Eine nachhaltige Lebensgestaltung ist für viele Ärzt:innen ein erstrebenswertes Ziel, das sich auch auf die Praxisführung übertragen lässt. Doch wo fängt man an, wo hört man auf? Dr. Christian Schulze, Mitglied unseres hausärztlichen Beirats und Allgemeinarzt in einer Gemeinschaftspraxis im rheinland-pfälzischen Winterburg, ist diesen Weg bereits erfolgreich gegangen und hat seine Praxis Schritt für Schritt nachhaltig aufgestellt – auf allen Ebenen. Durch welche Maßnahmen ihm das gelungen ist und welche Erfolge er durch nachhaltige Patientenversorgung erzielen konnte, beschreibt er in diesem Erfahrungsbericht.

Nachhaltigkeit: längere Zeit anhaltende Wirkung — hierbei handelt es sich um ein Handlungsprinzip zur Ressourcennutzung, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme gewährleistet werden soll. Den Ursprung hat der Begriff 1560 in der Forstwirtschaft, wo trotz hohen Holzverbrauchs für den Bergbau die Wälder so bewirtschaftet werden sollten, dass auch zukünftige Generationen Holz ernten können sollten. Mittlerweile ist der Begriff der Nachhaltigkeit von der Forstwirtschaft auf alle Lebens- und Arbeitsbereiche ausgedehnt worden. Man strebt überall an, das Ökosystem zum Wohl zukünftiger Generationen lebenswert zu erhalten. Neben ökologischen Faktoren wie Reduktion des CO2-Ausstoßes, der Energieeinsparung und dem Erhalt natürlicher Ressourcen durch Verminderung von Ressourcenverbrauch ist auch in der Medizin nachhaltiges Handeln möglich, um die Patient:innen langfristig gesund zu erhalten und ihre Selbstheilung durch gesundheitsbewusste Lebensführung und Förderung der Eigeninitiative zu stärken.

Reduzierung des Ressourcenverbrauchs in der Praxis

So haben wir in unserer Praxis den CO2-Ausstoß im Gebäude gegenüber 1990 um 96 % reduzieren können. Der Stromverbrauch ist um 60 % gesunken trotz mehr EDV bei Verwendung von effizienten Geräten und einer LED-Beleuchtung seit 2010. Die neue Verkabelung der Praxis lässt es seit 2016 zu, dass alle Geräte mit einem Knopfdruck vom Strom genommen werden und nicht mehr im Standby-Modus verweilen, wenn die Praxis geschlossen ist.

Die Heizung wird seit 2006 zu 50 % von Solarthermie unterstützt und ansonsten durch die Verbrennung regenerativer Pellets dargestellt. Aufgrund der Wärmedämmung unserer Gebäude und des Einbaus neuer Fenster ist der Heizaufwand zu 1990 um 80 % gesunken. Der Wasserverbrauch ist ebenso um 80 % gesunken durch effiziente Geräte.

Der Müll wird dem Volumen nach zu 90 % recycelt und die papierfreie Praxis schont die Umwelt sehr nachhaltig, da die 30.000 Berichte pro Jahr sämtlich elektronisch gespeichert werden, wenn sie als Fax, Mail oder Brief zu uns gelangen. Sollte dennoch etwas ausgedruckt werden müssen, so erfolgt das auf zertifiziert umweltfreundlichem Papier im doppelseitigen Druck.

Nachhaltige Patientenversorgung

Neben der nachhaltigen Betriebsführung der Praxis ist uns die Nachhaltigkeit auch im Bereich der Patientenversorgung sehr wichtig. Unser Terminsystem haben wir durch die Corona-Pandemie nochmals weiterentwickelt, sodass nun weiter kurze Wartezeiten von maximal 20 Minuten für Terminpatienten angestrebt werden und es dennoch auch bei stärkerem Patientenaufkommen nicht zu den Patientenanhäufungen kommen soll wie zu Zeiten vor der Pandemie. So versuchen wir immer die Balance zu finden zwischen schneller Terminvergabe für Notfälle und ausreichend langen einzuplanenden Terminen für nicht akute Themen, die besprochen werden müssen – in Ruhe und ohne den Stress durch ein fehlendes Zeitfenster. Für nicht dringliche Termine müssen daher 2 bis 3 Wochen Vorlauf eingeplant werden. Aufgrund unserer Öffnungszeiten von 6 Tagen in der Woche und ca. 300 Tagen im Jahr sind wir fast immer für unsere Patient:innen da und sie können sich bei uns gut aufgehoben fühlen mit umfassender Erreichbarkeit. Dies wird seit 2020 durch die Möglichkeit der Videosprechstunde ergänzt.

Technische Methoden bewusst sparsam einsetzen

Bei der Behandlung empfinden wir es als nachhaltig, wenn wir ausreichend Zeit haben und insbesondere im ersten Kontakt möglichst alle Informationen von den Patient:innen über unseren Anamnesebogen vorliegen — neben relevanten, die Gesundheit betreffenden Berichten, auch solche aus der näheren Vergangenheit. Nur so kann in unseren Augen nachhaltige und ganzheitliche Medizin erfolgen und das Ziel erreicht werden, Patient:innen bestmöglich zu versorgen. 80 % des Wissens erfahren wir durch das Gespräch. An das eingehende Gespräch und die Informationserhebung (Anamnese) schließt sich die körperliche Untersuchung an. Diese liefert weitere 15 % der benötigten Informationen, sodass eine Diagnose danach zu 95 % feststeht. Nur gerademal 5 % liefern technische Untersuchungen wie Labor oder Röntgen und MRT zur Diagnostik dazu. Diese Methoden werden leider häufig maßlos überschätzt. Auch versuchen wir bzgl. bildgebender Verfahren auf unnötige Strahlenbelastung durch Röntgen und CT oder Schwermetallbelastung durch Kontrastmittel beim MRT zu verzichten und diese auch belastenden Methoden nur nach eingehender klinischer Untersuchung und konkreten aufgetretenen Fragestellungen zu veranlassen. Wir bewegen uns hier ja nur in den verbliebenen 5 % der Diagnostik.

Arzneimitteleinsatz kritisch hinterfragen

In der Therapie gehen wir die gleichen Wege wie in der Diagnostik und prüfen jede Indikation für eine Tablettentherapie anhand der Leitlinien und des aktuellen Wissensstands, um bestmöglich zu behandeln. Dies ist anstrengend und es ist auch manchmal sinnvoll, von der Leitlinie abzuweichen, aber das machen wir im gegenseitigen Gespräch mit unseren Patient:innen. Hier wählen wir immer zunächst die Optimierung von Verhaltensweisen, um Krankheiten positiv zu beeinflussen, bevor wir chemische Präparate empfehlen, denn jeder weiß, dass es hier neben Wirkungen nicht selten auch Nebenwirkungen zu berichten gibt.

So kommen wir bei kritischer Bewertung z.B. im Bereich der Protonenpumpenblocker mit 70 % weniger Pantoprazol und Omeprazol bei unseren Patient:innen aus als der Durchschnitt der Hausärzt:innen in Rheinland-Pfalz. Auch im Bereich der Antibiotika ist es unser Bestreben, auch wirklich nur dann diese Medikamente einzusetzen, wenn es eine klare Indikation gibt. Dies ist z.B. beim viralen Infekt der oberen Atemwege nicht gegeben. Hier helfen viel trinken, schonen statt arbeiten, aufrecht sitzen, tief durchatmen und ggf. naturheilkundliche Mittel deutlich besser und es tritt seltener eine Nebenwirkung wie z.B. Scheidenpilz im Verlauf der Therapie auf.

Um unsere Patient:innen über den Kontakt in der Praxis hinaus nachhaltig zu behandeln, haben wir vor 6 Jahren eigens unseren YouTube-Kanal ins Leben gerufen, auf dem unsere Patient:innen relevante wichtige Informationen als Ergänzung zur Behandlung in der Praxis finden und sich immer wieder Anregungen holen und Wissen auffrischen können.

Effektiv gesund werden durch Wissen und Aufklärung

Eines hat uns das Jahr 2020 und die Krise mit Corona gezeigt: Entscheidend ist im heutigen Zeitalter das Wissen. Besitzt man es, ist man erfolgreicher, besser und kann sich auch sicherer fühlen bei den täglichen Herausforderungen im Alltag und der Therapie. Daher ist die Sterblichkeit der diagnostizierten Fälle in Deutschland vielleicht auch nur 5 % statt 11 % im weltweiten Mittel. So einfach kann man es zwar nicht sagen, aber es ist zumindest mal so, dass diese Zahlen erhoben wurden.

Für die Gesundheit, das körperliche und psychische Wohlbefinden unserer Patient:innen arbeiten wir täglich engagiert und mit dem gesamten Team. Als Ergebnis dieser Förderung unserer Patient:innen auf nachhaltige Art und Weise sind Krankmeldungen bei uns laut einer Vergleichsanalyse der Firma CEGEDIM 50 % seltener gewesen mit 50 % kürzerer Dauer als in der gewählten Vergleichsgruppe.

Das heißt für uns: Nachhaltige Medizin soll unsere Patient:innen schnell und effektiv gesund werden lassen und ihr Leid verkürzen. Sie sollen nach der Behandlung wissen, wie sie ihre Gesundheit lange und effektiv erhalten können. Dementsprechend sind empfohlene Kontrolltermine und die Wiedervorstellung bei erneut auftretenden Beschwerden das A und O einer guten Behandlung im gegenseitigen Einvernehmen und für einen gemeinsamen Therapieerfolg. Das gilt in unserer Praxis für jeden: den multimorbiden alten Patienten, der seine Lebensqualität erhalten will, genauso wie für den Hochleistungssportler, der seinen Weltmeistertitel verteidigen möchte. Der Anspruch der Nachhaltigkeit in der Behandlung ist immer der gleiche.

INFOKASTEN: Dr. Schulzes Weg zur nachhaltigen Praxis
Maßnahmen im Detail:
  • 2000: Beginn der Umweltverbrauchsdokumentation der Praxis quartals-/jahresweise
  • 2002: Bezug von Ökostrom statt normalem Strom
  • 2003: Einsatz effizienterer und zeitgeschalteter Umwälzpumpen
  • 2004: Solarthermieanlage
  • 2005: Umstellung auf Flachbildschirme und im weiteren Verlauf über die nächsten Jahre Austausch bei Defekt auf sparsame LED-Technologie, Austausch älterer Hausgeräte auf neue effiziente Geräte bei Notwendigkeit.
  • 2006: Neues Flachdach mit 25 cm Deckenisolierung
  • 2009: Fassadenreparatur mit 14 cm Dämmung
  • 2010: Pelletheizung Wohnbereich/LED-Beleuchtung
  • 2016: Erneuerung Strom und Netzwerkkabel, zentrale Abschaltung möglich für alle Standby-Geräte; Photovoltaikanlage 3,86 kWh Peak
  • 2020: Ölbrennwertheizung Ersatz bei Defekt

Ergebnisse:
  • Ausstoß von CO2 aus fossilen Quellen im Haus von 1990 bis 2022 um 96 % reduziert.
  • Zahl der behandelten Patient:innen wurde seit 2005 verdoppelt. Öffnungszeiten, Zahl der Sprechzimmer und Ärzt:innen als ÄiW und Sprechzeiten entsprechend erweitert.
  • Seit 2016 werden zwei Drittel des verbrauchten Stroms durch Photovoltaik selbst erzeugt bzw. in eigener Batterie (12 kWh) gespeichert.
  • Bei 92.000 Euro Investitionen wurden 188.640 Euro eingespart. Somit Rendite bis heute: 205 %

Ausblick 2023: Erweiterung der Photovoltaik und des Speichers zur autonomen Stromversorgung wegen Blackout-Risiko und Anschaffung Hybrid bzw. E-Auto, um die Mobilität emissionsfrei darzustellen. MFAs fahren selbst auch mit dem E-Bike zur Arbeit, sodass auch diese Emissionen reduziert werden.



Autor

© privat
Dr. med. Christian Schulze

Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin
55595 Winterburg
www.ihrsportarzt.de

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (6) Seite 51-53