Was kann die Telemedizin im Fachbereich Dermatologie leisten? Können digitale Anwendungen tatsächlich einen Mehrwert in der Versorgung bieten und wie ist die Studienlage in diesem Bereich? Über diese Fragen sprachen wir mit den Dermatologen Dr. Ralph von Kiedrowski (BVDD) und Dr. Max Tischler (Bündnis Junge Ärzte; OnlineDoctor).

Dr. Ralph von Kiedrowski (RvK) ist niedergelassener Dermatologe in Selters und Präsident des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen (BVDD). Seit Jahren setzt er sich für die drängenden Herausforderungen der Dermatologie sowie den Ausbau der Telemedizin ein. Der niedergelassene Dermatol­oge Dr. Max Tischler (MT) aus Dortmund ist Sprecher des Bündnisses Junge Ärzte und Medical Director bei OnlineDoctor. Für ihn ist für den Erfolg eines digitalisierten Gesundheitswesens die Verknüpfung analoger und digitaler Beratung und Behandlung entscheidend.

Ist die persönliche Sprechstunde zeitgemäß oder arbeiten Haut­ärzte bald nur noch am Bildschirm?

RvK: „Digitalisierung gibt uns die Option, dass der ein oder andere Termin nicht innerhalb der ­Praxis stattfinden muss – dann sitzen wir als Ärzteschaft tatsächlich vor dem Bildschirm und der Patient eben auch vor seinem Bildschirm bzw. Handy. Aber natürlich wird es auch in Zukunft weiterhin regelmäßig persönliche Sprechstunden geben. In der Regel und gerade auch in meiner Schwerpunktpraxis, in der es um chronische entzündliche Dermatosen geht, ist es so, dass es mehr braucht als nur eine kurze Inaugenscheinnahme des Patienten. Wir brauchen das Labor und wir brauchen mitunter andere apparative Untersuchungen. Ich glaube auch nicht, dass es eine Zukunftsoption ist, eine bösartige Diagnose oder eine andere schwerwiegende Erkrankung digital zu besprechen. Insofern bin ich der Ansicht, dass es immer auch einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt geben wird. Aber Digitalisierung insgesamt, also auch eine digitale Sprechstunde, ist ja schon Realität und macht in vielen Fällen Sinn. Sie muss nur vernünftig in die Praxisabläufe eingegliedert werden und betriebswirtschaftlich vernünftig kalkuliert sein.“

Wie viel Digitalisierung tut der Dermatologie gut?

RvK: „Wie viel, kann ich gar nicht sagen, aber auf jeden Fall tut ihr Digitalisierung gut, wenn die Rah­men­bedingungen stimmen. Letztendlich ist es ja so, dass es nicht nur den Patienten guttun muss. Die Patienten sparen Zeit und Geld, z. B. wenn die Spritkosten für die zum Teil langen Anfahrtswege entfallen. Aber die Digitalisierung muss genauso den Praxen guttun. Es darf nicht das alleinige Ziel von digitalen Tools sein, dass wir als Ärzteschaft durch ,Arbeitsentlastung‘ mehr Zeit zur Verfügung haben und unsere ärztliche Tätigkeit sich daraufhin dann trotzdem ausweitet. Das ist vor allem nicht im Sinne der nachrückenden Kolleginnen und Kollegen, die mehr Wert auf Work-Life-Balance legen. Mir ist es wichtig, dass ärztliche Arbeit auch im digitalen Umfeld etwas wert ist.“

Was macht gute Digitalisierung in der Dermatologie aus?

MT: „Für mich gibt es in der Digitalisierung erst mal kein Gut oder Schlecht, sondern Digitalisierung muss sinnvoll sein und den beiden beteiligten Gruppen, also Patienten und der Ärzteschaft, Nutzen bringen. Nur wenn bisherige Versorgungswege nicht außer Acht gelassen werden, sondern mitberücksichtigt und entsprechende Prozesse in ein digitales Zeitalter überführt werden, dann verfügen digitale Tools über einen wirklichen Nutzen in der Versorgung.“

Wie wenden Sie in Ihrem Arbeitsalltag digitale Tools an?

MT: „Zum einen benutze ich ­digitale Terminvereinbarung, um jederzeit, unabhängig von den Öffnungszeiten, eine Buchung von Terminen zuzulassen und um mein Praxispersonal zu entlasten. Zum anderen nutze ich die Videosprechstunde – zugegebenermaßen jedoch relativ selten. Deutlich häufiger verwende ich unser asynchrones Teledermatologie-Tool von OnlineDoctor, welches ich für Notfallpatienten einsetze, die mich so auch außerhalb der regulären Termine erreichen können und auch dann einen ärztlichen Rat bekommen, wenn die Sprechstunde in der Online-Terminvereinbarung bereits ausgebucht ist. Des Weiteren setze ich dieses Werkzeug für die Verlaufskontrolle von Patienten ein, z. B. bei chronischen Erkrankungen oder nach einer Operation, wenn ein Hämatom auftritt und der Patient sich unsicher ist, ob es sich hierbei um einen ungünstigen Heilungsverlauf handelt. Immer dann kommt für mich die digitale Sprechstunde zum Einsatz. Nicht nur bei jungen Menschen – auch ältere Patienten konsultieren mich auf diesem Wege.“

Wann eignen sich digitale Tools?

RvK: „In der Leitlinie haben wir bewusst nicht einzelne Krankheitsbilder limitierend definiert, da wir es für entscheidend halten, die Möglichkeiten zu kennen und diese jeweils mit der ärztlichen Sorgfaltspflicht abzugleichen. Eine digitale Anwendung wird im Zweifelsfalle vielleicht aufgrund morphologischer Kriterien eine Abbildung einstufen können, aber sie kann in der Regel nicht alle Eventualitäten erfragen. Grundsätzlich aber sind wir ein Fach, das vieles visuell gut darstellen kann, und die technischen Möglichkeiten haben sich dank immer besser werdender Smartphone-Kameras stark erweitert. Wenn entsprechende Qualitätsvoraussetzungen da sind, dann wird man vieles, was auch in der Praxis als reine Blickdiagnostik funktioniert und wo ich keine Probeentnahme brauche, zunächst auch visuell einschätzen können. Gerade bei Verlaufskontrollen und der Wundbehandlung hat man mit digitaler Bildkontrolle eine gute Grundlage. Dafür besteht bereits Evidenz. Bei der Hautkrebsdiagnose raten wir explizit von digitaler Konsultation ab. Hier gibt es noch zu viele ­Limitationen. Aber auch das wird sich mit der Entwicklung der Technik vielleicht eines Tages ändern.“

Was entgegnet man Skeptikern?

MT: „Dermatologen, die unsicher sind oder dem Nutzen digitaler Tools skeptisch gegenüberstehen, rate ich, es einfach mal zu testen. Ich würde zunächst Produkte wählen, die entweder eine Probezeit bieten oder keine lange Vertragslaufzeit haben, sodass diese Tools ausprobiert werden können. Außerdem halte ich den Austausch mit Kollegen, die solche Services alltäglich einsetzen, für sinnvoll. Und ein Besuch in einer digitalisierten Praxis kann Aufschluss geben, wie sich Prozesse, etwa bei Patientenannahme, -steuerung oder Terminvergabe, verändert haben.“

RvK: „Gesunde Skepsis sollte immer da sein, um nicht leichtfertig Fehler zu begehen. Aber pauschale Ablehnung macht für mich keinen Sinn. Wir müssen den Weg der Digitalisierung als Ärzteschaft selbst mitgestalten – wenn wir das nicht tun, wird sie uns überholen. Wir werden die Digitalisierung nicht verhindern können. Eigentlich sollte das auch keiner von uns wollen, denn die neuen Methoden können sowohl der Ärzteschaft als auch den Patienten nutzen. Letztendlich kommen wir damit dem obersten Ziel einer guten und vielleicht auch immer besser werdenden Patientenversorgung näher.“


Literatur
auf Anfrage beim Verlag

Das Interview führte Sabine Mack


Erschienen in: DERMAforum, 2022; 26 (10) Seite 8