Gehörten Mentoren früher vorrangig der Gruppe der langjährigen Praktiker an, lernt heute immer öfter auch Alt von Jung. Das ­bietet insbesondere bei der Digitalisierung Potenzial für das ganze Team.

Mentoring steht für den Wissenstransfer zwischen einer erfahrenen und einer weniger erfahrenen Person. In vielen Branchen wird Mentoring ganz gezielt zur Personal- und Unternehmensentwicklung eingesetzt. Auch in fast jeder Arztpraxis gibt es „graue Eminenzen“, die als Vorbilder und Taktgeber dienen. Heute ändern sich die Herausforderungen aber so schnell, dass es viel Veränderungsbereitschaft braucht: um im passenden Moment die richtigen Entscheidungen zu treffen. Hier schlägt die Stunde des sogenannten Reverse Mentoring: Dabei geht es darum, von dem zu lernen, der bei einem Thema über mehr Kompetenz verfügt. Denn Kompetenz wird heutzutage nicht mehr automatisch gleichgesetzt mit Erfahrung – und das ist gut so.

Das steckt dahinter

Ohne Medienkompetenz geht es nicht mehr, auch nicht in der gut eingeführten Praxis mit festem Patientenstamm. Online-Terminvereinbarung statt Schlange am Eingang, Video-Sprechstunden über Mittag oder regelmäßige Online-Weiterbildungen gehören längst zum guten Ton, wenn man als attraktiver Arbeitgeber punkten möchte. Social Media Recruiting ist daher eine gute Gelegenheit, die Fähigkeiten im Praxisteam auf Vordermann zu bringen und dabei die Kompetenzen der „Digital Natives“, die heute fast jeder im Boot hat, zum Vorteil aller zu nutzen. Wie wäre es mit einem „Check-up für die eigene Karriere“ auf der Website? So holt man die Leute ins Unternehmen, die vor guten Ideen nur so strotzen. Und kann sicher auch den ein oder anderen erfahrenen Praktiker begeistern.

Verabschieden Sie sich dafür von einem Führungsverhalten, das Innovationen unterdrückt, wenn nicht der Richtige (Chefin bzw. Chef) die Idee hat. Wer die Innovationskraft des ganzen Teams nutzt, vervielfacht das Potenzial. „Das haben wir immer schon so gemacht“ ist kein Garant für einen guten Workflow. Ist eine Person neu in einem Team, erkennt sie u. U. Schwachstellen schneller als Kollegen, die sich an eine zeitaufwendige Notlösung gewöhnt haben.

Mitarbeitermotivation ist erfolgreich, wenn man die Zielsetzungen der Generationen im Team versteht. Es ist bei Weitem nicht so, dass alle jungen Mitarbeiter v. a. Wert auf möglichst viel Freizeit legen. Der ein oder andere Youngster will vielleicht gezielt Karriere machen und so manche Kollegin mit Mitte 50 ist eben noch nicht mit einem Fuß in der Rentenplanung, sondern sucht neue berufliche Herausforderungen. Falls das in dieser Praxis nicht erkannt wird, dann gegebenenfalls beim Mitbewerber.

Letztendlich gehört dazu auch eine Führungskräfteentwicklung, die nicht von Sorge vor „nachwachsender“ Konkurrenz geprägt ist, sondern von Teilhabe am Wissen anderer. Nur wer seinen Mitarbeitenden echte Chancen auf die persönliche Weiterentwicklung bietet, kann auch von diesem Mehr an Wissen und Kompetenz profitieren. Abwanderungsrisiken kann man in einem gewissen Maße durch rechtskonforme Vereinbarungen mit dem Mitarbeiter reduzieren.

Vertrauen schafft die Basis

Reverse Mentoring hat das Potenzial für einen Dialog zwischen den Generationen. Aktiver Dialog verbessert gleichzeitig die Unternehmenskultur, das Verständnis wächst – auch für Patienten aus ähnlichen Altersgruppen. Mentor und Protegé brauchen dafür eine vertrauensvolle, partnerschaftliche Zusammenarbeit, in der sie sich gegenseitig austauschen, beraten und sie voneinander lernen können. Dafür ist es entscheidend, sich von eingefahrenen Rollenbildern zu verabschieden und auch als erfahrener Praktiker bereit dafür zu sein, von einem Berufseinsteiger etwas dazuzulernen. Dabei gilt: Bevor man solch ein Projekt startet, empfiehlt es sich, die Erwartungen aller Beteiligten in einem gemeinsamen Meeting zu ­besprechen – und die Erfolge und auch die Misserfolge zu evaluieren.


Literatur
1. Reverse Mentoring – von den Kompetenzen jüngerer Menschen profitieren, ­t2informatik, März 23
2. Reverse Mentoring: So lernt und profitiert Alt von Jung, HubSpot, März 23


Autorin:
Sabine Mack

Erschienen in: DERMAforum, 2023; 27 (4) Seite 8