Die Transitions-Problematik gilt inzwischen auch in Deutschland als vordringlich zu lösende Aufgabe in der medizinischen Versorgung. Und das zu Recht. Denn nach den Daten aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KIGGS) haben 15,8 % der 14- bis 17-Jährigen aufgrund einer chronischen Gesundheitsstörung einen besonderen Bedarf an Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung. Diesen Bedarf schleppen sie auch mit ins Erwachsenenalter, fallen dort aber häufig erst einmal in ein Versorgungsloch. Was läuft schief?

Fallbeispiel: Vermeidbare Probleme
Mike ist 20 Jahre alt. Er hat seit seinem 9. Lebensjahr einen Typ-1-Diabetes. Bis zum Alter von 18 Jahren wurde er sehr gut in einem Diabeteszentrum für Kinder und Jugendliche betreut. Ein halbes Jahr nach Ausbildungsbeginn zum Elektriker wechselte Mike in die Betreuung zu einem Erwachsenen-Diabetologen. Der Informationstransfer und der erste Kontakt verliefen zunächst positiv und neue Termine wurden vereinbart. Doch diese nahm Mike nicht wahr. Seitdem hat Mike keine feste Hausärzt:in mehr, sondern holt sich nun das Insulin gelegentlich bei einem Arzt um die Ecke. Seine Werte sind seitdem deutlich schlechter geworden. Er raucht eine Packung Zigaretten am Tag. Seine Ausbildung hat er abgebrochen. Wäre das vermeidbar gewesen? Ja, zum Beispiel mit Hilfe eines Fallmanagements (FM), das den geregelten Übergang in die Erwachsenenmedizin begleitet hätte. Das FM hätte Mike bei der Suche nach einer neuen und für ihn geeigneten Arztpraxis unterstützen und ihm bei Problemen helfen können. So hätte der Wechsel in die Erwachsenenmedizin nachhaltig und erfolgreich verlaufen können.

Der Übergang vom kinder- und jugendmedizinischen Betreuungsteam in die Versorgung der Erwachsenenmedizin (Transition) stellt gerade bei chronisch erkrankten jungen Menschen eine kritische Phase dar, da vielen Jugendlichen kein kontinuierlicher Übergang in die erwachsenenmedizinische Versorgung gelingt. Das "Zurechtkommen" in der Erwachsenenwelt erfordert andere Verhaltensweisen und die Bereitschaft, sich auf andere Betreuungsstrukturen und -stile einzustellen. Darauf sind viele Jugendliche nicht ausreichend vorbereitet. Sie tauchen dann häufig erst wieder bei Ärzt:innen der Erwachsenenmedizin auf, wenn Komplikationen auftreten. In Deutschland gibt es zwar bereits einige zumeist indikationsbezogene Einzelinitiativen oder regionale Transitionsmodelle. Davon sollten insbesondere die Allgemeinärzt:innen und Internist:innen als erste Anlaufstelle für junge Erwachsene Kenntnis haben und deren weitere Verbreitung auch einfordern. Was also brauchen wir?

Mehr spezialisierte Zentren

Vorbilder sind die Zentren für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EMAH). Sie sind in verschiedenen Regionen etabliert. So werden z. B. an den deutschen Herzzentren in Berlin und München Patient:innen in einer Klinik von Kinder- und Erwachsenenkardiolog:innen altersübergreifend betreut. In anderen EMAH-Zentren sind gemeinsame Sprechstunden mit Kinder- und Erwachsenenkardiolog:innen etabliert. Auch am Christiane Herzog-CF-Zentrum der Charité ist für Jugendliche mit zystischer Fibrose in enger Kooperation von Pädiatern und Internisten eine Transitionssprechstunde aufgebaut worden. Die multidisziplinäre Betreuung mit medizinischer Therapie und Diagnostik, Ernährungsberatung, psychologischer Betreuung, Physiotherapie und sozialrechtlicher Beratung findet dort unter einem Dach statt. Ein spezielles Transitionsprogramm für nierenkranke und nierentransplantierte Jugendliche wird vom Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. gefördert. Es beinhaltet medizinische Informationen, Bewegung, Sport und Ernährung, psychosoziale Begleitung, Stressbewältigung und Unterstützung in der Schule oder im Beruf.

Mehr Transitionsschulungen

ModuS ist ein krankheitsübergreifendes modulares Schulungsprogramm für chronisch kranke Kinder, Jugendliche und deren Familien. Das Transitionsmodul "Erwachsen werden mit ModuS: Fit für den Wechsel" wurde eigens zur Transition in die Erwachsenenmedizin entwickelt. Dieses umfasst die Integration in bestehende Schulungsprogramme für Jugendliche, ein separates indikationsübergreifendes Schulungsmodul, ein Schulungsmodul für Eltern "Kinder erwachsen werden lassen" sowie eine webbasierte Transitionsplattform.

Viel zu viel und doch zu wenig
Ein ungesundes Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung wird auch in einer erstmals gerade für Allgemeinärzt:innen entwickelten DEGAM-Leitlinie zum Schutz vor Über- und Unterversorgung deutlich. Diese Leitlinie war auch der Aufhänger des 2021 im Elsevier Verlag erschienenen Buches "Viel zu viel und doch zu wenig" (ISBN: 978-3-437-24061-4) unseres langjährigen Autors und Kolumnisten Raimund Schmid und auch für diese Serie in doctors today. Im Rahmen der Serie zeigt der Herausgeber des Buchs in Kooperation mit den Autor:innen der Originalbeiträge am Beispiel systembedingter Defizite und einzelner Krankheitsbilder auf, was gegen die Fehlversorgung unternommen werden kann.

Gibt es vielversprechende Modellansätze?

Das Berliner TransitionsProgramm (BTP) ist in Deutschland das erste und bislang einzige strukturierte Transitionsprogramm, das sowohl auf verschiedene Indikationen als auch auf verschiedene Regionen und Einrichtungstypen (Krankenhäuser, Ambulanzen, Sozialpädiatrische Zentren) übertragen werden kann. Es setzt indikations- und regionsübergreifend an und wird von den Krankenkassen finanziert. Dafür wurde ein integrierter Versorgungspfad als "Fahrplan" über die gesamte Dauer der Transition mit definierten ärztlichen Transitionsleistungen (Transitionsgespräche, gemeinsame Sprechstunde, Fallkonferenzen, Epikrise) entwickelt sowie mit Informations- und Erhebungsmaterialien unterlegt.

Zentrale Themen des Informationsbooklets sind unter anderem:
  • Werde dein eigener Experte: deine Krankheit, deine Behandlung, deine Gesundheit!
  • Die Zukunft beginnt heute – Wie willst du leben? Was ist für dich wichtig?
  • Der Dschungelführer – dein Weg durch das Gesundheitssystem!

Wer muss wie handeln?

… Seitens der Betroffenen/Angehörigen:
  • Grundsätzliche Abneigung gegen einen Arztwechsel überdenken. Ungewohntes Betreuungsklima in der Erwachsenenmedizin annehmen.
  • Ablösungsprozess von den Eltern forcieren hin zu mehr Autonomie und eigenen Entscheidungsspielräumen.

… seitens der (Allgemein-)Ärzt:innen/Betreuer:innen:
  • Erhöhten Zeitaufwand bei der Übernahme der jungen Patient:innen in die Hausarzt- oder Facharztpraxis von vorneherein einkalkulieren. Bereitschaft zeigen, neue Patient:innen mit oft lang andauerndem Krankheitsverlauf auch tatsächlich anzunehmen.
  • Zugänge zu weiteren, nichtärztlichen Transitionsressourcen wie z. B. Fallmanagement, Sozialberatung, psychologischer Unterstützung eröffnen, auch wenn diese Angebote rar sind.

… Seitens der (Berufs-)Politiker:innen:
  • Bereitstellung praktisch anwendbarer strukturierter Materialien (Epikrisen, Dokumentationssysteme, Assessments) und Sicherung der Nachhaltigkeit durch Steuerung des Transitionsprozesses durch ein Fallmanagement.
  • Verlässliche Finanzierung zusätzlicher Transitionsleistungen wie Transitionsgespräche, gemeinsame Sprechstunde, Fallmanagement.


Eine Literaturliste ist über die Autor:innen erhältlich.



Autor:innen

Raimund Schmid

Dipl. Volkswirt und Medizinjournalist,
Michaela Olm, Prof. Dr. Antonius Schneider
Institut für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung, Klinikum rechts der Isar/Technische Universität München
81667 München


Erschienen in: doctors|today, 2021; 1 (5) Seite 40-41