Rund zweieinhalb Jahre sind vergangen, seitdem DiGA als Regelleistung in die Gesetzliche Krankenversicherung eingeführt worden sind. Wo stehen wir aktuell?

Seit September 2020 können Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen neben Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln und häuslicher Krankenpflege auch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) verschreiben. Im Gegensatz zu anderen Gesundheitsapps sind DiGA CE-gekennzeichnet und durchlaufen ein Prüfverfahren für Medizinprodukte des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Erstattet werden die Kosten von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur für Apps, die offiziell im DiGA-Verzeichnis gelistet sind. DiGA sind gemäß MDR-Verordnung der EU Medizinprodukte niedriger Risikoklasse und sollen helfen, Krankheiten zu erkennen, zu überwachen und zu lindern. Ihre Hauptfunktion muss digital basiert sein.

Aktuell gibt es die DiGA in Form von Smartphone-und Browser-Apps. Beim BfArM sind 45 gelistet, 16 davon haben eine dauerhafte Zulassung (Mai 2023). Diese DiGA haben in Studien einen "positiven Versorgungseffekt" gezeigt. Das heißt, sie können entweder einen medizinischen Nutzen belegen: Sie verbessern den Gesundheitszustand, verkürzen die Krankheitsdauer, verlängern das Überleben oder verbessern die Lebensqualität der Patient:innen. Oder sie verbessern die Versorgung auf organisatorischer Ebene, z. B. durch kürzere Wartezeiten, vereinfachten Zugang zu medizinischen Leistungen oder positive Effekte auf die Therapietreue. Das Fast-Track-Verfahren ermöglicht es, dass DiGA auf Probe, i. d. R. für zwölf Monate, zugelassen werden. Können sie in dieser Zeit keinen Nutzen nachweisen, werden die DiGA aus dem Register gestrichen. Gut die Hälfte der Apps im DiGA-Verzeichnis befasst sich mit internistischen Themen, wie Adipositas, Reizdarmsyndrom oder COPD. 23 Apps zielen auf die Psyche.

Kaum Fortschritte im Versorgungsalltag

Gut zwei Jahre nach ihrer Einführung steigt die Bekanntheit der Apps auf Rezept zwar kontinuierlich, etabliert hat sich die digitale Patientenversorgung aber noch nicht. Laut DiGA-Jahresbericht des GKV-Spitzenverbandes wurden im Zeitraum seit ihrer Einführung bis September 2022 etwa 200.000 DiGA ärztlich verordnet oder durch die Kasse genehmigt. 81 % davon, ca. 164.00 DiGA, wurden von den Versicherten eingelöst. Eine repräsentative Befragung aus dem Jahr 2022 zeigt außerdem, dass zwei Drittel der Ärzteschaft bisher noch nie eine DiGA auf Rezept verschrieben haben. Weshalb kommen DiGA nur so schleppend im Versorgungsalltag an?

Zweifel an Evidenz

Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die meisten DiGA noch keinen Nutzennachweis erbracht haben. Dass sie trotzdem in dieRegelversorgung aufgenommen werden können, stößt auf viel Kritik – vor allem von Krankenkassen. Sie bemängeln, wie u. a. im DiGA-Report der Techniker Krankenkasse zu lesen ist, die niedrigen Anforderungen an die Evidenzgüte von Studien zur Erforschung der DiGA und dass keine einheitlichen Bewertungsstandards existieren.

Der AOK Bundesverband fordert daher eine umfassende Reform der DiGA. Dr. Katrin Krämer (Abteilungsleiterin Versorgungsmanagement beim AOK-Bundesverband) spricht sich dafür aus, die Probe-Regelung abzuschaffen. "Auch für digitale Anwendungen sollte – wie für alle anderen Behandlungsmethoden – gelten, dass der Nutzen nachgewiesen sein muss, bevor die Versichertengemeinschaft sie bezahlt", wirdKrämer zitiert.

Ähnlich sieht es auch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB). Sie kritisiert auf Basis eines Experten-Gutachtens die fehlende "wissenschaftliche Tiefe" der DiGA und empfiehlt ihren Mitgliedern eine Verordnung daher ausdrücklich nicht. Die Studien der DiGA-Hersteller zeigten ein beträchtliches Verzerrungspotenzial.

Dass Ärzt:innen ihren Patient:innen keine Apps anbieten möchten, bei denen der medizinische Nutzen fraglich ist, verwundert nicht. Auch Umfragen der Stiftung Gesundheit bestätigen dies. Mangelnde Evidenz gehört für Ärztinnen und Ärzte zu den größten Hemmnissen beim Einsatz von DiGA.

Kritik an Preisfreiheit

Die GKV wünscht sich zudem eine stärkere Regulierung der Preispolitik. DiGA-Hersteller können innerhalb des ersten Jahres nach Aufnahme ins Verzeichnis den Preis für ihre App beliebig festlegen. Laut DiGA-Bericht des GKV-Spitzenverbandes liegen die Herstellerpreise bei durchschnittlich 500 Euro (pro Quartal). Somit zum einen über denen für vergleichbare Apps außerhalb des DiGA-Verzeichnisses. Zum anderen überstiegen diese Preise deutlich das Vergütungsniveau einer konventionellen, z. B. ambulanten, ärztlichen Versorgung. Erst nach zwölf Monaten werden die Verhandlungen zwischen GKV und den Herstellern aufgenommen, um einen endgültigen Vergütungsbetrag auszuhandeln. Der Verband fordert den Gesetzgeber daher auf, dem schnellstmöglich Einhalt zu gebieten: "Die Krankenkassen sollen eine gute Versorgung der Patient:innen sichern und keine Wirtschaftsförderung mit Beitragsgeldern betreiben", soVorstand Stefanie Stoff-Ahnis.

Wie Umfragen der Stiftung Gesundheit zeigen, kritisieren auch Ärzt:innen, dass die Kosten für DiGA nicht im Verhältnis zur Vergütung ihrer Arbeit stehen. Entsprechend findet mehr als die Hälfte der Ärzteschaft DiGA zu teuer.

Daten der AOK legen zudem offen, dass fast jeder Vierte die Nutzung einer DiGA vorzeitig abbricht. Auch wenn die Apps nur wenige Tage genutzt werden, muss die GKV den vollen Preis dafür bezahlen. "Sinnvoll wäre daher die verpflichtende Einführung von Test-Zeiträumen, in denen die Anwendung vor der eigentlichen Verordnung ausprobiert werden kann", sagt Dr. Carola Reimann vom AOK-Bundesverband.

Andererseits darf auch nicht vergessen werden, dass die Entwicklung und der Betrieb einer DiGA mit enormen Kosten und Arbeitsaufwand verbunden ist. DiGA-Hersteller wehren sich daher gegen die Kritik an ihrer Preispolitik. Es gebe durchaus Unterschiede zwischen den beim BfArM gelisteten und nicht gelisteten Apps aus den Bereichen Lifestyle, Fitness oder Medizin, die Laien von außen nicht unbedingt wahrnehmen. Die Zulassungsprozesse, Studien, Qualitätssicherungskosten etc. wirken sich auf die Kosten der Anwendungen aus.

Es gibt noch einiges zu tun

Bevor Ärzt:innen DiGA zielführend verordnen können, müssen sie selbst über die Apps aufgeklärt werden. Dafür müssen Praxisteams geschult werden, denn sie sind erste Anlaufstelle bei Fragen – nicht die App-Hersteller. Es benötige mehr Testzugänge für Ärzt:innen und deren Teams, sagte Prof. Martin Möckel bei der DGIM-Jahrespressekonferenz. Grundsätzlich sei noch unklar, wie DiGA in ein komplexes Therapieschema integriert werden können und welche Rolle Ärzt:innen dabei spielen, so Möckel. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, erarbeitet die "Kommission Digitale Transformation" der DGIM derzeit Leitlinien für die praktische Anwendung der DiGA.

Datenschutz gehört ebenso zu einem der großen Fragezeichen beim Thema DiGA. Einerseits besteht zwar Sorge um die Sicherheit von Patientendaten. Andererseits wünschen sich Ärzt:innen aber auch mehr Einsicht in diese, um zu verstehen, wie ihre Patient:innen die Apps nutzen. Um die dringend nötigen Versorgungsforschungsstudien durchzuführen, braucht man das bislang ungenutzte Potenzial dieser Daten.

Patient:innen nicht vergessen!

DiGA wurden im Rahmen des Digitale-Verordnung-Gesetzes (DVG) eingeführt. Sie sind Teil der Strategie, Digitalisierung im Gesundheitswesen zu fördern und technologische Innovation voranzutreiben. Idealerweise sollen DiGA die Patientenversorgung verbessern und gleichzeitig die Arbeit von Ärzt:innen und ihren Teams erleichtern. Sie können z. B. die medizinische Versorgung für Patient:innen auch in ländlichen oder abgelegenen Regionen verbessern, wo der Zugang zu medizinischer Versorgung oft eingeschränkt ist. Derzeit hat man allerdings eher den Eindruck, als erfüllten sie einen reinen Selbstzweck.

Zwar bewerten Patient:innen DiGA insgesamt positiv, gleichzeitig halten viele die Apps aber auch für verzichtbar. Das zeigt eine Umfrage der AOK. Rund ein Drittel der Befragten wurde nicht von ihren Ärzt:innen über die Funktionen der jeweiligen Apps informiert und nur ein Drittel besprach die Ergebnisse im Nachgang mit dem Arzt/der Ärztin.

Fakt ist, dass DiGA derzeit keinen Mehrwert schaffen, den es nicht auch ohne eine App geben würde. In Zukunft könnten die Apps aber mittels künstlicher Intelligenz mit anderen Geräten und Hilfsmitteln anderer Sensorik interagieren und dadurch wirklich einzigartige Funktionen bieten.

Bei aller Kritik – DiGA bieten auch enorme Chancen. Sie sind niedrigschwellig und barrierearm. Ihre Nutzung ist nicht an Termine und Orte gebunden. Damit sie aber besser im Versorgungsalltag ankommen können, gilt es jedoch, die Bedürfnisse der Patient:innen, aber auch der Praxisteams stärker in den Fokus zu nehmen.


Literatur:
Bericht des GKV-Spitzenverbandes über die Inanspruchnahme und Entwicklung der Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA-Bericht): https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/telematik/digitales/2022_DiGA_Bericht_BMG.pdf
Erste Bilanz zu Digitalen Gesundheitsanwendungen zeigt: Gesetzliches Update notwendig: https://www.gkv-spitzenverband.de/gkv_spitzenverband/presse/pressemitteilungen_und_statements/pressemitteilung_1390336.jsp
Digitale Gesundheitsanwendungen. Wissenschaftliche Nutzen-Nachweise müssen nach höchsten Standards erfolgen: https://www.dgim.de/fileadmin/user_upload/PDF/Pressemeldungen/20221130_DGIM_PM_DiGA-Versorgungseffekte_F.pdf
Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM), Online 31.01.2023
Apps auf Rezept müssen besser in die Versorgung integriert werden: https://www.aok-bv.de/presse/medienservice/politik/index_26170.html
Apps auf Rezept: Insgesamt positiv bewertet, aber für viele Nutzende verzichtbar: https://aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2023/index_26192.html
Statement (KB). Chancen und Risiken von DiGA – Forderungen der KVB: https://www.kvb.de/presse/statements/diga-chancen-und-risiken/
KVB: Gutachten kritisiert fehlende Evidenz bei Gesundheits-Apps: https://www.kvb.de/presse/presseinformationen/presseinformationen-2022/19122022/
Wie entstehen die Preise für Digitale Gesundheitsanwendungen?: https://www.fachanwalt.de/ratgeber/wie-entstehen-die-preise-fuer-digitale-gesundheitsanwendungen
DiGA-Kosten – wie entstehen die Preise von digitalen Gesundheitsanwendungen? (Pressemitteilung). https://hellobetter.de/aerzte-psychotherapeuten/diga-kosten/


Autorin
Verena Schweitzer



Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (5) Seite 17-19