharmaka verschrieben zu bekommen, wofür unterschiedliche Gründe wie beispielsweise die Symptompräsentation diskutiert werden.
Typische Symptome einer Insomnie
Die Kasuistik beschreibt eine sehr häufige Symptomkonstellation einer Insomnie (siehe Tabelle 1). Typisch ist ein Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber dem Schlaf, dies wird vor allem durch Unfähigkeit, den verlorenen Schlaf tagsüber nachzuholen, verstärkt. Damit einhergehend findet sich häufig eine starke Fokussierung auf den gestörten Schlaf und die antizipierten Folgen verbunden mit einer Forderungshaltung ("Sie sind meine letzte Hoffnung"). Viele Patient:innen befürchten, durch die anhaltenden Schlafstörungen erheblichen Schaden, entweder körperlicher oder beruflicher Art, zu erleiden und wollen eine schnelle und umfassende Lösung des Problems. Andererseits wird häufig eine Abneigung gegenüber einer pharmakologischen Behandlung signalisiert. Ein weiteres Problem ist der häufig chronische Verlauf der Schlafstörung mit vielen frustranen Therapieversuchen.
- chronische Ein- und Durchschlafstörungen
- erhebliches Nachlassen der Leistungsfähigkeit/Zukunftsängste
- Unfähigkeit, den Schlaf am Tage nachzuholen trotz Müdigkeit
- Frustrane Therapieversuche
- Versuch, den wenigen Schlaf durch lange Bettzeiten und Schonung am Tage zu kompensieren
Schlafmittel sind besser als ihr Ruf
Die verschriebenen Substanzen haben sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt, von Benzodiazepinen über Z-Substanzen hin zu sedierenden Antidepressiva. Die Vorteile der Pharmakotherapie sind die Effizienz und die rasche Wirksamkeit, Nachteil ist die limitierte empfohlene Einnahmedauer vor allem bei den Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten. Insgesamt ist das Abhängigkeitspotenzial bei Hypnotika eher als gering einzuschätzen. Die Praxis zeigt, dass es außer einer Rebound-Insomnie (die in der Regel nur kurz anhält) meist keine schweren Absetzeffekte gibt. Das Problematische am Absetzen des Hypnotikums ist weniger der Entzug, sondern eher die Tatsache, dass die Betroffene dann OHNE Hilfe ist. Ein Hypnotikum sollte also immer dann abgesetzt werden, wenn sich die Schlafstörung entweder von alleine stabilisiert hat oder dem Betroffenen eine Alternative (z. B. eine kognitiveVerhaltenstherapie) angeboten wurde.
Weitere Nachteile (siehe Tabelle 2) sind unerwünschte Nebenwirkungen (z.B. Restless-Legs-Syndrom) und ein Wirkverlust. Letzterer ist das Hauptproblem bei der Hypnotikaeinnahme. Einer US-amerikanischen Studie zufolge leiden 53 % von Patient:innen mit Hypnotika noch an Schlafstörungen [3]. Das Hauptproblem der Schlafmittel ist also, dass sie bei einem Teil der Patient:innen nicht wirken – und dass diese Patient:innen ihre Hypnotika weiternehmen. Insgesamt gibt es auf dem Schlafmittelmarkt einen hohen Anteil an sogenannten Over-the-Counter-Produkten – überwiegend auf pflanzlicher Basis. Bedauerlicherweise ist die wissenschaftliche Datenlage hier noch zu dünn [4].
- Unerwünschte Nebenwirkungen
- Toleranzentwicklung
- Absetzeffekte
- Dysfunktionale psychologische Effekte
- Empfehlung einer zeitlich begrenzten Einnahmedauer
- Hangover-Effekte
- Rasche Wirkung
- Zuverlässige Wirkung
- Immer verfügbar
Therapeutische Empfehlungen
Das Setting einer spezialisierten Schlafambulanz birgt die Vorteile eines größeren Zeitrahmens und die Möglichkeit einer weiterführenden Diagnostik in einem Schlaflabor. Verdachtsdiagnosen, die aufgrund ambulanter Messmethoden erhoben worden sind, können im Schlaflabor überprüft werden. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen können die folgenden Empfehlungen ausgesprochen werden.
Sich Zeit nehmen
Wie bei vielen psychosomatischen Krankheitsbildern bedürfen die Insomniepatient:innen Zeit und Aufmerksamkeit. Schlafstörungen können Ausdruck einer zugrundeliegenden körperlichen Ursache sein oder auch dem typischen psychophysiologischen Teufelskreis der Insomnie entsprechen [5]. UnterLetzterem ist die Wechselwirkung zwischen dem gestörten Schlaf, erhöhter ängstlicher Beobachtung und Anspannung zu verstehen. Allein die differenzialdiagnostische Untersuchung und erste Aufklärung kann zeitintensiver sein, erspart langfristig gesehen jedoch unnütze Therapieversuche.
Aufklärung hilft
Viele Patient:innen fühlen sich bezüglich ihrer Schlafstörungen zu wenig aufgeklärt. Was ist die Ursache meiner Schlafstörung? Haben diese Folgen für die Gesundheit? Auch wenn es nicht DIE Schlafstörung gibt, kann die Patient:in über Folgendes aufgeklärt werden: 1. Schlafstörungen sind grundsätzlich behandelbar. 2. Bei der Insomnie gibt es medikamentöse und verhaltenstherapeutische Therapiemethoden. 3. Man sollte die Insomnie sehr ernst nehmen, sie ist grundsätzlich jedoch keine gefährliche Erkrankung.
Viele schlafbezogene Ängste bestehen aufgrund falscher Vorstellungen [6], z. B. auf der Annahme, dass mindestens sieben Stunden in der Nacht geschlafen werden sollteund weniger Schlaf für den Körper schädlich sei. Alleine die Revision dieser dysfunktionalen Vorstellung kann schon zu einem Abbau schlafbezogener Ängste und damit zu einer Verbesserung der Schlafqualität führen. Psychoedukative Inhalte finden sich in seriösen Ratgebern zum Thema Insomnie (z. B. auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, www.dgsm.de).
Differenzialdiagnostik ist wichtig
Wann kann ich von einer psychophysiologischen Ursache der Schlafstörung ausgehen und wann sollte ich weiter differenzialdiagnostisch untersuchen? Typische Merkmale für eine weitergehende körperliche Untersuchung sind in Tabelle 3 aufgelistet. Falls sich die Schlafstörung unter der Therapie nicht verbessert, sondern eher noch verschlechtert, sollte eine weiterführende schlafmedizinische Untersuchung initiiert werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass ca. 20% aller Insomniepatient:innen eine unerkannte organische Schlafstörung, z. B. eine Schlafapnoe, haben [7]. Bei Verdacht auf eine organische Schlafstörung sollte eine weiterführende Untersuchung stattfinden, beispielsweise mit einer Polygraphie zur Abschätzung einer schlafbezogenen Atmungsstörung.
- Morgendliche Abgeschlagenheit, Gefühl, wie gerädert zu sein
- Ungewolltes Einschlafen tagsüber
- Überwiegend Durchschlafstörungen mit raschem Wiedereinschlafen
- Verschlechterung der Schlafstörung durch Alkohol oder Benzodiazepine
- Anzeichen eines Restless-Legs-Syndroms
- Schnarchen
- Behinderte Nasenatmung
- Übergewicht
- Alter > 50 Jahre
Umsichtiges Umgehen mit Schlafmitteln
Man sollte der Patient:in grundsätzlich die Chance auf ein Schlafmittel geben, zumal die meisten Hypnotika in der Regel ohne Probleme absetzbar sind. Insbesondere bei reaktiven Schlafstörungen im Rahmen einer Stressreaktion (Trennung, Prüfung usw.) können Schlafmittel rasch Abhilfe schaffen und die Patient:in entlasten. Andererseits bergen sie auch bestimmte Gefahren, wobei die größte Gefahr die einer Chronifizierung der Schlafstörung darstellt (s. o.). Patient:innen verlassen sich unter Umständen auf die "gute Wirkung" und verhindern eine Umstellung ihrer Schlafgewohnheiten.
Richtige und falsche Schlafhygiene
Schlafhygienische Regeln finden sich in unterschiedlichen Qualitätsstandards in der Fach- als auch in der Laienliteratur. Der Name als solcher ist nicht geschützt und von daher fühlen sich viele befugt, schlafhygienische Tipps zu geben. Gute schlafhygienische Empfehlungen zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:
- Sie sollten das Entstehen von Schlafstörungen verhindern.
- Sie sollten eine bestehende Schlafstörung nicht verschlechtern.
- Sie sollten sich an wissenschaftlichen Standards der Schlafmedizin orientieren.
Leider erfüllen viele Maßnahmen diese Standards nicht und können im schlimmsten Fall nicht nur den Schlaf, sondern auch die Lebensqualität des Betroffenen erheblich einschränken. Auch an dieser Stelle kann auf die Ratgeber der Fachgesellschaft Schlafmedizin (DGSM) verwiesen werden.
Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie (KVT-I)
Die KVT-I wird mittlerweile laut Leitlinien als Therapie der ersten Wahl empfohlen [4]. Sie hat das Ziel, das Wechselspiel zwischen gestörtem Schlaf, ängstlicher Sorge und dysfunktionalem Verhalten wirksam zu unterbrechen. In der Therapie wird die Patient:in auf der Basis einer Aufklärung über Mechanismen der Schlafregulation und des Krankheitsbildes der Insomnie motiviert, schlaffördernde Verhaltensmaßnahmen auszuprobieren, und wird bei der Ausführung therapeutisch begleitet. Die KVT-I basiert auf klassischen verhaltenstherapeutischen Methoden wie der Stimuluskontrolle und chronobiologischen Methoden wie der Bettzeitenrestriktion, allesamt in ein kognitives Therapiemodell eingebettet.
Metaanalysen zeigen, dass die KVT-I nicht nur vergleichbar gute Effekte wie die Hypnotikatherapie zeigt [8], sie hat vor allem einen nachhaltigen Effekt, der über das Therapieende noch messbar ist. Der hohe edukative Anteil in der KVT-I macht es möglich, die Therapie grundsätzlich auch mit reduziertem Therapeuten-Patienten-Kontakt (z. B. digital online) zu vermitteln. Dies hat die Entwicklung von Selbsthilfeprogrammen angestoßen und natürlich einem großen Markt von Ratgebern Platz geschaffen. Im ambulanten Bereich haben sich gruppentherapeutische Programme etabliert. Die Dauer der Sitzungen variiert zwischen einer und acht Sitzungen, kann aber auch länger andauern.
Die KVT-I sollte unbedingt bei chronischen Insomnien empfohlen werden. Die Einnahme eines Hypnotikums ist keine Kontraindikation.
- Vorteil einer Pharmakotherapie bei Schlafstörungen ist die rasche und zuverlässige Wirksamkeit.
- Nachteile sind u.a. unerwünschte Nebenwirkungen, Toleranzentwicklung, Absetz- und Hangover-Effekte.
- Insomniepatienten brauchen viel Zeit und Aufmerksamkeit.

PD Dr. phil. Tatjana Crönlein
Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (9) Seite 40-43