Zwar fehlt es bislang an einer heilenden Therapie, dennoch bestehen im hausärztlichen Setting diverse Möglichkeiten, dem Fortschreiten beginnender Demenzerkrankungen entgegenzuwirken. Diese können helfen, Demenzerkrankungen zu verlangsamen und Lebensqualität zu bewahren. Eine Studie hat sich mit den Erfahrungen und Vorgehensweisen von Hausärzt:innen befasst.

Jenseits einer möglichst frühzeitigen Diagnose bestehen im beginnenden Stadium einer Demenz die günstigsten Chancen, auf das Fortschreiten der Erkrankung einzuwirken [1–4]. Damit dies gelingen kann, ist es auch wichtig, die Lebensqualität von Patient:innen und Angehörigen sicherzustellen [4–7].

Frühzeitig beraten und helfen

Interdisziplinäre Leitlinien und Versorgungskonzepte heben die besondere Rolle von Hausärzt:innen beim konsequenten Krankheitsmanagement hervor und zeigen – unter fachärztlicher Einbindung – Optionen auf, dem Fortschreiten eines Mild Cognitive Impairment entgegenzuwirken [1–3, 8–13]. Insbesondere wird die Bedeutung eines von der Hausärzt:in ausgehenden multimodalen, zielorientierten und dem Krankheitsverlauf anzupassenden Behandlungs- und Pflegeplans betont, in dem nichtmedikamentöse und medikamentöse Therapieformen miteinander kombiniert werden können [9, 14, 15]. Als medikamentöse Begleitmaßnahmen sind v. a. Antidementiva, Schlaf- und Beruhigungsmittel zu nennen [16]. Aufseiten nichtmedikamentöser Ansätze kann von Verfahren der Bewegungsaktivierung, Physiotherapie oder kognitivem Training Gebrauch gemacht werden, um den Erhalt von Alltagsfertigkeit zu unterstützen [9]. Darüber hinaus können Hausärzt:innen dazu beitragen, dass Patient:innen und Angehörige frühzeitig an Beratungs- und Hilfsangebote herangeführt werden [5, 6]. Auf diese Weise lassen sich gute Voraussetzungen für einen gelingenden Alltag von Demenzbetroffenen in ihrem gewohnten Umfeld schaffen, andererseits kann auch einem ‚Ausbrennen‘ pflegender Angehöriger vorgebeugt werden [2, 7].

Trotz der teils engmaschigen Einrichtung von Demenz-Netzwerken und Pflegestützpunkten sowie ersten Modellprojekten [17] fehlt es im Bereich der Demenzversorgung bislang an einer breit etablierten multiprofessionellen und sektorenübergreifenden Versorgung, die ärztliche, pflegerische und weitergehende Betreuungsangebote besser verzahnt und eine möglichst klare Aufgabenteilung beinhaltet, um eine bedarfsgerechte, personenzentrierte und leitlinienorientierte Versorgung von Patient:innen mit Demenz bieten zu können [2, 11, 18]. Das Fehlen von adäquaten und wirksamen Strukturen zur ambulanten Krisenintervention führt i. d. R. bei Krisensituationen rasch zu Krankenhauseinweisungen, die Komplikationen mit sich bringen können [19].

Für den deutschsprachigen Raum sind bislang nur wenige Studien vorgelegt worden, die beleuchten, welche therapeutischen Maßnahmen Hausärzt:innen bevorzugt ergreifen, um auf Demenzerkrankungen eines beginnenden bis mittleren Stadiums einzuwirken, und wie ihre Erfahrungen beim Management ausfallen [20, 21]. Eine kürzliche Untersuchung der Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Mainz hat diesen Zusammenhang in den Blick genommen. Interviewt wurden 42 Hausärzt:innen in Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen.

Hausärzt:innen sind sich des Problems bewusst

Viele Ärzt:innen schätzen die Bedeutung einer Demenzprävention als hoch ein und gehen davon aus, durch eigene Interventionen einen wirksamen Beitrag leisten zu können, auch wenn objektive Überprüfungen eines Interventionserfolgs nicht immer möglich sind. Das Gros betont, dass ein Beibehalten der Patient:in im häuslichen Umfeld das Ziel sein und die Einweisung ins Krankenhaus oder Pflegeheim möglichst verhindert werden müsse.

Unter Befragten, die sich an der Therapie von Demenzbetroffenen beteiligen, fallen zwei Gruppen auf. Die erste, kleinere Gruppe betrachtet Maßnahmen der Demenzprävention verstärkt unter medikamentösen Gesichtspunkten. Eine Mehrheit geht darüber hinaus, indem die entsprechenden Ärzt:innen die medikamentöse Begleitung mit anderen Maßnahmen kombinieren oder auch die Medikation gegenüber anderen Therapieformen zurückstellen.

Welche Interventionen werden bevorzugt?

Viele Ärzt:innen sind der Überzeugung, dass Faktoren wie intrinsische Motivation und Kreativität, gezieltes Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitstraining, aber auch Entspannungstechniken und Bewegungsförderung Einflussfaktoren darstellen, um das Fortschreiten einer Demenzerkrankung auszubremsen. Diese integrativ agierenden Ärzt:innen gehen davon aus, dass man Demenz vorzugsweise im dynamischen Zusammenhang wirksam aufhalten kann, also unter Einbeziehung von physischen, kognitiven und psychosozialen Verfahren. Vor diesem Hintergrund sehen sich besagte Ärzt:innen als Schnittstelle zu Hilfs- und Unterstützungsakteuren; teilweise wird auch in kommunalen Netzwerkstrukturen agiert. Es bestehen oft intensive Kooperationen mit Pflegestützpunkten, Pflegediensten, (Physio-)Therapeut:innen, Gesundheitszentren und Selbsthilfegruppen.

Herausforderungen bleiben

Mit Blick auf wahrgenommene Herausforderungen bei der Demenzprävention spricht ein Teil der Hausärzt:innen die Problematik an, keinen ausreichenden Überblick zu besitzen, welche Gesundheits- und Versorgungsakteure Demenzbetroffenen und Angehörigen beratend weiterhelfen können. Zudem werden die Punkte Medikation und interdisziplinäre Zusammenarbeit des Öfteren angeführt. Ein Teil der Ärzt:innen hinterfragt den Nutzen etablierter Demenzmedikamente aufgrund eigener Erfahrungswerte. Einige Befragte berichten von Nebenwirkungen wie Persönlichkeitsveränderungen aufgrund der Einnahme von Neuroleptika, sodass man beim Verordnen medikamentöser Maßnahmen vorsichtig geworden sei.

Jenseits der mangelnden Verfügbarkeit psychiatrischer oder neurologischer Fachärzt:innen wird eine fachärztliche Tendenz beschrieben, hausärztliche Handlungsspielräume einzuschränken, indem ohne Abstimmung eigenmächtige und oft nicht nachvollziehbare Verordnungen erfolgten.

Was besser sein könnte

Die befragten Ärzt:innen kritisieren das Fehlen strukturierter, sektorenübergreifender Behandlungsprogramme in der hausärztlichen Versorgung.

"Warum gibt es kein Disease-Management-Programm Demenz? Was wir brauchen, sind Programme, die das Interdisziplinäre und den Multimethodenansatz stärken." (Hausärztin)

Zudem regen mehrere Befragte die Entwicklung eines evidenzbasierten, hausarztkonformen Diagnose- und Therapiealgorithmus für den Umgang mit Demenzpatient:innen an. Dadurch könnten Symptome zielgerichtet abgeklärt und ein besseres Verständnis für ein systematisches therapeutisches Vorgehen erreicht werden. Auch könne ein etablierter Algorithmus wirksam dazu beitragen, dass Haus- und Fachärzt:innen stärker gemeinschaftlich agieren.

Die Interviews konnten belegen, dass ein großer Teil der Hausärzt:innen die Bedeutung einer Demenzprävention als hoch einschätzt und davon ausgeht, durch eigene Interventionen einen wirksamen Beitrag leisten zu können. Zudem räumen viele Allgemeinärzt:innen (integrativen) therapeutischen Maßnahmen jenseits von medikamentösen Behandlungsansätzen einen beachtlichen Stellenwert ein. In diesem Zusammenhang haben die Interviews ein breites Spektrum an Therapiestrategien offengelegt. Hausärzt:innen nutzen ihre Lotsenfunktion, um Patient:innen und Angehörige bedarfsorientiert an Beratungs- und Hilfsakteure heranzuführen [6, 20-22].

Dennoch gibt es weiteres Verbesserungspotenzial. Hausärzt:innen sollten bestärkt werden, die Priorisierung der primären Behandlungsstrategie bei der Demenzversorgung zu übernehmen. Wichtig erscheint, dass auch die Potenziale nichtmedikamentöser Interventionen wahrgenommen werden [2, 4, 5, 7, 23]. Hirsch [9] spricht sich für einen multimodalen Therapieansatz aus ergo- und körperorientierter Therapie sowie aktivierenden Pflegemaßnahmen und ggf. psychotherapeutischen Interventionen aus. Demgegenüber sprechen sich Autoren wie Romero [24] und Reuster et al. [25] für eine gezielte und frühzeitige Parallelanwendung nichtmedikamentöser und medikamentöser Verfahren aus.

Die Zusammenarbeit zwischen Hausärzt:innen und Hilfsnetzwerken sollte gestärkt werden. Zudem sollte die Entwicklung integrierter Versorgungskonzepte und strukturierter Behandlungsprogramme zur systematischen Therapie von Demenzerkrankten vorangetrieben werden [2]. Jenseits der individuellen hausärztlichen Arbeit besteht nach wie vor ein Mangel an Behandlungs- und Interaktionsstrukturen, die eine multiprofessionelle, sektorenübergreifende Versorgung ermöglichen, um eine bedarfsgerechte und leitlinienorientierte Versorgung von Patient:innen mit Demenz bieten zu können [26, 18, 19].


Literatur:
1. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). S3-Leitlinie "Demenzen". https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-013l_S3-Demenzen-2016-07.pdf
2. Radisch J, Baumgardt J, Touil E, Moock J, Kawohl W (2015) Demenz – Behandlungspfade für die ambulante integrierte Versorgung. Stuttgart: Kohlhammer
3. Schencking M, Keyser M (2007) Demenz - Was kann der Hausarzt tun? - Soll-Ist-Vergleich in der Versorgung demenzkranker Patienten. Notfall & Hausarztmedizin; 33(12):576-578
4. Thyrian JR, Fiss T, Dreier A et al (2012) Life- and person-centred help in Mecklenburg-Western Pomerania, Germany (DelpHi): study protocol for a randomised controlled trial. Trials; 13(1):56
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6. Laux N, Melchinger H, Scheurich A et al (2010) Verbesserte ambulante Demenzversorgung. Das hausarztbasierte rheinland-pfälzische Modellprojekt ‚start-modem‘. Dtsch med Wochenschr; 135(44):2175-2180
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8. Connell CM, Boise L, Stuckey JC et al (2004) Attitudes toward the diagnosis and disclosure of dementia among family caregivers and primary care physicians. Gerontologist; 44(4):500-507
9. Hirsch RD (2008) Im Spannungsfeld zwischen Medizin, Pflege und Politik: Menschen mit Demenz. Z Gerontol Geriat; 41(2):106–116
10. Linden M, Horgas AL, Gilberg R et al (1997) Predicting health care utilization in the very old: The role of physical health, mental health, attitudinal and social factors. J Aging Health; 9(1):3-27
11. Mansfield E, Noble N, Sanson-Fisher R, Mazza D, Bryant J (2019) Primary Care Physicians’ Perceived Barriers to Optimal Dementia Care: A Systematic Review. The Gerontologist; 59(6):697-708
12. Pimlott NJ, Persaud M, Drummond N et al (2009) Family physicians and dementia in Canada: Part 1. Clinical practice guidelines: awareness, attitudes, and opinions. Can Fam Physician 55(5):506–507.e5
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16. Yaffe MJ, Orzeck P, Barylak L (2008) Family physicians’ perspectives on care of dementia patients and family caregivers. Can Fam Physician; 54(7):1008-1015
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18. Mißlbeck A (2009) Plädoyer für gemeinsame Behandlungspfade. https://www.aerztezeitung.de/Politik/Demenz-Plaedoyer-fuer-gemeinsame-Behandlungspfade-372175.html
19. Wolf D, Rhein C, Geschke K, Fellgiebel A (2019) Preventable hospitalizations among older patients with cognitive impairments and dementia. Int Psychogeriatr; 31(3):383-391
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21. Wangler J, Fellgiebel A, Mattlinger C et al (2018) Diagnostik und Versorgung der Demenz – eine Herausforderung für die Hausarztmedizin. Z Allg Med; 94(1):12-16
22. Wangler J, Fellgiebel A, Jansky M (2018) Hausärztliche Demenzdiagnostik - Einstellungen, Vorgehensweisen und Herausforderungen von Hausärzten in Rheinland-Pfalz. Dtsch Med Wochenschr; 143(19):165-171
23. Kurz A, Pohl C, Ramsenthaler M, Sorg C (2009) Cognitive rehabilitation in patients with mild cognitive impairment. Int J Geriatr Psychiatry 24(2):163-168
24. Romero B (2004) Selbsterhaltungstherapie: Konzepte, klinische Praxis und bisherige Ergebnisse. Zeitschrift für Gerontopsychologie und -psychiatrie; 17(2):119-134
25. Reuster T, Jurjanz L, Schützwohl M et al (2008) Effektivität einer optimierten Ergotherapie bei Demenz im hausärztlichen Setting. Zeitschrift für Gerontopsychologie und -psychiatrie; 21(3):185-189
26. Low L-F, McGrath M, Swaffer K, Brodaty H (2019) Communicating a diagnosis of dementia: A systematic mixed studies review of attitudes and practices of health practitioners. Dementia; 18(7-8):2856-2905

Autoren

Dr. Julian Wangler

Prof. Dr. Michael Jansky
Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie
UNIVERSITÄTSMEDIZIN Mainz
55131 Mainz
Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (6) Seite 27-29