Bei Patienten mit atopischer Dermatitis sticht die entzündete Haut sofort ins Auge. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Eine unauffällige subklinische Hautentzündung und systemische Auswirkungen sind ebenfalls wichtige Aspekte dieser sehr komplexen Erkrankung. Über die Pathophysiologie der atopischen Dermatitis sprach Prof. Thomas Bieber aus Bonn am hybriden EADV-Kongress 2022.

Der Experte bezeichnete die atopische Dermatitis als „hoffnungslos heterogene Erkrankung“. Zwischen den einzelnen Patienten seien die Unterschiede sehr groß (z. B. Krankheitsverlauf, Schweregrad, Komplikationsrisiko). Das Ansprechen auf neuartige Therapien (z. B. Biologika, JAK-Inhibitoren) sei sehr variabel. In der ärztlichen Praxis gilt es, sowohl die Dysfunktion der Hautbarriere günstig zu beeinflussen als auch eine möglichst gute Kontrolle der chronischen Entzündungsreaktion zu erreichen. Zahlreiche Faktoren tragen zur Barrierefunktionsstörung bei [1]:

  • genetische Ursachen (Mangel an Filaggrin und an anderen Proteinen)
  • Verstärkung der genetisch bedingten Barrierefunktionsstörung durch Zytokine der TH2-Entzündung
  • Störung des Mikrobioms mit reduzierter Diversität (Dysbiose) und Kolonisierung durch Staphylococcus aureus
  • Störung der Lipidzusammensetzung
  • Erhöhung des Haut-pH-Werts (begünstigt mikrobielle Hautinfektionen)

Bei gestörter Hautbarriere können Mikroben, Allergene, Irritanzien, Umweltschadstoffe oder Nanopartikel leichter eindringen, und die Haut kann Wasser weniger gut zurückhalten.

Der immunologische Marsch

Die immunologischen Reaktionen bei atopischer Dermatitis sind sehr komplex. Bieber hat in Anlehnung an den „atopischen Marsch“ den Ausdruck „immunologischer Marsch“ geprägt, um zu erklären, wie die chronische Entzündung bei der atopischen Dermatitis in Phasen verläuft. In der 1. Phase kommt es durch unspezifische Irritation der Epidermis zur Aktivierung des angeborenen Immunsystems der Haut. Die unspezifische Entzündung verändert das Mikromilieu der antigen­präsentierenden Langerhans-Zellen in der Epidermis. In der 2. Phase folgt die dominierende TH2-Reaktion des adaptiven Immunsystems, begleitet von IgE-Sensibilisierung auf Umweltallergene. In der 3. Phase können sich Komorbiditäten entwickeln, sowohl atopische (Nahrungsmittelallergie, Asthma, Rhinitis) als auch nicht atopische (kardiovaskuläre und neuropsychiatrische Komorbiditäten wie Angst, Depression, Suizidalität).

Atopische Dermatitis – eine systemische Entzündung?

Handelt es sich bei der atopischen Dermatitis von vornherein um ­eine systemische Entzündung? Dann müssten bei allen Patienten im Blut vermehrt Entzündungsmediatoren zirkulieren. Der Referent wies auf eine Publikation hin, die bei milden Formen von atopischer Dermatitis keine systemischen Entzündungszeichen fand, während im Blut von Patienten mit moderater oder schwerer Erkrankung erhöhte Konzentrationen von Biomarkern der TH2/TH22-Achsen und in geringerem Ausmaß auch der TH1/TH17-Achsen feststellbar waren.

Diese Befunde sprechen für das Konzept, dass die atopische Dermatitis zunächst eine chronische Hautentzündung ist, die sich bei zunehmendem Schweregrad und bei Beteiligung ausgedehnterer Hautareale systemisch auswirken kann. Biomarker-Forschungen zeigen, dass bei mehr als der Hälfte der Patienten mit niedrig moderater Erkrankung (EASI von 7 bis unter 16) bereits Biomarker-Zunahmen im Blut (z. B. vermehrt zirkulierendes IL-13 oder Periostin) als Zeichen systemischer Auswirkungen vorhanden sind (siehe Tabelle).

Diese Patienten erfüllen jedoch nicht die üblichen Einschlusskriterien für Studien zu systemischen Therapien (moderate bis schwere atopische Dermatitis mit EASI ≥ 16). Aktuell kann also ein Teil der Patienten, die systemische Therapien benötigen würden, nur topisch auf der läsionalen Haut behandelt werden. Dadurch werde eine Gelegenheit verpasst, die Entwicklung von systemischen Auswirkungen der chronischen Hautentzündung zu stoppen, monierte der Referent.


Quelle
Session D3T01.2 „Atopic dermatitis“, 31. Jahreskongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) am 10. September 2022 in Mailand und online.

Literatur
1. Bieber T et al.: Atopic dermatitis: pathomechanisms and lessons learned from novel systemic therapeutic options. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2022;36:1432–1449.

Genehmigter und bearbeiteter Nachdruck aus Congress Selection Dermatologie, Februar 2023



Autor:
Alfred Lienhard

Erschienen in: DERMAforum, 2023; 27 (4) Seite 18