Viele junge Frauen wünschen sich heute eine natürliche, hormonfreie Verhütung. Nicht wenige würden sich auf Zyklus-Apps verlassen, deren kontrazeptionelle Sicherheit jedoch äußerst zweifelhaft sei, erläuterte Dr. med. Hanna Dietrich bei dem Symposium Kinder-/Jugendgynäkologie in Bern. Über neue orale Kontrazeptiva, eine Kombinationspille mit dem Östrogen Estetrol und eine Gestagen-Monopille, berichtete Prof. Patricia G. Oppelt.

Das Verhütungsverhalten junger Frauen hat sich in den letzten Jahren stark verändert. So gaben in einer 2017 publizierten Studie aus Deutschland 86 % der befragten 14- bis 19-jährigen Frauen an, mit einer Kombinationspille zu verhüten [1]. Das Kondom war bei ihnen mit 4,1 % die zweithäufigste Kontrazeptionsmethode, und 2,4 % verhüteten nicht.

In einer anderen, 2019 publizierten Umfrage zur Verhütungsberatung (COCO-Studie) verhüteten nur 40 % der 16- bis 20-jährigen Frauen mit einer Kombinationspille [2]. Mit dem Kondom verhüteten 20 % der Befragten, und fast ein Drittel, nämlich 30 %, gab an, überhaupt nicht zu verhüten. Die beiden Studien seien zwar nicht direkt vergleichbar, weil unterschiedliche Kollektive befragt wurden, aber aus Erfahrung wisse man, dass heutzutage vermutlich 15 bis 20 % der Mädchen nicht mehr verhüteten, weil sie bezüglich der Pilleneinnahme verunsichert seien, sagte Prof. Patricia G. Oppelt, Universitätsklinikum Erlangen.

Warum fürchten sich Mädchen vor der Pille?

Die Sorgen der Mädchen seien ganz andere als die Sorgen der Ärztinnen und Ärzte, sagte Oppelt. In der COCO-Studie waren den Mädchen medizinische Bedenken wie das Thromboserisiko (35 %) und die Angst vor Krebs (20 %) weniger wichtig als die Angst vor Stimmungsschwankungen (58 %), der Wunsch, den eigenen Körper zu spüren (49 %), die Sorge, sich fremdgesteuert zu fühlen (46 %) oder die Sorge um die Libido (45 %) (Mehrfachnennungen möglich) [2].

Die Mythen, dass die Pille dick und unfruchtbar mache, die Libido hemme und Depressionen verursache, hielten sich hartnäckig, sagte Oppelt: "Dazu ist in den sozialen Medien viel im Gange, sodass diese Mythen aufrechterhalten werden." Angesichts dieser Entwicklung sei es heutzutage noch wichtiger als früher, die Mädchen gut und individuell zu beraten, forderte Oppelt: "Die jungen Frauen möchten, dass wir ihre Wünsche und ihre Bedürfnisse wahrnehmen und dass wir ihre Vorstellungen in den Entscheidungsprozess mit einfließen lassen, damit sie das Gefühl haben, die Verhütungsmethode zusammen mit uns auszusuchen." Das Angebot an Verhütungsmitteln sei heutzutage größer als je zuvor, was eine individuelle Auswahl für die jeweilige Lebensphase gut ermögliche, so Oppelt: "Wir wollen Jugendliche und junge Frauen bestärken, wieder sicher zu verhüten." Sie stellte auf der Tagung in Bern zwei neue orale Kontrazeptiva vor, eine kombinierte Pille mit Estetrol/Drospirenon und eine Gestagenpille mit Drospirenon (Kästen 1 und 2).

Kasten 1: Kombinationspille mit Estetrol
In Deutschland wurde im Mai 2021 ein neues Kombinationspräparat zur oralen Verhütung zugelassen (Drovelis®) [3]. Es enthält das Gestagen Drospirenon und das Östrogen Estetrol (E4). Der Pearl-Index beträgt 0,44. Estetrol wird in der fetalen Leber gebildet, und es ist während der Schwangerschaft im mütterlichen Blut nachweisbar. Die Kombinationspille enthält bioidentisches Estetrol. Wie bei anderen Kombinationspillen gelten auch bei der Verordnung von Drovelis® die üblichen Vorsichtsmaßnahmen bezüglich des Thromboserisikos. Insbesondere im Vergleich zu Pillen mit Ethinylestradiol/Drospirenon sprächen Untersuchungen der Hämostaseparameter für einen geringeren Einfluss von Estetrol/Drospirenon auf die Gerinnung, so Oppelt. Exakte Daten zum Thromboserisiko mit der neuen Kombinationspille liegen noch nicht vor. Estetrol ist ein Endprodukt im Steroidmetabolismus, sodass es nicht in andere Östrogenarten wie Estron, Estradiol oder Estriol umgewandelt wird. Weil Estetrol nicht weiter verstoffwechselt werde, beeinträchtige es die Leberfunktion kaum, und deshalb bestehe ein geringeres Risiko für Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, sagte die Referentin. Auch das Blutungsprofil sei mit Estetrol/Drospirenon günstig. Die mediane Blutungsdauer liegt bei 4 bis 5 Tagen, die Amenorrhörate bei 5,6 bis 8,1 %, und Zwischenblutungen traten im 12. Zyklus noch bei 13 % der Anwenderinnen auf [4]. "Es gibt keine Präparate, die gar keine Zyklusstörungen verursachen, aber bei einem Großteil der Patientinnen haben wir bei einer Einnahme von länger als 12 Monaten eine gute Zyklusstabilität", sagte Oppelt.

Kasten 2: Drospirenon als Monopräparat
Wenn Östrogene kontraindiziert sind (z. B. bekannte Thrombophilie, Thrombose in der Anamnese, Übergewicht, Migräne mit Aura, > 15 Zigaretten pro Tag), standen als östrogenfreie Pille bis jetzt nur desogestrelhaltige Präparate zur Verfügung. In den USA und in der EU wurde eine neue Gestagenpille mit Drospirenon (Slinda®) zugelassen.Bei Kombinationspräparaten mit Ethinylestradiol/Drospirenon besteht ein höheres Thromboserisiko als bei Ethinylestradiol/Levonorgestrel-Präparaten, was letztlich dazu führte, dass drospirenonhaltige Präparate kaum noch verordnet beziehungsweise von den Herstellern vom Markt genommen wurden. Das mit Kombinationspräparaten verbundene Thromboserisiko beruhe auf den Östrogenen, und dieses Risiko werde von der Gestagenkomponente moduliert, erläuterte Oppelt. Während Drospirenon in den Kombinationspräparaten das ethinylestradiolbedingte Thromboserisiko verstärke, sei das unter einer Drospirenonmonotherapie nicht der Fall [5 – 9].Neben der kontrazeptiven Wirkung kann eine Drospirenonmonotherapie auch bei Dysmenorrhöbeschwerden hilfreich sein [8]. Man muss die jungen Frauen darauf hinweisen, dass Blutungen und Schmierblutungen (Spotting) zu Beginn der Drospirenonmonotherapie, im 1. Zyklus, länger als 1 Woche dauern können. Nach ca. 7 bis 8 Zyklen sinkt die Anzahl der Tage mit Blutungen oder Spotting dann wieder [8].

Natürlich verhüten mit Apps?

Die natürliche, hormonfreie Kontrazeption ist eigentlich ein ganz alter Hut. Methoden zur natürlichen Familienplanung, wie die symptothermale Methode (Zervixschleim und Temperatur), wurden bereits vor mehr als 60 Jahren entwickelt. Neu ist lediglich, dass die Zyklus-Apps den Anwenderinnen die Rechenarbeit abnehmen und das Zyklustagebuch nicht mehr in einem Heft geführt, sondern ins Smartphone eingetippt und ansprechend dargestellt wird. Zyklus-Apps sind zurzeit die erfolgreichsten Gesundheits-Apps. Viele davon sind jedoch nicht zum Zweck der Verhütung geeignet, entsprechende Hinweise fehlen meist. Prinzipiell gibt es zwei Arten von Zyklus-Apps:

  • Prognose-Apps zur Voraussage der fruchtbaren Tage anhand der Daten vergangener Zyklen
  • NFP-Apps zur Bestimmung der Fruchtbarkeit im aktuellen Zyklus (natürliche Familienplanung, NFP)

Prognose-Apps zur Kontrazeption ungeeignet

Es gibt zahllose Prognose-Apps. Sie versprechen, die fruchtbaren Tage zuverlässig voraussagen zu können, aber das entspricht nicht den Tatsachen: "Prognose-Apps sind unbrauchbar, um das fertile Fenster sicher vorherzusagen", sagte Dr. med. Hanna Dietrich, Universitätsspital Zürich. Die Treffsicherheit derartiger Apps bei der Voraussage der Ovulation betrage nur 21 %.

Das fertile Fenster umfasst normalerweise 6 Tage, und zum Zweck der Verhütung muss der gesamte Zeitraum zuverlässig vorausgesagt werden. Das sei auf der Grundlage der Daten früherer Zyklen wegen der Schwankungsbreite der Zyklen kaum möglich, und schon gar nicht bei Jugendlichen mit ihren meist unregelmäßigen Zyklen, so Dietrich.

Es sei wichtig, die Frauen darauf hinzuweisen, dass eine App, in die man Beschaffenheit des Zervixschleims und/oder die Temperatur eingebe, nicht immer den Eisprung im laufenden Zyklus ermittele, so wie das NFP-Apps tun: "Auch in viele Prognose-Apps gibt man die Temperatur ein, aber sie werten das für den aktuellen Zyklus gar nicht aus", sagte Dietrich. Das gilt beispielsweise für die in sozialen Netzwerken stark beworbene App NaturalCycles.

Natürliche Familienplanung mit NFP-Apps

NFP-Apps arbeiten auf der Grundlage von Temperatur und/oder Beschaffenheit des Zervixschleims (symptothermale Methode), und es gibt NFP-Apps mit zusätzlichen Messungen (z. B. LH im Urin).
Die Parameter können per Foto analysiert werden, es gibt kleine Aufsätze für das Smartphone, um beispielsweise Messstreifen auszuwerten, sowie spezielle, zu der jeweiligen App gehörende Zykluscomputer und Thermometer.

Die symptothermale Methode (Sensiplan®) ist evidenzbasiert und bei sorgfältiger Anwendung recht sicher. Ihr Pearl-Index werde mit 0,4 angegeben, realistischer sei allerdings ein Pearl-Index von 1,8, sagte Dietrich. In einer Studie mit 758 Frauen (keine Jugendlichen) kam es innerhalb von 14.870 Zyklen zu 28 ungewollten Schwangerschaften (2,2 %) [10]. "Nur weil man eine recht sichere Methode in einer App anwendet, heißt das aber nicht, dass sie automatisch sicher ist", warnte Dietrich. Es gibt keine unabhängigen Studien, die Auskunft darüber geben, ob NFP-Apps genauso gut funktionieren wie die klassische NFP. Die Sicherheit dieser Methode hängt letztlich immer davon ab, dass die Anwenderin für die Beurteilung des Zervixschleims korrekt instruiert wurde und dass sie die Basaltemperatur korrekt messen sowie Störfaktoren erkennen kann: "Da reicht es nicht, sich einmal die Anleitung in der App durchzulesen."

Beispiele für NFP-Apps sind Lady Cycle, myNFP, Neome und myWonder. NFP-Apps, die sich nur auf die Beschaffenheit des Zervixschleims (z. B. Ovagraph) oder in erster Linie auf die Basaltemperatur (z. B. Cyclotest mySense, Daysy-View, Ovy) beziehen, sind weniger sicher als NFP-Apps, die beide Parameter auswerten.

Nur scheinbare Sicherheit durch Zertifizierung

Einige Zyklus-Apps schmücken sich mit einer Zertifizierung als Medizinprodukt (z. B. CE-Zertifizierung in der EU). Diese sagt jedoch nichts über deren tatsächliche Zuverlässigkeit in Bezug auf die Verhütung aus. Studien zur Verhütungssicherheit mit der jeweiligen App sind für diese Art der Zertifizierung nicht notwendig. So bestätigte der TÜV Süd, eine der gängigen Institutionen für die Zertifizierung von Medizinprodukten, dass für die Zertifizierung die technische Dokumentation, das Qualitätsmanagement und die klinische Beurteilung des Herstellers ausschlaggebend seien (11). Eine unabhängige Prüfung der Wirksamkeit im Sinne einer sicheren Verhütung findet nicht statt.

Lifestyle, Community und Datenschutz

Zyklus-Apps sind in der Regel mehr als reine Zyklustagebücher. Die Betreiber der Apps versuchen, die Nutzerinnen auf mehreren Wegen an die App zu binden. So gibt es bei verschiedenen Apps Abogebühren und/oder spezielle Zusatzgeräte, die man kaufen muss, um die App zu nutzen. Nicht zuletzt wird die Bindung durch das Entstehen einer Community gleichgesinnter junger Frauen gefördert, die sich innerhalb der App über ihre Zykluserfahrungen austauschen können. Bei der Registrierung werden nicht selten für die Funktion der App überflüssige private Daten abgefragt, wie Name, Alter und Postleitzahl des Wohnorts: "Das muss man den jungen Frauen sagen. Sie geben sehr viele Informationen preis, und die Daten werden geteilt und verkauft", sagte Dietrich. 2017 untersuchte die Stiftung Warentest 23 Zyklus-Apps im Hinblick auf die Wahrung der Privatsphäre und des Datenschutzes. Nur sechs von ihnen waren sehr gut in Bezug auf die Privatsphäre (elf befriedigend, sechs ausreichend), beim Datenschutz erwies sich mehr als die Hälfte von ihnen als kritisch.

NFP: Checkliste für die Beratung

Zu den wichtigsten Punkten im Beratungsgespräch zur natürlichen Familienplanung gehören laut Dietrich:

  • Bereitschaft, in jedem Zyklus eine Woche lang zuverlässig ein Kondom zu nutzen oder keinen Sex zu haben
  • Absolut zuverlässige Temperaturmessung (regelmäßig zur gleichen Uhrzeit) mit einem funktionsfähigen Thermometer
  • Störfaktoren erkennen und bedenken (z. B. viel Sport am Abend, Alkohol, unregelmäßiger Schlafrhythmus)
  • Bewusstsein dafür, dass der Großteil der Verantwortung bei der Anwenderin liegt
  • Was passiert, wenn man trotzdem schwanger wird?

Die symptothermale Methode sei bei guter Instruktion und zuverlässiger Anwendung bewährt und weitgehend sicher, aber es gebe keine hochwertigen, unabhängigen Studien zu den Apps, sagte Dietrich: "Die Apps suggerieren, dass es sehr einfach ist, mit dieser natürlichen Familienplanungsmethode zu verhüten. Die Frauen haben das Gefühl: "Ich benutze die App, also werde ich nicht schwanger, und ich muss keine Hormone nehmen." Aber dass das nicht ausreicht, ist ihnen gar nicht so bewusst. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir die Frauen, wenn sie diese Methode wirklich verwenden wollen, gut instruieren."

Wichtig für die Sprechstunde
  • Das Angebot an Verhütungsmitteln ist heutzutage grösser als je zuvor, was eine individuelle Auswahl für die jeweilige Lebensphase gut ermöglicht.
  • Nach längerer Zeit kommen nun wieder neue orale Kontrazeptiva auf den Markt.
  • Zyklus-Apps, welche die Ovulation anhand vergangener Zyklusdaten errechnen (Prognose-Apps), sind zum Zweck der Verhütung nicht geeignet.
  • Die symptothermale Methode (Sensiplan) erlaubt eine weitgehend sichere Verhütung. Zu der Frage, ob das auch für den Gebrauch entsprechender Apps zutrifft, welche die Fruchtbarkeit im aktuellen Zyklus mithilfe der symptothermalen Parameter errechnen (NFP-Apps), gibt es noch keine unabhängigen, hochwertigen Studien.

Vorträge und Handouts von Prof. Patricia G. Oppelt ("Neues in der Kontrazeption: Herausforderungen und aktuelle Trends") und Dr. med. Hanna Dietrich ("Natürliche Verhütung für Jugendliche – verlässliche Daten?") am 14. Symposium Kinder-/Jugendgynäkologie und Kontrazeption am 30. Juni 2022 in Bern.

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Ars Medici 18, 2022


Literatur:
1. Oppelt PG et al.: What do patients want to know about contraception and which method would they prefer? Arch Gynecol Obstet. 2017;295(6):1483-1491.
2. Bitzer J et al.: Evaluation of a patient-centred, needs-based approach to support shared decision making in contraceptive counselling: the COCO study. Eur J Contracept Reprod Health Care. 2021;26(4):326-333.
3. https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/ueber-uns/publikationen/public-summary-swiss-par/public-summary-swiss-pardrovelis.html
4. Gemzell-Danielsson K et al.: Estetrol-Drospirenone combination oral contraceptive: a clinical study of contraceptive efficacy, bleeding pattern and safety in Europe and Russia. BJOG. 2022;129(1):63-71.
5. Archer DF et al.: Drospirenone-only oral contraceptive: results from a multicenter noncomparative trial of efficacy, safety and tolerability. Contraception. 2015;92(5):439-444.
6. Palacios S et al.: Multicenter, phase III trials on the contraceptive efficacy, tolerability and safety of a new drospirenone-only pill. Acta Obstet Gynecol Scand. 2019;98(12):1549-1557.
7. Kimble T et al.: A 1-year prospective, open-label, single-arm, multicenter, phase 3 trial of the contraceptive efficacy and safety of the oral progestin-only pill drospirenone 4 mg using a 24/4-day regimen. Contracept X. 2020;2:100020.
8. Apter D et al.: Multicenter, open-label trial to assess the safety and tolerability of drospirenone 4.0 mg over 6 cycles in female adolescents, with a 7-cycle extension phase. Contraception. 2020;101(6):412-419.
9. Palacios S et al.: Efficacy and cardiovascular safety of the new estrogen-free contraceptive pill containing 4 mg drospirenone alone in a 24/4 regime. BMC Womens Health. 2020;20(1):218.
10. Frank-Herrmann P et al.: Natural family planning with and without barrier method use in the fertile phase: efficacy in relation to sexual behavior: a German prospective long-term study. Adv Contracept. 1997;13(2-3):179-189.
11. https://www.dggef.de/2018/10/12/warnung_verhuetungs-app/


Autorin
Renate Bonifer



Erschienen in: doctors|today, 2022; 2 (11) Seite 14-17