Die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland voranzutreiben, ist seit einigen Jahren ein Schwerpunkt der Gesundheitspolitik.

Dass es dabei oft nicht so richtig vorangeht, ist allgemein bekannt. Immer wieder gibt es Stolpersteine, weil die Technik nicht richtig funktioniert oder der Aufwand die Praxisabläufe ausbremst. Der Verdruss in der Ärzteschaft ist unüberhörbar. Der Deutsche Hausärzteverband (DHÄV) hat ein Konzept vorgelegt, wie er sich die ideale digitale hausärztliche Versorgung vorstellt.

Die Prämisse, mit der der DHÄV an das Thema Digitalisierung herangeht, lautet: Die vollständige Digitalisierung der Prozesse in den hausärztlichen Praxen muss vor allem das Praxisteam so weit wie möglich entlasten und die Patientenversorgung verbessern.

Die digitale Anmeldung

Vor dem (digitalen oder physischen) Besuch der Praxis haben Patient:innen die Möglichkeit, digital in der Praxis "einzuchecken". Dies kann über eine Praxis-App, ein Terminal, die Website o. Ä. erfolgen. Beim Check-in werden automatisch die verfügbaren Daten der digitalen Patientenakte mit den Daten aus der Praxisdokumentation abgeglichen (ePA, eMP, NFDM, Anamnesedaten etc.).

Die Patient:in füllt im (digitalen) Wartezimmer zum Beispiel über das eigene Device in der Praxis-App Anamnesebögen und gegebenenfalls erforderliche Einwilligungserklärungen aus. Patient:innen erhalten in der Wartezeit auf ihre Situation und ihr Versorgungsanliegen zugeschnittene Informationen.

Erforderliche Tools hierfür: Patienten-ID, Arzt- und Praxis-ID, Videosprechstunde, dynamische Patienteninformationen, Patiententerminal als App oder physisch, ggf. Endgerät für Patient:innen, digitaler, verknüpfter Anamnesebogen.

Im digitalen Sprechzimmer

Die Hausärzt:in sowie qualifiziertes Praxispersonal erhalten strukturierten Zugriff auf alle Versorgungsdaten der Patient:in (auch Vorbefunde sowie selbst oder fremd erhobene Vitaldaten wie Blutzucker, Blutdruck, Puls etc.).

Der Zugriff, die Ansicht und die Weiterverarbeitung der großen Zahl digitaler Patientendaten erfolgen gestützt durch wissensbasierte Datenbanken und ggf. künstliche Intelligenz (KI), die den besonderen Anforderungen der hausärztlichen Versorgung Rechnung trägt. Alle diagnostischen Geräte sind vollumfänglich in die Praxissysteme integriert, übertragen Daten automatisch und legen diese strukturiert ab. Parallel zur Versorgung der Patient:in findet eine digital und KI-gestützte, automatisierte und synchrone Dokumentation der Behandlung statt (z. B. über Spracherkennung). Bescheinigungen/Verordnungen etc. werden einfach digital signiert, versendet und gleichzeitig in der digitalen Akte abgelegt. Die Dokumentation der Behandlung erfolgt für alle Beteiligten transparent.

Erforderliche Tools hierfür sind: Schnittstellen für Diagnostik-Geräte, wissensbasierte Datenbanken und ggf. KI zur Unterstützung bei der Ansicht, Auswahl, Verarbeitung und Nutzung von Daten, digitaler Dokumentationsassistent (z. B. Spracherkennung), Tools zur digitalen Bescheinigung/Verordnung im digitalen Arzt-Patienten-Kontakt.

Einbinden von Gebietsärzt:innen

Sofern erforderlich, sinnvoll und verfügbar, haben die Hausärzt:innen direkt in der Behandlungssituation die Möglichkeit, per Video entsprechende Gebietsärzt:innen in das (digitale) Sprechzimmer dazuzu schalten. Darüber hinaus sind auch digitale Konsile (ggf. in asynchroner Kommunikation) möglich.

Sofern erforderlich, sind eine digitale Überweisung und je nach Dringlichkeit auch digital unterstützte Terminvereinbarung durch das Praxisteam möglich. Dabei werden erforderliche Befunde sowie sonstige Daten unmittelbar digital zur Verfügung gestellt. Voraussetzung hierfür ist eine digitale, sichere Kommunikation zwischen Gesundheitsfachberufen.

Die Patient:innen

Die Patient:innen greifen von zu Hause digital auf Behandlungsdaten und Dokumentation zu. Bei Bedarf bzw. für Rückfragen können sie zum Beispiel per Messenger Kontakt zur Praxis aufnehmen. Patient:innen können an die Praxis, sofern erforderlich, regelmäßig Daten zum Gesundheitszustand (Vitalparameter, Fragebogen, Assessments zum Beispiel zur psychischen Gesundheit etc.) übermitteln (Telemonitoring) und gegebenenfalls mit weiteren Gesundheitsfachberufen teilen.

Chroniker-Versorgung

Im Zuge der Versorgung von chronisch oder schwer erkrankten Patient:innen besteht auch die Möglichkeit, weitere Gesundheitsfachberufe sowie gegebenenfalls die Angehörigen digital in den Versorgungsprozess einzubinden, mit diesen zu kommunizieren und erforderliche Patientendaten, Verordnungen und Bescheinigungen auszutauschen, um eine koordinierte Versorgung zu ermöglichen.

Die Praxis bietet Chroniker:innen digitale Schulungs-, Beratungs- und Coachingangebote, in deren Verlauf gegebenenfalls auch Patientendaten und Behandlungsverläufe (zum Beispiel erreichte und nicht erreichte Ziele) erhoben werden, die im weiteren Behandlungsprozess, strukturiert in der digitalen Patientenakte abgelegt, zur Verfügung stehen.

Hausbesuch

Für die Versorgung von Patient:innen in der Häuslichkeit stehen in der hausärztlichen Versorgung neben dem Hausbesuch auf der digitalen Versorgungsebene die Videosprechstunde, aber beispielsweise auch der Video-unterstützte Präsenzbesuch der VERAH® zur Verfügung. Dies setzt die Verfügbarkeit entsprechender Übertragungsgeschwindigkeiten sowie der digitalen Anbindung von mobilen Endgeräten voraus.

Alles nur ein Traum?

Dieses Konzept von der hausärztlichen Versorgung der Zukunft zeichnet ein Idealbild, von dem wir in der Realität derzeit noch weit entfernt sind. Ob es sich jemals so vollständig umsetzen lassen wird, steht in den Sternen. Aber zumindest vermittelt es einen Eindruck davon, wie es funktionieren könnte. Und träumen ist ja durchaus erlaubt.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (8) Seite 24-25