Nach wie immer reichlich zähen Verhandlungen haben sich Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband Ende August doch überraschend auf einen neuen Orientierungspunktwert für ambulante Leistungen für das kommende Jahr geeinigt. Der steigt nun zwar, aber es gibt auch Kritik von Ärzteverbänden.

Ärztliche und psychotherapeutische Leistungen werden ab dem nächsten Jahr besser vergütet: Der Orientierungspunktwert, der maßgeblich die Preise für ambulante Leistungen bestimmt, steigt um 1,52 % und liegt dann bei 10,9871 Cent (bisher: 10,8226 Cent). Hochgerechnet bedeutet das eine Honorarsteigerung um 565 Millionen Euro.

Kasten 1: Bis zu 500 Euro für Videosprechstunde
GKV-Spitzenverband und KBV haben vereinbart, die Videosprechstunde zu fördern. Ab dem 1. Oktober 2019 bis zum 30. September 2021 zahlen die gesetzlichen Krankenversicherungen als Zuschlag auf die Grund- oder Versichertenpauschale eine Anschubfinanzierung für Ärzte, die Videosprechstunden durchführen (GOP 01451). Sie ist mit 92 Punkten, also 9,95 Euro bewertet und wird extrabudgetär für bis zu 50 Videosprechstunden vergütet. Pro Arzt und Quartal sei damit eine Förderung bis zu 500 Euro möglich.

Maues Ergebnis

Sowohl KBV als auch die Krankenkassen äußerten sich zufrieden mit dem Ergebnis, zeige es doch, dass die Selbstverwaltung funktioniere und solche Entscheidungen selbst herbeiführen könne. Leise schwingt da wohl auch noch die Angst mit, dass der rührige Bundesgesundheitsminister sich auch noch auf diesem Feld zum Eingreifen gezwungen sähe, wenn die Verhandlungen gescheitert wären. In die Verhandlungen war die KBV mit einer Forderung von etwa 2,7 % gegangen, die Kassen hatten nur 0,2 % angeboten. Getroffen hat man sich, wie so oft, etwa in der Mitte. Tatsächlich ist ein Plus von 1,52 % beim Orientierungswert nicht unbedingt als Riesenerfolg für die KBV zu werten, insbesondere wenn man dies mit den Tariferhöhungen in anderen Bereichen wie beispielsweise dem Öffentlichen Dienst vergleicht. Dort steigen die Gehälter im nächsten Jahr immerhin um 3,2 %.

Kein gutes Zeichen

Als "dürftig" bezeichnete daher der NAV-Virchowbund das Verhandlungsergebnis. Je Praxis bedeute das rund 466 Euro mehr pro Monat, hat man dort errechnet. Angesichts der allgemein steigenden Preise und Personalkosten sei das kein gutes Zeichen. Doch auch beim NAV-Virchowbund würdigt man, dass eine Einigung ohne Anrufung des Erweiterten Bewertungsausschusses und damit ohne Schiedsspruch eines Dritten zustande gekommen ist.

Kasten 2: Über das Honorar wird jährlich verhandelt
KBV und GKV-Spitzenverband haben den gesetzlichen Auftrag, jährlich über die Morbiditätsentwicklung und über die Anpassung des Orientierungswertes zu verhandeln. Dabei sind die für Arztpraxen relevanten Investitions- und Praxiskosten zu berücksichtigen. Ferner sollen die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven sowie die allgemeine Kostendegression bei Fallzahlsteigerungen in die Berechnungen einbezogen werden. Eine Vorgabe des Gesetzgebers ist, dass die Krankenkassen das volle Morbiditätsrisiko ihrer Versicherten tragen müssen. Das bedeutet: Nimmt die Zahl der Erkrankungen und damit der Behandlungsbedarf in der Bevölkerung zu, müssen die Kassen entsprechend mehr Geld bereitstellen.

Von anderer Seite war die Kritik schon lauter. So klagte der Landesverband Thüringen des Hartmannbunds, "die überarbeiteten Ärzte werden von der KBV alleingelassen". Das jetzige Honorarsystem habe keinerlei Leistungsbezug mehr und wirke sich im Verbund mit Pauschalisierung und Budgetierung versorgungs- und leistungsfeindlich aus. Auch beim Landesverband Brandenburg zeigt man sich eher enttäuscht: Zum wiederholten Male bleibe die Orientierungswert-Anhebung unter der Preissteigerungsrate. Das Verhandlungsergebnis trage nicht dazu bei, bei jungen Ärzten das Interesse für eine freiberufliche selbstständige Tätigkeit in eigener Praxis zu wecken.

Umsetzung auf Landesebene steht noch aus

Die Beschlüsse auf Bundesebene bilden nun die Grundlage für weitere Verhandlungen auf Landesebene. Dort beginnen im Herbst die Verhandlungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen. Dabei wird es darum gehen, wie viel Geld die Krankenkassen für die ambulante Versorgung der Menschen in der jeweiligen Region im nächsten Jahr bereitstellen. Basis bildet die auf Bundesebene vereinbarte morbiditätsbedingte Veränderungsrate und die vereinbarte Anpassung des Orientierungspunktwertes.



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (16) Seite 30-31