Der 53. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) stellte die Frage nach der ärztlichen Professionalität in den Mittelpunkt und versuchte zu eruieren, wie hausärztliche Arbeit zwischen Patientenwohl und Ansprüchen der Gesellschaft bestmöglich gelingen kann. Im Kern geht es hierbei um eine Definition der Position der Hausärzte im Gesundheitssystem sowie den Möglichkeiten zur Förderung der Wertschätzung der Primärversorger. Deutlich wurde: Die DEGAM will sich politisch mehr einmischen.

Seit längerer Zeit fordert die DEGAM ein Primärarztsystem. Was in anderen Ländern und Gesundheitssystemen selbstverständlich ist, entwickelt sich in Deutschland aber nur langsam. Ein Ziel des Kongresses sollte daher sein, deutlich zu machen, was die hausärztliche Arbeit im Spannungsfeld zwischen Patienten, gesellschaftlicher Verantwortung sowie der Verpflichtung dem System gegenüber auszeichnet. Die Wertschätzung der Hausärzteschaft sei bei Patientenbefragungen groß. Mit Themen wie der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV), einer noch besseren Einbindung der Allgemeinmedizin ins Studium, einer professionelleren Struktur in der Facharztweiterbildung sowie hochklassiger Forschung in Praxen möchte die DEGAM den Stellenwert des Fachgebiets auch auf anderen Ebenen hervorheben und fördern.

Kontinuierliche hausärztliche Betreuung wirkt

In der Selbstverwaltung setze sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass man hierzulande eine viel bessere Steuerung der Patienten benötige – und hierfür sei die Hausarztpraxis prädestiniert, meinte die scheidende DEGAM-Präsidentin Prof. Erika Baum. Die vorliegenden Studiendaten wiesen überzeugend darauf hin, dass z. B. die HzV wirke: Durch die kontinuierliche hausärztliche Betreuung würden unnötige Krankenhausbehandlungen verringert, es gebe ein viel besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis und auch die Spezialisten würden entlastet. Baum könnte sich auch vorstellen, dass ein solches HzV-Modell auch unter dem Dach des KV-Systems angesiedelt sein könnte und man die derzeit getrennt laufenden Systeme so wieder zusammenführen würde. Dann, so Baum, müssen allerdings die Hausärzte über ihre Versorgungsebene bestimmen dürfen.

Scherer folgt auf Baum
Turnusgemäß fanden beim DEGAM-Kongress in Erlangen die Neuwahlen zum Präsidium statt. Als Nachfolger von Professor Erika Baum wurde Professor Martin Scherer, der Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, zum neuen DEGAM-Präsidenten gewählt. Er war der einzige Kandidat. Prof. Baum war auf eigenen Wunsch nicht erneut als Präsidentin angetreten. Sie bleibt der DEGAM aber als Schatzmeisterin erhalten und ist darüber hinaus Haupt-Organisatorin des nächsten Europäischen Kongresses für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, der Ende Juni 2020 in Berlin und damit erstmals in Deutschland stattfinden wird.

Problematisch sei sicherlich, dass man in Deutschland das Recht auf die freie Arztwahl sehr hoch halte, gab Prof. Thomas Kühlein, der Kongresspräsident und Leiter des Lehrstuhls für Allgemeinmedizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, zu bedenken. Tatsächlich aber bleibe diese ja auch in einem Primärarztsystem erhalten, denn der Patient könne sich ja immer noch den Hausarzt selbst wählen. Letztlich habe das derzeitige, sehr freizügige System massive Nachteile und sei sehr teuer, so Baum.

Mehr Facharztabschlüsse

Dass sich das Image der Allgemeinmedizin an den Hochschulen in den letzten Jahren doch erheblich verbessert habe, schreibt sich die DEGAM als Erfolg ihrer Arbeit zu. Inzwischen gebe es flächendeckend Abteilungen für Allgemeinmedizin und das Fach finde zunehmend die Anerkennung, die ihm gebühre. Diese Entwicklung schlage sich nun auch bei den Weiterbildungszahlen nieder, erläuterte Baum. So sei die Zahl der Abschlüsse zum Facharzt für Allgemeinmedizin von rund 1.100 im Jahr 2016 auf derzeit etwa 1.500 angestiegen. Eine positive Entwicklung also, die aber noch nicht ausreiche. Tatsächlich würden jährlich rund 2.100 oder besser noch mehr neue Hausärzte gebraucht, um die immer größer werdenden Lücken in der hausärztlichen Versorgung zu füllen. Schließlich gehe man davon aus, dass für zwei ausscheidende Ärzte mindestens drei junge Ärzte nachrücken müssten, um das gleiche Arbeitsvolumen zu bewältigen.

Wann kommt der Masterplan?

Zur Verbesserung des Images der Allgemeinmedizin sollte auch der Masterplan Medizinstudium 2020 beitragen. Ob der allerdings im nächsten Jahr umgesetzt werden kann, da zeigte sich Prof. Erika Baum skeptisch. Schon jetzt sei wertvolle Zeit durch immer neue Diskussionen verloren, vor allem, weil die Frage der Finanzierung noch immer nicht geklärt sei. Dafür seien die Wissenschaftsminister der Länder zuständig, und die leisteten derzeit noch erheblichen Widerstand.

DEGAM positioniert sich zur Digitalisierung
Die DEGAM sieht in der Digitalisierung im Gesundheitswesen Chancen für die unmittelbare, individuelle Versorgung von Patienten und bezüglich der Erwartungen der Gesellschaft an effiziente Strukturen und Ressourceneinsatz. Bei der Bewertung einzelner digitaler Gesundheitsanwendungen müssten aber einige Punkte berücksichtigt werden:
  • a) die unmittelbare Sicherheit von Patienten,
  • b) Aspekte des Datenschutzes und der Datensicherheit,
  • c) Interessenneutralität,
  • d) Interoperabilität insbesondere mit und zwischen Praxissoftwareprogrammen.
Die DEGAM fordert darüber hinaus eine obligate Einbindung einer wissenschaftlichen Datentransferschnittstelle in die Arztpraxisinformationssysteme. Außerdem befürwortet die Fachgesellschaft die unabhängige Prüfung und Zertifizierung von digitalen Technologien, bevor diese in den Praxen zur Anwendung kommen. Grundlage hausärztlichen Handelns bleibe die durch persönliche Kontakte entstandene Arzt-Patienten-Beziehung, betont die DEGAM in ihrem Positionspapier ausdrücklich. Diese könne nicht durch den Einsatz digitaler Technologien ersetzt werden.

Für Professor Kühlein ist klar, dass die Hausarztpraxis der Zukunft nur noch als Teampraxis die vielfältigen Aufgaben bewältigen können wird. Da zeigte er sich auch dem Beruf des Physician Assistant gegenüber aufgeschlossen – wenn dieser in geeigneter Weise in das Team eingebunden wird. Vermieden werden sollte aber, dass es zu einer weiteren Zersplitterung des Berufsbilds Hausarzt kommt. Da sei die DEGAM auch mit dem Deutschen Hausärzteverband auf einer Linie.

In seiner Eröffnungsrede sprach Prof. Kühlein über das Thema ärztliche Professionalität und über den Vertrag, den die Medizin mit der Gesellschaft geschlossen habe. Dabei machte er die "Medizin als Geschäft" als größte Bedrohung seitens der Gesellschaft und auch von ärztlicher Seite aus. Hier müssten die (Haus-)Ärzte klarer Stellung beziehen und entschiedener formulieren, wofür sie eigentlich angetreten seien. Und damit das passiert, rief er die Kolleginnen und Kollegen unter großem Beifall auf: "Seien wir politischer!"



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (17) Seite 26-28