Im Deutschen Hausärzteverband (DHÄV) tut sich was. Die neue Vorstands-Doppelspitze stellte bei der Frühjahrsdelegiertenversammlung in Münster die enorme Bedeutung der Hausarztmedizin für die Gesundheitsversorgung heraus und drängte auf Reformen, mit denen die Hausärzt:innen gestärkt und zukunftsfähig werden sollen. Nicht nur im Vorstand sieht man sich dabei als Team, auch die Praxen sollen sich in diese Richtung entwickeln. Und zum Schluss gab es auch noch eine überfällige Namensänderung.

Delegiertenversammlungen des DHÄV liefen in den vergangenen Jahren grundsätzlich nach einem immer gleichen Schema ab: Zunächst trägt der Bundesvorsitzende in einem Monolog einen ausführlichen "Bericht zur Lage" vor, über den man danach diskutieren kann, bevor man in die Beratung und Abstimmung der zahlreichen Anträge einsteigt. Die neue Vorstandsspitze mit Dr. Markus Beier als Bundesvorsitzendem und Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth als seine erste Stellvertreterin versuchte nun in Münster zumindest ein klein wenig mit dieser Tradition zu brechen, indem sie den Bericht zur Lage im Duett vortrugen und dabei noch einmal deutlich machten, dass sie als Team agieren wollen. Und der Teamgedanke sollte im weiteren Verlauf der Tagung eine wichtige Rolle spielen.

Zunächst ging es Dr. Beier aber erst einmal um eine kritische Bestandsaufnahme. "Unser Gesundheitssystem geht mit seinen Ressourcen um, als lägen diese unbegrenzt vor. Gleichzeitig quellen die Notaufnahmen über und die Patientinnen und Patienten stehen vor den Praxen Schlange. Die unmittelbarste Folge: Die Wartezeit wird länger und die Arzt-Patienten-Zeit kürzer. Langfristig gesehen, wird das Gesundheitssystem seine Kapazitätsgrenzen erreichen, mit ernsten Folgen für die Patientenversorgung", beklagte Beier. Politik und Selbstverwaltung würden künftig nicht mehr umhinkommen, unser Gesundheitssystem unter der Leitfrage zu prüfen: Was ist wirklich Bedarf und was nur Bedürfnis? "Braucht es 10 bis 17 Arztkontakte im Jahr oder sind viele davon einfach nur Folge unseres ungesteuerten, viel zu komplexen Gesundheitssystems? Wem dienen die vielen administrativen Aufgaben, die jede Arztpraxis 60 Tage im Jahr kosten, oder ist ein Großteil davon nicht einfach nur Selbstzweck ohne relevanten Nutzen für die Versorgung? Muss jede Routineaufgabe immer zwingend einen Arzt-Patienten-Kontakt voraussetzen oder ist es Zeit, dass wir die Versorgung in unseren Praxen neu denken – im Team unter hausärztlicher Leitung?", wirft Beier zahlreiche Fragen auf.

Steuerung durch Hausarztpraxen

Beier betonte, dass mit den kostbaren Ressourcen der Ärzt:innen und ihrer Praxisteams immer noch viel zu nachlässig umgegangen werde: "Das Thema Ressourceneffizienz ist die Gretchenfrage der kommenden Jahre, an der sich entscheiden wird, wie gut die Menschen in unserem Land versorgt werden. Der zentrale Ansatz dabei muss sein, dass medizinische Leistungen viel besser koordiniert werden. Wir werden es uns in Zukunft nicht mehr leisten können, dass Patientinnen und Patienten gezwungen werden, von einer Anlaufstelle zur nächsten zu rennen, bis sie irgendwann die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Es braucht mehr Steuerung. Diese können nur die Hausarztpraxen gewährleisten", so der DHÄV-Bundesvorsitzende. Und er bricht dann auch gleich eine Lanze für die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV): Ohne eine Stärkung der Rolle der Hausärzt:innen, wie man sie in den Hausarztverträgen seit Jahren sehr erfolgreich umsetze, werde es dieses Gesundheitswesen in den kommenden Jahren sehr schwer haben, nicht gegen die Wand zu fahren. Was gar nicht helfe, seien hingegen die Versuche der Politik, mittels Gesundheitskiosk und Co. ständig neue Parallelstrukturen aufzubauen. Hier werden Geld und Ressourcen schlichtweg verschwendet, so Beier.

Die Versorgung nicht weiter zersplittern

Damit liefert er auch gleich eine Steilvorlage für seine Stellvertreterin Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth. "An allen Ecken und Enden werden neue Gesundheitsberufe aus dem Boden gestampft, die eigenständig und unkoordiniert eine Rolle in der Patientenversorgung einnehmen sollen", monierte sie. Wie diese genau aussehen sollen, sei meist der Fantasie der Handelnden überlassen. Ein durchdachtes Konzept scheine es nicht zu geben, stattdessen viel Stückwerk. "Gleichzeitig werden immer wieder einzelne Elemente der hausärztlichen Versorgung aus unseren Praxen herausgelöst und für andere Berufsgruppen geöffnet. Impfen sollen die Apotheken, steuern die Gesundheitslotsen, beraten die Gesundheitskioske. Damit erreicht die Politik genau das, was wir nicht brauchen: noch mehr Schnittstellen, noch mehr voneinander unabhängige Akteure in der Patientenversorgung, noch mehr Eingangstore ins Gesundheitssystem – und das zu immer höheren Kosten", so Buhlinger-Göpfarth. Entgegen vielen Behauptungen von Funktionären, die nie in der Versorgung gearbeitet haben, würden diese Strukturen die Hausärztinnen und Hausärzte nicht entlasten, sondern zu noch mehr Koordinationsaufwand, noch mehr Doppeluntersuchungen und noch weniger Versorgung aus einer Hand führen. "Die Politik ist hier auf einem Holzweg, den sie schnellstmöglich verlassen sollte", fordert Buhlinger-Göpfarth unter dem Beifall der Delegierten.

Das Teampraxis-Konzept

Für die Hausärztin aus Baden-Württemberg ist klar, dass die Hausarztpraxis als zentraler Ort der Versorgung in den kommenden Jahren noch einmal an Bedeutung gewinnen wird – allein aufgrund des demografischen Wandels und des immer komplexer werdenden Gesundheitssystems. Daher sei es von zentraler Bedeutung, dass es durchdachte Konzepte gibt, wie die Hausarztpraxen mit dem wachsenden Versorgungsdruck umgehen können und gleichzeitig der weiteren Zersplitterung der Versorgung ein Riegel vorgeschoben wird. Dafür hat sie maßgeblich daran mitgearbeitet, ein Teampraxis-Konzept zu entwickeln. Der Kerngedanke dabei sei, dass die Versorgung auch weiterhin unter dem Dach der Hausarztpraxis stattfindet und nicht in irgendwelchen neuen Anlaufstellen – seien es Gesundheitskioske oder Spezialambulanzen an Kliniken. Die Patient:in werde dabei nicht ausschließlich von ihrer Hausärztin oder ihrem Hausarzt, sondern von einem ganzen Betreuteam in der Praxis versorgt. Hausärztinnen und Hausärzte haben dabei die Leitungsfunktion inne und tragen die Gesamtverantwortung. Gleichzeitig sollen aber eben auch VERAH®, akademisierte VERAH®, Physician Assistants oder Sozialberater mehr Verantwortung in der Patientenversorgung übernehmen können. Je nachdem, mit welchem Anliegen eine Patient:in die Praxis aufsucht, werde die entsprechende Fachkraft sie versorgen und betreuen. "Die Fälle, die unsere ärztliche Expertise wirklich benötigen, landen dann bei uns Hausärztinnen und Hausärzten. So können die vorhandenen Ressourcen effizient eingesetzt und gleichzeitig die Rolle unserer Mitarbeitenden gestärkt werden", schlägt Buhlinger-Göpfarth vor. Auf diese Weise könne eine echte Entlastung in der Hausarztpraxis organisiert werden. Das Ganze muss natürlich auch vernünftig finanziert werden. Erste Kassen hätten das bereits erkannt, berichtet Buhlinger-Göpfarth und fordert auch alle anderen Kostenträger mit Nachdruck auf, in die Teamversorgung zu investieren. Denn das sei auch in ihrem eigenen Interesse, denn ansonsten würden ihnen zukünftig die Kosten schlichtweg über den Kopf wachsen.

Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen

Eine umfassende Reform sei zudem auch beim Honorarsystem im Kollektivvertrag nötig, forderte Markus Beier, andernfalls werde vielen Praxen früher oder später die Luft ausgehen. Denn das derzeitige Honorarsystem werde den hausärztlichen Leistungen nicht ansatzweise gerecht. Ein Baustein dieser Reform müsse die Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen sein. Dass hier Handlungsbedarf bestehe, habe zum Glück auch der Gesetzgeber erkannt und sich die Aufhebung der Budgetierung im hausärztlichen Bereich auf die Fahne geschrieben. "Nun wird es Zeit, dass auf Worte Taten folgen und das öffentliche Versprechen eingelöst wird", so Beier. Dabei werde es auch auf das "Wie" ankommen, denn Entbudgetierung sei nicht gleich Entbudgetierung. Die Politik habe mit der Entbudgetierungssystematik in der Kinderheilkunde bereits einen sehr guten Weg gefunden, um gezielt die belasteten Praxen zu stärken. Diese Systematik gelte es nun auch auf den hausärztlichen Bereich zu übertragen. "Wir brauchen dringend eine hausärztliche Strukturpauschale", sagte Dr. Beier.

Ohne Telefon-AU geht es nicht mehr

Eine weitere Forderung gilt der telefonischen Krankschreibung. Diese habe sich für die in der Praxis bekannten Patientinnen und Patienten in den vergangenen Jahren bewährt. Die Telefon-AU spare den Patientinnen und Patienten Zeit, entlastet die Hausarztpraxen und vermeidet Ansteckungen in den Wartezimmern. Ohne die telefonische Krankschreibung sei die Versorgung nur schwer sicherzustellen. Der DHÄV fordert daher, dass die telefonische Krankschreibung für die Fälle, in denen es medizinisch sinnvoll ist, dauerhaft etabliert wird.

Kritik an Notfall-Reform

Nur wenig hilfreich sei das, was derzeit zum Thema Notfallversorgung in der Politik diskutiert werde. Tatsache sei, dass ein sehr großer Teil der Notfälle in den Hausarztpraxen behandelt werde, so Beier. Daher sei es geradezu absurd, dass sie in dem Konzept der sogenannten Expertenkommission keine Rolle spielen.

Stattdessen sollen allerlei Parallelstrukturen aufgebaut werden, die Ressourcen fressen und die Versorgung noch unübersichtlicher machen als ohnehin schon. Das gilt beispielsweise für die Notdienstpraxen, die an vielen Krankenhäusern entstehen sollen und die auch zu den ganz regulären Sprechzeiten der Niedergelassenen geöffnet sein sollen. Die Frage, an die anscheinend noch kein Gedanke verschwendet wurde, ist: Woher sollen die Hausärztinnen und Hausärzte kommen, die dort arbeiten? Das ganze Konzept sei ausschließlich aus Sicht der Kliniken gedacht und ignoriere die ambulante Realität. "In dieser Form ist das Konzept ein echter Flop", kritisierte Markus Beier.

Mit neuem Namen in die Zukunft

Gegen Ende der Tagung stand dann ein Thema, das schon länger im Raum stand. Seit diesem Jahr liegt der Anteil der Ärztinnen im ambulanten Sektor erstmals bei über 50 %. Der DHÄV hat dem bereits Rechnung getragen und den Bundesvorstand paritätisch besetzt. Jetzt folgte der nächste Schritt: Die Delegierten des Deutschen Hausärzteverbandes stimmten für eine Namensänderung des Verbandes in Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Damit spiegelt sich die Zukunft nun auch im Verbandsnamen wider.



Autor
Dr. Ingolf Dürr

Erschienen in: doctors|today, 2023; 3 (6) Seite 24-26