Statt beim 40. Deutschen Hausärztetag in Berlin die weitere Verbreitung seines Modells der Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) gebührend zu feiern, sah sich der Deutsche Hausärzteverband unerwartet damit konfrontiert, dass der langjährige Gegenspieler aus dem KV-System anscheinend plötzlich die Idee einer primärärztlichen Versorgung gar nicht mehr so abwegig findet und sie sich sogar zu eigen machen möchte. Dieses Ansinnen stieß erwartungsgemäß auf wenig Gegenliebe bei den Delegierten.

Der große Erfolg mit der HzV könnte für den DHÄV noch zum Bumerang werden. Hatte die Führung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) lange Jahre immer wieder heftig gegen die HzV gewettert, so scheint sie ihr Segel jetzt in den immer stärker werdenden Wind pro HzV zu schwenken und lobt diese alternative Regelversorgung nun in den höchsten Tönen. So hatte der KBV-Vorstand erst kürzlich laut darüber nachgedacht, die HzV auf die ganze Republik auszurollen und primärärztliche Wahltarife im KV-System einzuführen, weil dies ethisch zwingend geboten sei. Das Ganze sollte dann aber natürlich unter der Ägide der KBV stattfinden.

Vergiftetes Lob für HzV

Doch so leicht will und wird sich der DHÄV nicht ausbooten lassen. Das machte der DHÄV-Vorsitzende Ulrich Weigeldt beim 40. Deutschen Hausärztetag in Berlin sehr deutlich. Das Lob der KBV für die HzV sei vergiftet, stellte Weigeldt klar und bezeichnete die Vorschläge der KBV als eine Mogelpackung.

Mit der HzV verfügten die Hausärzte über ein Instrument, das es ihnen erlaube, eigenständig Versorgungsverträge mit den Krankenkassen abzuschließen, so Weigeldt. Entscheidend dabei sei, dass diese Verträge von Hausärzten selbst und unbeeinflusst von fachärztlichen Interessen mit den Kassen verhandelt werden. Die Politik unterstreiche diese große Bedeutung der HzV, indem sie im kürzlich in Kraft getretenen Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eine Bonus-Regelung für an der HzV teilnehmende Versicherte sowie eine Fortgeltungsklausel für HzV-Verträge gesetzlich verankert hat. Damit sei die HzV dem Kollektivvertrag gleichgestellt und das freiwillige Primärarztsystem als wichtiger Bestandteil der hausärztlichen Versorgung anerkannt, resümierte der Hausärzte-Chef.

HzV nicht aus der Hand geben

Aktuell nähmen über 5,2 Millionen Versicherte und rund 17.000 Hausärzte an diesen Verträgen teil. Die weitere Verbreitung der HzV sei eine zentrale Aufgabe zur Sicherung der hausärztlichen Versorgung unserer Patienten und unserer Praxen, machte Weigeldt deutlich, und er erteilte gleichzeitig allen Überlegungen, die HzV aus der Hoheit der Hausärzte in das kollektivvertragliche System zu überführen, eine klare Absage. Denn dort, so fürchtet Weigeldt, werde die HzV dann "in den fachärztlichen Mehrheiten zermahlen". In einem solchen KV-System werde dann die hausärztliche Versorgung nicht mehr von Hausärzten sichergestellt, sondern von "sogenannten grundversorgenden Fachärzten", malte Weigeldt ein düsteres Bild der Zukunft. Die HzV sei zudem ein wichtiger Wettbewerbsmotor, den man sich nicht so einfach aus der Hand nehmen lassen wolle.

Angesichts dieser aktuellen Bedrohung rückten andere Themen beim Hausärztetag etwas in den Hintergrund. Skeptisch zeigte sich Ulrich Weigeldt weiterhin beim Nutzen einer Landarztquote. Selbst bei einem Erfolg dieser Programme werde sich ein Ergebnis frühestens in 10 Jahren bemerkbar machen. Dennoch fand Weigeldt lobende Worte für den NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, denn dort seien in die Eignungsprüfung der Bewerber auch gestandene Landärzte einbezogen worden. Als positives Signal bewertete Weigeldt bei der Landarztquote, dass sie zeige, dass Hausärzte gebraucht und gewollt werden. Die Gesundheitsminister der Länder hätten wohl die Bedeutung des Hausarztes als wichtigsten Versorger erkannt und anerkannt. Das sei nicht immer so gewesen, erinnerte sich Weigeldt.

Neuer Bundesvorstand 2019: An der Spitze ändert sich nichts

Beim 40. Deutschen Hausärztetag in Berlin standen turnusgemäß auch wieder Neuwahlen zum Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbands an. Der bisherige und seit 2007 immer wieder im Amt bestätigte Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt hatte im Vorfeld von einer Periode des Übergangs gesprochen, die nun anstehe. Der Vorstand sollte verjüngt und weiblicher werden, hatte man doch im Vorjahr eine Frauenquote von mindestens 30 % beschlossen. Weigeldts Andeutungen nährten Gerüchte, er würde womöglich nicht noch einmal zur Wahl antreten. Das tat er dann doch, und er wurde auch mit 75 % der Stimmen wiedergewählt. Einen Gegenkandidaten gab es nicht. Auch seine bisherigen Stellvertreter, Dr. Dieter Geis, ehemaliger Vorsitzender des Landesverbands Bayern, und Dr. Berthold Dietsche, Vorsitzender des Landesverbands Baden-Württemberg, wurden in ihren Funktionen mit 64 % bzw. 63 % bestätigt. Als dritte Stellvertreterin neu in den Bundesvorstand gewählt wurde Anke Richter-Scheer, die Vorsitzende des Landesverbands Westfalen-Lippe. Sie erhielt 88 % der Stimmen. Ebenfalls neu im Vorstand ist Dr. Ulf Zitterbart vom Landesverband Thüringen. Die 30 %ige Frauenquote wird erreicht durch die Wahl von Dipl.-Med. Ingrid Dänschel, Landesverband Sachsen, zur neuen Schriftführerin und Dr. Leonor Heinz, Berlin, als neue – und tatsächlich junge – Beisitzerin.

Von links nach rechts: Jens Wagenknecht, Dr. Ulf Zitterbart, Dr. Leonor Heinz, Dr. Dieter Geis, Anke Richter-Scheer, Ulrich Weigeldt, Dr. Berthold Dietsche, Dipl.-Med. Ingrid Dänschel, Armin Beck

Drohen neue Fortbildungspflichten?

Als weiteres Sorgenkind machte der DHÄV-Bundesvorsitzende das neue Disease-Management-Programm (DMP) Depression aus. Dort sei von der Selbstverwaltung zunächst geplant gewesen, die Einschreibung und Koordination bei den Psychiatern anzusiedeln. Nur durch das entschiedene Einschreiten des DHÄV sei daraus letztlich nichts geworden. Stattdessen werde jetzt die primärärztliche Funktion des Hausarztes hervorgehoben, wenn es heißt: "Die ärztliche Betreuung und Koordination diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen des Versicherten wird im Gesundheitswesen in der Regel durch den Hausarzt durchgeführt. Das könne gar nicht oft genug gesagt werden", so Weigeldt.

Der Pferdefuß bei der Sache sei aber, dass die Selbstverwaltung wieder neue und umfangreiche Fortbildungspflichten an das DMP Depression geknüpft habe. Das sei ein Unding und eine Geringschätzung der strukturierten und mindestens 5-jährigen Weiterbildung in der Allgemeinmedizin. Das werde man sich so nicht gefallen lassen.

Weiterbildungsordnung: Wer darf wie Facharzt für Allgemeinmedizin werden?
Zu einem weiteren Aufreger wurde beim Deutschen Hausärztetag noch die neue Weiterbildungsordnung, die die Landesärztekammer Bremen kurz zuvor verabschiedet hatte. Denn die weicht in einem für die Hausärzte wichtigen Punkt von der auf dem Deutschen Ärztetag 2018 beschlossenen Musterweiterbildungsordnung (MWBO) ab. Während laut MWBO 24 Monate Allgemeinmedizin in der ambulanten hausärztlichen Versorgung abgeleistet werden müssen, sollen in Bremen dafür auch Zeiten bei einem hausärztlich tätigen Internisten angerechnet werden können. Dass man so Facharzt für Allgemeinmedizin werden kann, ohne auch nur einen einzigen Tag in einer allgemeinmedizinischen Praxis gearbeitet zu haben, könne nicht angehen, beklagte der DHÄV-Vorstand. So etwas würde keine andere Facharztgruppe mit sich machen lassen, ist sich Weigeldt sicher. Dass Landesärztekammern sich immer wieder nicht eins zu eins an die Beschlüsse auf Bundesebene halten, beobachte man beim Hausärzteverband schon länger mit Sorge. Da stelle sich die Frage, ob den Landesärztekammern die Kompetenz in der Weiterbildung für Allgemeinmedizin noch zugestanden werden kann, empörte sich der Hausärzte-Chef.

Die Identität des Fachs Allgemeinmedizin muss gewahrt sein: Ohne auf den aktuellen Präzedenzfall in Bremen namentlich einzugehen, weist auch die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) in einem Schreiben an die Bundesärztekammer (BÄK) und alle Landesärztekammern noch einmal eindringlich auf die Wichtigkeit einer bundesweit einheitlichen Umsetzung der MWBO hin, um eine kontinuierliche Weiterbildung auch über Landesgrenzen sicherzustellen. Der Abschnitt von 24 Monaten in "Allgemeinmedizin in der ambulanten hausärztlichen Versorgung" müsse zur Wahrung der Identität des Faches beansprucht werden. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass das therapeutische Spektrum der Hausärzte von der individuellen Weiterbildung abhängig ist. Hausärztliche Kollegen, die ausschließlich im Krankenhaus weitergebildet worden sind, führten seltener chirurgische Prozeduren durch, behandelten seltener Kinder und Jugendliche und überwiesen bei typisch allgemeinmedizinischen Beratungsanlässen häufiger und schneller auf die zweite Versorgungsebene. Eine fehlende strukturierte Anleitung im Umgang mit Unsicherheit/Unbestimmtheit verursache zudem ein erhöhtes Maß an Über- und Fehlversorgung, so die DEGAM. Die DEGAM empfiehlt darüber hinaus, die Weiterbildungsbefugnis für "Allgemeinmedizin in der hausärztlichen Versorgung" prinzipiell erst nach mindestens 5 Jahren Tätigkeit in der hausärztlichen Versorgung zu erteilen.

Eigene Ideen zur Digitalisierung entwickeln

Als eine weitere Aufgabe des Verbands für die nächsten Jahre nannte Weigeldt die Digitalisierung. Mit der werde man sich intensiv befassen und sie mit eigenen Ideen für die hausärztliche Versorgung nutzbar machen. Und man werde Lösungen entwickeln für die verschiedenen Möglichkeiten der gemeinschaftlichen Praxisführung, ohne die immer noch berechtigte Einzelpraxis dabei aus den Augen zu verlieren.

Die nächsten Jahre bezeichnete Weigeldt zum Abschluss des Hausärztetags als Periode des Übergangs von der jetzigen Generation zur nächsten. Er spielte damit auch auf die anstehenden Neuwahlen zum DHÄV-Vorstand an. Dass diese Periode nicht unbedingt volle 4 Jahre dauern müsse, sondern der Übergang auch früher stattfinden könne, könnte man als Hinweis auf einen allmählichen Rückzug des 69-Jährigen vom Posten des DHÄV-Bundesvorsitzenden deuten. War der lange und anhaltende Beifall der Delegierten für die Rede also schon ein Dank für die langjährige Arbeit von Ulrich Weigeldt?



Autor:
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (18) Seite 34-37