Wer profitiert von einer subkutanen, wer von einer sublingualen Hyposensibilisierung? Ist es wichtig, auf welche Bienengiftkomponente genau ein Patient reagiert? Wie läuft die neue orale SIT gegen Erdnussallergen ab? Dies waren nur einige der Themen von Dr. Nicola Wagner bei einer Plenarsitzung auf der FOBI.

Leidet ein Patient an Rhinokonjunktivitis allergica (RKA), lokaler allergischer Rhinitis (LAR), allergischem Asthma bronchiale oder einer Insektengiftallergie, so kann er oftmals von einer spezifischen Immuntherapie (SIT, Hyposensibilisierung) profitieren, konstatierte Dr. Nicola Wagner, Universitätsklinikum Erlangen. Voraussetzung für den Start einer SIT sind Symptome, die zu einer IgE-vermittelten Allergie passen, der diagnostische Nachweis einer IgE-vermittelten Reaktion sowie die Verfügbarkeit eines entsprechenden Therapieallergens.

Diagnostik

Basis der Diagnostik ist die ausführliche Eigenanamnese, bei Kindern auch Fremdanamnese. Dazu kommt der Pricktest mit positiver Hautreaktion auf die entsprechenden Einzelallergene. Bei der Bestimmung der spezifischen IgEs gegen Einzelallergene sollte das Gesamt-IgE immer mitbestimmt werden. In manchen Fällen ist ergänzend die komponentenbasierte Diagnostik sinnvoll. Rekombinante Markerallergene sind z. B. bei Birkenpollenallergien Bet v 1, bei Gräserpollenallergien Phl p 1,5 und bei Bienengiftallergien Api m 1/Api m 10.

Therapieprinzip: B-Zellen-Switch von IgE- zu IgG-Produktion

„Die Applikation von geringen Mengen des auslösenden Allergens in steigenden Dosen ist vermutlich nur mit wenig Inflammation verbunden, induziert eine Änderung in Richtung Th1-Antwort und insbesondere regulatorische T-Zellen, die ihrerseits Interleukin-10 sezernieren“, erklärte Wagner, und weiter: „Dies wird als wichtigster Mechanismus angesehen, einen Switch der B-Zellen von der IgE-Produktion hin zur Produktion von blockierenden IgG4-Antikörpern zu induzieren. Diese reduzieren, zusammen mit anderen Faktoren, die klinische Manifestation der allergischen Symptome.“

Subkutane Immuntherapie (SCIT) und sublinguale Immuntherapie (SLIT)

Bei der schon seit mehr als 100 Jahren etablierten SCIT injiziert der Arzt – die Leistung ist nicht delegierbar! – in der Arztpraxis dem Patienten subkutan das Therapieallergen. Die Behandlung sollte über mindestens drei Jahre erfolgen.

Die Zubereitung für die subkutane Gabe enthält neben dem Therapieallergen auch Adjuvanzien zur Verstärkung der Wirkung. Am häufigsten werden laut Wagner Aluminiumsalze verwendet, wie sie auch von Impfungen bekannt sind. Die Aluminiumbelastung bei einer SCIT über drei Jahre sei laut Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts eher gering einzustufen.

Mikrokristallines Tyrosin (MCT) kann als Adjuvans zusätzlich mit Monophosphoryl-Lipid A (MPL) als Wirkverstärker kombiniert werden.

In speziellen Fällen einer lebenslang erforderlichen SCIT gegen Hymenopterengift (Biene, Hummel, Wespe, Hornisse) sollten eher aluminiumfreie Präparationen gewählt werden.

Neben der SCIT steht die SLIT zur Verfügung, die sublinguale Applikationsform. Die Anwendung erfolgt bei der 1. Dosis und bei Unterbrechungen von mehr als 1 Woche unter ärztlicher Aufsicht. Ab der 2. Einnahme – nach ausführlicher Aufklärung – kann der Patient die Therapie in der Regel zu Hause fortführen.

Welcher Patient profitiert von welcher SIT-Methode?

SCIT oder SLIT – wann empfiehlt sich welcher Applikationsweg? Dazu Wagner: „Sowohl SCIT als auch SLIT sind sehr wirksam. Es kommt auf den Patienten an, auf seine Komorbidität, Therapieadhärenz, Compliance usw.“ Während bei der SCIT Lokalreaktionen an der Injektionsstelle auftreten können, wird bei der SLIT oft passager ein orales Allergiesyndrom beobachtet. Mäßige bis schwere Arzneimittelreaktionen können laut Studien bei einem von 2.000 SCIT-Patienten und bei knapp einem von 500 SLIT-Patienten bei 3-jähriger Therapie auftreten.

Für die SLIT sprechen laut Wagner der Wegfall der Spritzen sowie die größere Flexibilität des Patienten durch weniger Arztbesuche. Das ist aber zugleich ein Nachteil: Der Arzt sieht den Patienten seltener, das Monitoring ist weniger engmaschig. „Es gibt ein Adhärenzproblem bei der SLIT: Viele Patienten beenden die Therapie einfach nach etwa 2 Jahren; dann wird der gesamte Therapieerfolg geschmälert“, bedauerte Wagner.

Rechtliche Aspekte

Neben der Pflicht, als Arzt die Injektionen selbst vorzunehmen, sind bei beiden SIT-Methoden noch weitere rechtliche Aspekte zu bedenken. Dazu gehört die Dokumentation der Aufklärung und die schriftliche Einwilligung der Patienten bzw. Erziehungsberechtigten, das regelmäßige Monitoring der Patienten (mit der GOÄ-Ziffer 30100 abrechenbar) sowie die Kenntnis der jeweiligen Fachinformationen: „Die FI sind juristisch bindend; die Leitlinien haben nur eine beratende Rolle“, so Wagner.

Insektengift: Welche Rolle spielt die individuelle Sensibilisierung?

Bei Typ-1-Allergien auf Hymenopterengift ist häufig eine SIT angezeigt: „Ab einer Anaphylaxie Grad II nach Ring und Messmer machen wir eine SIT, sofern es keine Kontraindikationen gibt“, so Wagner. Für die Indikation einer SCIT auf Insektengift nach einer Anaphylaxie Grad I können eine erhöhte Exposition oder besondere Risikofaktoren sprechen – wie etwa bei Waldarbeitern oder Gärtnern.

Ob bestimmte Therapieallergene für manche Bienengiftallergiker besser geeignet sind als andere, wurde aufgrund einer multizentrischen Studie von Frick et al. aus dem Jahre 2016 diskutiert. Sie schloss Daten von 115 Patienten mit Bienengiftallergie ein, die nach ≥ 6 Monaten SIT einer Stichprovokation zugestimmt hatten. 36 der 115 Patienten hatten eine systemische allergische Reaktion gezeigt, sie galten als Non-Responder. Bei der Suche nach prädiktiven Faktoren für das Therapieversagen stießen Frick und Kollegen auf das ­Allergen Api m 10: Eine überwiegende Sensibilisierung gegen Api m 10 war nach ihrer Aussage mit einem signifikant erhöhten Risiko für Therapieversagen assoziiert. Bei Messungen des Api m 10 in einigen Therapieallergenlösungen konnte dieses – abhängig von der Messmethode – teils kaum nachgewiesen werden.

Sturm et al. hinterfragen aufgrund einer retrospektiven Analyse publizierter Stichprovokationen insbesondere die Schlussfolgerung von Frick et al., dass Patienten mit überwiegender Api-m-10-Sensibilisierung Therapieallergene mit höherem Api-m-10-Spiegel benötigen könnten. Sie empfehlen, sich auf Allergene mit publizierten Daten zur Effektivität und Sicherheit zu verlassen, und fordern prospektive multizentrische Studien, um die Rolle der Sensibilisierung gegen einzelne Bienengiftallergene genauer abzuklären.

Orale Immuntherapie gegen Erdnussallergen

Seit 2021 ist erstmals eine ­orale Immuntherapie gegen Erdnuss (Arachis hypogaea) zugelassen. Verfügbar sind Kapseln mit unterschiedlichen Dosierungen von entfettetem Erdnussprotein. Die Indikation umfasst Kinder und Jugendliche von 4 bis 17 Jahren mit IgE-vermittelter Erdnussallergie. Neben den üblichen Kontraindikationen sind Patienten mit eosinophiler Ösophagitis, gastroösophagealer Refluxkrankheit (GERD), schwerer Anaphylaxie in den letzten 60 Tagen oder schwerer Mastzellerkrankung ausgeschlossen.

Unter der oralen IT (OIT) gegen Erdnuss muss eine erdnussfreie Diät durchgeführt werden. Die Einleitung sowie die jeweiligen Dosis-Eskalationen in Stufen erfolgen unter ärztlicher Aufsicht (11 Schritte, frühestens alle 2 Wochen) bis zur Erhaltungsdosis von 300 mg täglich.

Dazwischen nimmt der Patient täglich zu Hause seine aktuelle Dosis ein: Er entleert den Inhalt der Kapsel in eine breiige Mahlzeit (Joghurt o. Ä.), danach muss er die Hände waschen. Der Patient erhält immer nur die für ihn gerade indizierte Dosis im Blister.

Wagner betonte, dass ein Patient unter oraler Therapie gegen Erdnussallergen immer einen Adrenalin-Pen mit sich führen muss und dass Patient und Angehörige in Bezug auf Symptome und Therapiemaßnahmen im Falle einer Anaphylaxie gründlich geschult sein müssen. Zu möglichen Triggerfaktoren einer anaphylaktischen Reaktion, wie Alkohol, Sport, heißes Duschen oder Baden, muss ein ausreichender zeitlicher Abstand zur Einnahme gewährleistet sein, hierzu erfolgt ­eine genaue Aufklärung, betonte sie. Auch die Menstruation könne ein Triggerfaktor sein, ggf. müsse hier die Dosis angepasst werden.


Quelle
FOBI, Plenarsitzung "Häufige Probleme in der Praxis", Vortrag "Hyposensibilisieren - aber wie?", 14. Juli 2022, München/virtuell


Autorin:
Simone Reisdorf

Erschienen in: DERMAforum, 2022; 26 (9) Seite 20