Früher war alles besser, sagt man immer. Zieht man als Gradmesser die Zahl der Ärzt:innen heran, scheint das zumindest rein zahlenmäßig nicht zu stimmen. 1996 hatten "nur" rund 280.000 Ärzt:innen rund 81,5 Millionen Bundesbürger zu versorgen (294 Bürger pro Ärzt:in). 2022 standen bereits über 421.000 Mediziner:innen zur Verfügung. Bei einer Bevölkerungszahl von 84,3 Millionen muss heute eine Ärzt:in nur noch 200 Patient:innen versorgen.

Mehr Ärzt:innen reichen nicht

Das sollte doch locker reichen, sollte man meinen. Reicht aber nicht! Der medizinische Fortschritt hat uns im Vergleich zu 1996 derart viele Potenziale eröffnet, die nun auch bis in die weiteste Subspezialisierung hinein bedient werden müssen. Natürlich schlägt auch eine alternde Bevölkerung mit immer höherer Krankheitslast und steigendem Behandlungsbedarf mächtig zu Buche. Und schließlich hat sich die Einstellung zum Beruf hin zu mehr Anstellungen und Teilzeitarbeit fast schon revolutionär verändert. Die bloße Ärztestatistik ist also reine Makulatur. Die meisten Mediziner:innen sind heute vollständig ausgelastet und zudem darüber frustriert, dass der – für viele kürzere – Tag längst nicht mehr ausreicht. Da werden schnell Forderungen laut, was zu tun ist, um dieser Misere entgegenzuwirken. Und zwar schnell.

Verwundert reibt man sich dabei die Augen, wenn dann immer an erster Stelle – so auch Minister Karl Lauterbach – die Erhöhung der Zahl der Studienplätze um 5.000 auf 16.000 genannt wird. Denn es wird 10 Jahre dauern, bis davon erste Effekte spürbar sein werden. Auch die sektorübergreifende Versorgung wird immer als schnelle Wunderwaffe ins Spiel gebracht. Im Grundsatz ist das richtig, wird aber angesichts der verkrusteten Strukturen im Gesundheitswesen ebenfalls lange dauern, bis hier erste entlastende Effekte eintreten werden.

Ärzt:innen als Lots:innen für andere Gesundheitsberufe

Was dagegen kurzfristiger helfen würde, wäre eine höhere Bereitschaft der Ärzt:innen, weit mehr Leistungen als bisher zu delegieren und zu substituieren. Dies würde zugleich die Berufsfelder wie den Physician Assistant, die Community Health Nurse, akademisierte Pflegekräfte oder Physiotherapeuten aufwerten, die unter anderen Bedingungen allesamt Ärzt:innen enorm entlasten könnten. Die VERAH in der HzV ist hierfür das beste Beispiel. Die Furcht des Hausärzteverbandes, der insbesondere bei der Substitution als der große Bremser auftritt, weil er noch mehr Schnittstellen im System befürchtet, ist unbegründet. Jedenfalls dann, wenn Hausärzt:innen als echten Lots:innen etwa in einem ambulanten Gesundheitszentrum die Zeit eingeräumt wird, um alle Schnittstellen zusammenfügen zu können, und sie diese aufwendige Arbeit dann auch endlich entsprechend honoriert bekommen. Dann wird es weniger unnötige Untersuchungen, Behandlungen und Operationen geben, die den Ärzt:innen den Freiraum verschaffen, den sie derzeit nicht haben,


... meint Ihr

Raimund Schmid


Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (7) Seite 25